Veedelsspaziergang mit Louwrens Langevoort„Das Agnesviertel war die Nummer eins auf der Wunschliste“

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Der Innenhof der Alten Feuerwache ist ein beliebter Treffpunkt für Bürger und Kulturschaffende.

Der Innenhof der Alten Feuerwache ist ein beliebter Treffpunkt für Bürger und Kulturschaffende.

Innenstadt – Das Agnesviertel, benannt nach der gleichnamigen Kirche: ein überschaubares Areal mit zirka 13.500 Einwohnern, geteilt durch die Hauptverkehrsader Neusser Straße. Hier ist er zu Hause, Louwrens Langevoort, Intendant der Kölner Philharmonie; mit 650.000 Besuchern jährlich ist sie eine von Europas meistbesuchten Konzertsälen.

Verabredet sind wir auf dem kleinen Platz vor der Kirche. „Sie ist begrenzt schön; nicht wirklich schön, aber auch nicht hässlich. Sie gehört zum Veedel. Sie ist nicht Sacré-Coeur und auch nicht der Dom“, sagt der gebürtige Niederländer Langevoort. Auf dem Bio-Wochenmarkt, der hier regelmäßig stattfindet, kauft er nie ein, denn Vormittags muss er arbeiten. „Ich fahre meistens mit dem Rad auf die Neusser, hier gibt es alles für den täglichen Bedarf. Die Bäckerei »Epi« hat gute Croissants, es sind die einzigen, die mit denen in Paris vergleichbar sind.“ Der Philharmonie-Chef weiß, wovon er redet, denn die Metropole an der Seine ist sein zweites Zuhause.

„Ein lebendiges Viertel“

Wir überqueren die Neusser Straße. „Hier sieht man die architektonisch-historisch gewachsene Zweiteilung: auf der einen Seite die Häuser der gut Betuchten, auf der anderen die der Mittelschicht und Arbeiterklasse. Das spielt aber heute hier gar keine Rolle mehr, es ist alles sympathisch gemischt“, sagt er und steuert auf das Fioretto zu. „Ein guter Italiener, ein Familienbetrieb, tolle Atmosphäre, beste Qualität und vor allem bezahlbar.“

Als Louwrens Langevoort 2005 Chef der Philharmonie wurde und in Köln auf Wohnungssuche ging, war das Agnesviertel die Nummer eins auf seiner Wunschliste. „Ich habe hier schon Anfang der 90er Jahre gewohnt, als ich an der Kölner Oper arbeitete“, erzählt er. Direkt am Hansaring, das war laut. „Doch es ist ein tolles, lebendiges Veedel. Es ist übersichtlich, sehr persönlich, aber nicht piefig. Hier wohnen viele Freunde. Ich gehe ohne Scheuklappen durch die Straßen und kenne meine Nachbarn.“

„Alte Feuerwache hat viel Flair“

Wir schlendern über die Ewaldistraße und stehen jetzt vor einem roten Backsteingebäude, der Alten Feuerwache. „Ein wunderbares altes Gelände mit viel Flair. Wenn man neu im Veedel ist und sich politisch oder kulturell engagieren möchte, ist hier der richtige Ort.“

Langevoort lebt und arbeitet gerne in Köln, denn für ihn ist die Philharmonie führend in Europa: „Wir spielen in der Champions League, das ist das Oberhaus. In Deutschland sind wir die besten, und auch international gibt es kaum Häuser, die ein Programm auf diesem Niveau anbieten. Dabei darf man nicht vergessen, dass Köln nur eine Million Einwohner hat. Wenig im Vergleich zu London oder Paris.“

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Klar, dass er seinen bis 2020 laufenden Vertrag erfüllen will und nicht an einen Abschied denkt. Die Stadt sei zwar nicht wirklich schön, aber die Menschen seien neugierig und herzlich. „Ein Ensemble von jungen Musikern hat die Begeisterung des Kölner Publikums mal wunderbar auf den Punkt gebracht. Sie haben erzählt: In Wien gibt es eine Distanz zwischen Künstlern und Publikum. Die Wiener stehen da und signalisieren: Zeigt mal, was ihr könnt. Die Kölner aber umarmen quasi die Musiker, und das auch schon rein optisch durch die runde Form der Philharmonie. In Köln vermittelt das Publikum: Wir wollen, dass ihr Erfolg habt.“

Ein Faible für „St. Betonia“

Der 58-Jährige bleibt auf dem Sudermanplatz stehen, blinzelt in die Sonne, als wolle er in die Zukunft schauen, und sagt dann: „Ich kann mir vorstellen, auch länger als bis 2020 in Köln zu bleiben und dann in die Politik zu gehen, um etwas im Bereich Kultur zu bewegen, allerdings als Parteiloser. Die Parteilosigkeit der Oberbürgermeisterin ist ein guter Schritt für diese Stadt.“

Wir steuern auf die Kreuzung von Aquino-, Balthasar- und Krefelder Straße zu. Zwei Kneipen, ein Friseur, ein Imbiss, ein paar Gründerzeit- und 50er-Jahre-Häuser, eigentlich hat diese Ecke keinen besonderen Reiz. „Dieser karge Betonbau ist eine Kirche, gebaut von dem Architekten Gottfried Böhm. Anfangs fand ich sie schrecklich. Der bizarre Bau hat aber alle Merkmale einer Kirche: einen Turm, Kirchenfenster, ein Kirchenschiff – man muss sich Zeit nehmen und genau hinschauen.“ Mit seiner geteilten Meinung zu dem Sakralbau steht der Philharmonie-Chef nicht allein da.

Louwrens Langevoort (58) studierte Jura. Seinen Berufsweg als Kulturmanager begann er Anfang der 80er Jahre in Brüssel, danach war er unter anderem bei den Salzburger Festspielen, der Leipziger, Kölner und Hamburger Oper. Seit 2005 ist er Intendant der Philharmonie, sein Vertrag läuft bis 2020. Er trinkt gerne grünen Tee, geht in seiner Freizeit schwimmen und hat eine Zweitwohnung in Paris.

Als Böhm Anfang der 60er Jahre im Auftrag der Pfarrei St. Gertrud den Neubau in die 62 Meter breite Baulücke zwischen Krefelder Straße und dem Bahndamm platzierte, führte das zu einer Polarisierung: von rigoroser Ablehnung bis hin zu größter Wertschätzung. Als Böhm für den Bau dann 1967 mit dem Deutschen Architekturpreis ausgezeichnet wurde, verstummten die kritischen Stimmen weitgehend. Geblieben aber ist der Name, den die Kirche im Veedel erhielt: Statt St. Gertrud sagt man augenzwinkernd St. Betonia.

Interessanter Bewohner-Mix

Beim Spaziergang über die Krefelder Straße sind wir uns einig, dass es hier zwar nette Hinterhöfe und einige schöne Fassaden gibt, ansonsten diese Straße aber nicht gerade sexy ist. Trotzdem ist das Veedel liebenswert, dafür sorgt die Überschaubarkeit und der interessante Bewohner-Mix; junge Familien mit Kindern, alteingesessene Kölner und viele Medienschaffende wohnen nebeneinander. Dann stehen wir vor der Hausnummer 25, für Feinschmecker eine Spitzenadresse in Köln. „Das »Le Moissonnier« kenne ich schon seit mehr als 20 Jahren. Vincent ist ein ungemein charmanter Gastgeber, sein Restaurant hat viel Atmosphäre. Ich fühle mich hier wie in einem französischen Bistro“, schwärmt der Wahl-Pariser Langevoort.

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Wir spazieren zurück in Richtung Krefelder Wall. In der Krefelder Straße 71 befindet sich das Kulturbüro der „Freihandelszone“, ein Ensemble-Netzwerk, eine Art Theater-Kollektiv, das vor elf Jahren von der Kölner Choreografin Stephanie Thiersch gegründet wurde. „Tanz ist in Köln völlig unterrepräsentiert. Es gibt einen guten Humusboden, aber die Plattform fehlt. Deshalb wird die Philharmonie mit dem Thiersch-Ensemble im September einige Kultur-Events auf die Beine stellen. Es wird Tanz überall in der Stadt geben, auch in der Linie 16 zwischen Rodenkirchen und Bonn.“

Entspannung im Rosenpark

Wir sind wieder an der Neusser Straße angelangt, überqueren sie, umrunden die Agneskirche und gehen in Richtung Fort X. Hinter diesem Namen verbirgt sich ein Teil des früheren inneren preußischen Festungsrings. Im Zuge der Schleifung der Anlagen nach dem Ersten Weltkrieg ließ hier der damalige Oberbürgermeister Kölns, Konrad Adenauer, in den 1920er Jahren einen Rosengarten anlegen, in den das ehemalige Fort integriert wurde. „Der Park ist vielen Kölnern nicht bekannt. Er ist ruhig und nicht überlaufen, im Sommer blühen unzählige Rosen. Ein wunderschöner Ort zum Entspannen – und eigentlich direkt bei mir vor der Haustür.“ Da der Park bis zum Frühling seine Tore geschlossen hat, gehen wir weiter in Richtung Weißenburgstraße, eine denkmalgeschützte Platanen-Allee, die durch den Massaria-Pilz bedroht ist. Über das Vorgehen zur Rettung der Bäume sind sich Anwohner und Stadt uneins.

Langevoort: „Ich unterstütze die Initiative »Rettet die Platanen«. Sie gehören zu dieser Straße, auch das Kopfsteinpflaster muss gepflegt werden. Wenn man einen bestimmten Charakter im Viertel erhalten will, muss man nachhaltig denken und handeln.“ Bevor wir zum Abschluss im Café Elefant einkehren, ist noch ein besonderes Lob für sein Agnesveedel zu hören: „Hier gibt es keine Baustellen, für Köln eine Besonderheit. An meinem Arbeitsplatz, rund um die Philharmonie, ist es katastrophal. Seit ich dort arbeite – immerhin zehn Jahre –, habe ich eine Dauerbaustelle vor der Tür. Ich habe nichts gegen Bauen, aber man sollte eine Baustelle zu Ende bringen, bevor die nächste aufgemacht wird. Das ist in Köln anscheinend unmöglich.“

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