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Interview mit Kinderradiologin Friederike Körber„Zappeln ist ein Problem“

Lesezeit 7 Minuten
Friederike Körber arbeitet seit 2000 an der Kölner Uniklinik.

Friederike Körber arbeitet seit 2000 an der Kölner Uniklinik.

Köln – Frau Körber, Radiologen gelten bei der Arzt-Patienten-Kommunikation eher als zurückhaltend, fast wortkarg. Sie lassen lieber Röntgen- oder Ultraschallbilder für sich sprechen. Ist das bei Kinderradiologen ähnlich?

Ganz im Gegenteil. Wir haben einen sehr engen Kontakt zu unseren Patienten und deren Eltern. Bevor wir irgendetwas machen, erklären wir den Kindern und den Eltern alles ganz genau. Jeder Schritt muss begründet werden, auch wenn es nichts Schlimmes oder Schmerzhaftes ist. Es ist ganz wichtig, einen guten Draht zum Patienten herzustellen. Egal, wie alt das Mädchen oder der Junge ist.

Zur Person

Friederike Körber ist Fachärztin für Radiologie und Kinderradiologie. Die Privatdozentin ist seit 2007 Leiterin der Kinderradiologie an der Kinderklinik der Kölner Uniklinik. Die 52-Jährige, geboren in Solingen, studierte Medizin in Aachen. Seit 2000 ist sie an der Kölner Uniklinik tätig, 2012 erfolgte ihre Habilitation.

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Die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen steht im Mittelpunkt des Kongresses für Kinder- und Jugendmedizin, der im September in Köln stattfindet. Fünf Fachgesellschaften sind eingebunden, die wissenschaftliche Leitung der Tagung der Gesellschaft für Pädiatrische Radiologie hat Friederike Körber inne. (mos)

Wie alt sind die Patienten, die in die Kinderradiologie kommen?

Von 22 bis 22: von der 22. Schwangerschaftswoche bis zum Alter von 22 Jahren. Beide, die extrem Frühgeborenen und die jungen Erwachsenen, sind allerdings die Ausnahmen. Für Patienten ab einem Alter von 16, 17 Jahren sind wir in der Regel nicht mehr zuständig. Aber bei chronischen Erkrankungen wie Mukoviszidose oder Krebserkrankungen ist es mitunter ratsam, sie länger zu begleiten.

Bei radiologischen Untersuchungen spielen medizinisch-technische Geräte eine wichtige Rolle. So etwas kann vor allem jüngeren Kindern Angst machen. Wie bauen Sie Vertrauen auf?

Wir versuchen, die Angst zu nehmen, indem wir immer sagen, was wir machen. Das betrifft scheinbar banale Dinge. Wir sagen zum Beispiel, wenn wir das Kind berühren müssen. Wir kündigen an, wenn vor einem Ultraschall kaltes Gel auf den Bauch aufgetragen wird. Meistens, vor allem bei kleinen Kindern, wärmen wir das Gel vorher an. Man reißt auch nicht kommentarlos ein T-Shirt hoch, sondern bittet das Kind, dies selber zu tun. Man sollte nicht über den Kopf des Kindes hinweg nur mit der Mutter oder dem Vater sprechen. Natürlich spielt bei diesen Dingen das Alter des Kindes eine Rolle. Einem drei Monate alten Baby muss ich keine medizinischen Kurzvorträge halten. Man muss ruhig und zugewandt sein. Bereits Säuglinge spüren, wenn die Ärzte nervös, hektisch oder ungeduldig sind.

Auf der Jahrestagung der Gesellschaft für Pädiatrische Radiologie im September in Köln wird es unter anderem um das Thema Kindesmisshandlung gehen. Was hat die Kinderradiologie damit zu tun?

Die Kinderradiologie ist häufig die erste Stelle, die Alarm schlägt, dass womöglich ein Fall von Misshandlung vorliegt.

Wann werden Sie misstrauisch?

Zum Beispiel, wenn sich das Kind in dem vorliegenden Alter die Verletzung unmöglich selber zugefügt haben kann. Es gibt bestimmte Arten von Brüchen etwa am Ellenbogen, am Knöchel oder an den Knien, die den Verdacht nahe legen, dass das Kind zu grob angefasst worden ist. Wir sind alarmiert, wenn die Aufnahmen Blutungen im Kopf zeigen, die mit der Geschichte, wie es zu dem Sturz oder Unfall gekommen sein soll, nicht übereinstimmen.

Wie oft kommt so etwas vor?

Zu oft. Etwa einmal im Monat taucht ein Fall auf, der uns zumindest nachdenken lässt.

Was machen Sie in diesen Fällen?

Wir informieren die Kollegen in der Kinderklinik und schicken die Eltern zu den Kollegen. Wir Kinderradiologen sprechen über den Verdacht nie direkt mit den Eltern. Der Kinderarzt untersucht das Kind, schaltet dann gegebenenfalls die Rechtsmedizin und das Jugendamt ein.

Nicht die Polizei?

Nein, nur wenn eine unmittelbare Gefahr für das Leben des jungen Patienten besteht. Wir haben das Kind zu schützen, das schließt auch die ärztliche Schweigepflicht mit ein. Wir sind nicht für die Strafverfolgung zuständig.

Müssen Sie bei Prozessen wegen des Verdachts einer Kindesmisshandlung als Gutachterin vor Gericht aussagen?

Ja, das kommt immer mal wieder vor. In den zurückliegenden Jahren habe ich etwa 60 Gerichts-Gutachten geschrieben. Hauptgutachter in derartigen Prozessen ist der Rechtsmediziner. Es kann sein, dass der die Staatsanwaltschaft um ein Zusatzgutachten eines Kinderradiologen bittet. Erst wenn die Staatsanwaltschaft uns beauftragt, kommen wir ins Spiel. Aufträge von Privatpersonen, also Rechtsanwälten, nehme ich nicht an.

Worum geht es in den Gutachten?

Klassische Fragen sind: Wie alt sind die Verletzungen? Das ist bei Blutungen im Gehirn, wie sie bei Säuglingen nach Schüttel-Traumata auftreten, nur sehr schwer zu sagen. Bei Skelettverletzungen können wir präzisere Aussagen treffen. Da sind die Heilungsstadien gut zu sehen. Eine weitere Frage ist, ob es Anzeichen für eine sogenannte „Mehrzeitigkeit“ gibt. Also, ob es ein einzelner frischer Bruch ist oder ob es mehrere ältere Brüche unklarer Ursache gibt. Das ist wichtig mit Blick auf die Bewertung der Tat und das mögliche Strafmaß.

Was macht das mit Ihnen?

Ich mache diese Gutachten nicht gern. Das Thema ist bedrückend. Ich habe auch schon unangenehme Situationen vor Gericht erlebt. Es gibt Anwälte, die sind nicht zimperlich, ich bin schon unangenehm angegangen worden. Dennoch sind diese Gutachten unerlässlich. Es ist wichtig, dass man keine Vorverurteilung vornimmt, sondern sachlich und neutral bleibt. Man darf nicht mit dem Gedanken in die Verhandlung gehen, inwieweit man dazu beiträgt, ob und wie der Angeklagte verurteilt wird, das ist Sache des Gerichts.

Wie sieht Ihre Arbeit sonst aus?

Pro Jahr machen wir etwa 13000 Ultraschall-Untersuchungen. Dazu kommen jährlich etwa 6000 Röntgen-, 600 CT- und 2400 Kernspin-Aufnahmen, also MRT-Untersuchungen. Dabei muss man beachten, dass bei Kindern unter sechs Jahren ein MRT nur unter Narkose gemacht werden kann. Werden sie nicht sediert, halten sie nicht still. Zappeln ist generell ein Problem. Um einen Dreijährigen zu röntgen, braucht man manchmal drei Erwachsene, zwei halten das Kind und einer röntgt.

Ist Ihre Abteilung mit im Boot, wenn es um die Altersbestimmung von minderjährigen Flüchtlingen geht, die ohne ihre Eltern in Deutschland leben?

Ja und nein. Im Zusammenhang mit einer möglichen Straftat ist das Alter des Verdächtigen interessant. Dazu wird dessen linke Hand geröntgt, um zu sehen, ob die Wachstumsfugen bereits geschlossen sind. Es ist die linke, weil bei Rechtshändern die Entwicklung dieser Hand bei starker Beanspruchung ausgeprägter und damit nicht altersgerecht sein könnte. Es ist ohnehin eher eine Altersschätzung. Die Fugen schließen sich im Alter von 16 Jahren bei Mädchen beziehungsweise 18 Jahren bei Jungen. Ob jemand 19 oder 25 Jahre alt ist, können wir bei geschlossenen Wachstumsfugen nicht sagen, dann muss man eine Computertomographie der Schlüsselbeingelenke durchführen. Wir machen so etwas nur auf richterliche Anordnung. Altersbestimmungen im Zusammenhang mit Asylverfahren machen wir nicht.

Sie strahlen eine totale Begeisterung für die Kinderradiologie aus. Es gibt in Deutschland nicht ganz so viele Ihres Fachs. Warum würden Sie einer jungen Kollegin raten, in die Kinderradiologie zu wechseln?

Ja, ich bin eine Überzeugungstäterin. Die Kinderradiologie ist einfach faszinierend. Das Spektrum der Patienten ist vielfältig, und wir kommen in Kontakt mit allen Fächern von Augenheilkunde bis Urologie. Nicht zu vergessen: Die Kinderheilkunde ist der letzte ganzheitliche Medizinbereich, und wir sind ein Teil davon. Und vor allem ist es der enge Kontakt mit den Patienten und ihren Eltern, der das Fach so besonders macht.

Aber Sie sind ein Kellerkind. Sie sitzen mit Ihrem Institut im Souterrain der Kinderklinik?

Noch. Das Tageslicht ist nah. Wir werden mit in das neue Eltern-Kind-Zentrum einziehen. Das Gebäude wird bis 2020/21 in der Nähe des Gürtels auf dem Uniklinik-Gelände entstehen.

Das Gespräch führte Monika Salchert

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