Kampf gegen ElterntaxisPilotprojekt Schulstraßen in Gefahr – Gutachten soll Rechtssicherheit belegen

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Kinder mit Roller und zu Fuß auf dem Weg zur Schule.

Über die Schulstraßen können Kinder sicher und ohne Gefahr durch Autoverkehr alleine zur Schule kommen.

Das Aktionsbündnis Kidical Mass kämpft dagegen, dass die Schulstraßen nach der Pilotphase wieder rückgebaut werden. 

Eigentlich war Köln in Deutschland Vorreiter im Kampf gegen Eltern-Taxis und für mehr Schulwegsicherheit von Grundschulkindern: In diesem Sommer hat die Stadt als eine der ersten deutschen Städte als Pilotprojekt an vier Grundschulen so genannte Schulstraßen eingerichtet. Dafür wird – zunächst befristet auf ein Jahr - vor den Schulen die Straße eine halbe Stunde vor Schulbeginn und eine halbe Stunde nach Schulschluss für den Autoverkehr gesperrt. Ausgenommen sind Taxen, Rollstuhltransporte, Schulbusse sowie Autos von Lehrkräften und Anwohnern. Ein Beispiel, das Schule machte: Städte wie Berlin, Bonn, Essen, Ulm und Dresden folgten dem Kölner Beispiel.

Das Konzept der Schulstraßen stammt von dem Aktionsbündnis „Kidical Mass“, das die Schulstraßen zunächst als Demonstrationen anmeldete, ehe die Stadt das Konzept übernahm und nun für ein Jahr testet. Bereits sieben der neun Kölner Bezirksvertretungen hätten inzwischen Beschlüsse zur Einrichtung von Schulstraßen getroffen, berichtete die Kölner Kidical Mass-Sprecherin Simone Kraus. Die Hoffnung auf eine Verstetigung des Konzepts nach der Pilotphase war groß.

Wir wollen die Schulstraßen nicht kampflos wieder hergeben
Simone Kraus, Sprecherin von Kidical Mass Köln

Um so größer war im November die Ernüchterung: „Bei einem Termin mit dem Verkehrsdezernenten hat uns eine Vertreterin des Amtes für Verkehrsmanagement mitgeteilt, dass die Schulstraßen zu Beginn der Osterferien 2024 zurückgebaut werden sollen“, berichtete Kraus gegenüber dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Als Begründung habe die Straßenverkehrsbehörde angeführt, dass die Straßenverkehrsordnung keine rechtliche Basis für eine dauerhafte Fortführung der Schulstraßen hergebe.

Kinder mit dem Rad auf dem Weg zur Schule.

Die Schulstraße wird eine halbe Stunde vor Schulbeginn für den Durchgangsverkehr abgesperrt. Elterntaxis können nicht mehr vorfahren.

„Aber wir wollten die Schulstraßen nicht kampflos hergeben“, so Kraus. Gemeinsam mit dem Deutschen Kinderhilfswerk und dem ökologischen Verkehrsclub Deutschland (VCD) hat Kidical Mass ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben, das am Mittwoch vorgestellt wurde. Ziel sollte es sein, die Rechtsunsicherheit bezüglich der Schulstraßen zu beseitigen. „Wir wollten mit dem Gutachten Bedenken und Unklarheiten aus dem Weg räumen, um Schulstraßen in ganz Deutschland zu ermöglichen. Denn auch in anderen Kommunen gab es Zweifel, ob Schulstraßen als Dauereinrichtung rechtssicher sind.“

In dem Gutachten weist der Berliner Verkehrsrechtler Olaf Dilling nun  nach, dass Kommunen mehrere Möglichkeiten haben, Schulstraßen auch dauerhaft rechtssicher einzurichten. Dilling ist Spezialist für kommunales Verkehrsverwaltungsrecht. Zwar könnten Schulstraßen nicht pauschal eingerichtet werden, analysiert er. Einen Ansatzpunkt biete aber das Straßenverkehrsrecht. Wenn man als Kommune für jeden Einzelfall eine sogenannte qualifizierte Gefahrenlage als Begründung liefere, sei eine Einrichtung rechtssicher möglich.

„Dafür braucht noch kein Unfall passiert zu sein“, so Dilling. Das gehe auch als Prognose, wenn man die konkrete Gefahrenlage vor Ort beschreibt – etwa mit den Faktoren Verkehrsdichte oder gefährliches Verkehrschaos durch wendende Eltern in den vielen Elterntaxis. Auch das Straßenrecht biete mehrere Optionen, die Straßen nur für den nicht-motorisierten Verkehr freizugeben. Etwa durch die Widmung der Straße als Fahrradstraße, oder auch eine Teilumwidmung, die konkrete Nutzungszeiten für den Durchgangsverkehr vorgibt.

Stadt Köln gibt ein eigenes Gutachten in Auftrag

„Jetzt gibt es kein Rausreden mehr“, kommentierte Kraus das Gutachten. Sie forderte Henriette Reker auf, sich als Oberbürgermeisterin einer Stadt, die das Siegel „Kinderfreundlichen Kommune“ trägt, klar zu positionieren „und den Verkehrsdezernenten nicht als Einzelkämpfer alleine zu lassen. Städte wie Paris, wo es längst dauerhafte Schulstraßen gibt, machen das vor.“ Die dortige Bürgermeisterin Anne Hidalgo sei schon lange Vorreiterin für mehr Schulwegsicherheit.

Die Stadtverwaltung wies die Einschätzung zurück, dass eine Entscheidung für den Rückbau der Schulstraßen bereits gefallen sei. Die Stadt begrüße das Engagement von Kidical Mass für die Schulstraßen und lasse das Gutachten in die städtische Bewertung einfließen. Da die verkehrsrechtlichen Rahmenbedingungen so komplex seien, habe die Stadt auch noch ein eigenes Rechtsgutachten beauftragt. Darin soll eruiert werden, ob es Anordnungsgrundlagen für „eine Fortsetzung und Ausweitung der Schulstraßen“ gibt. „Dieses Gutachten wird vor Ende der Pilotphase vorliegen“, hieß es von Seiten der Stadt. Erst dann werde darüber entschieden, ob und wie die Schulstraßen fortgesetzt werden.

Daneben setzt Kidical Mass auch große Hoffnung in das nordrhein-westfälische Verkehrsministerium, an das sich die Initiative ebenfalls mit Bitte um Unterstützung gewendet hatte. Der dortige Staatssekretär Viktor Haase sei begeistert vom Konzept der Schulstraße. Er habe Kidical Mass in Aussicht gestellt, dass das Ministerium im ersten Quartal des nächsten Jahres eine Handlungsempfehlung für die Kommunen in NRW verfasst, um die Rechtsunsicherheit zu beseitigen. 

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