PremiereHänneschen feministischer denn je – Puppensitzung 2024 in Köln ruft weibliches Dreigestirn aus

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12.01.2024, Köln: Puppensitzung im Hänneschen Theater. Foto: Uwe Weiser

12.01.2024, Köln: Puppensitzung im Hänneschen Theater. Foto: Uwe Weiser

Die Puppensitzung des Hänneschen-Theaters 2024 hat eine umjubelte Premiere gefeiert, mit zahlreichen politischen Kommentaren im Programm.

Die Puppensitzung im Hänneschen findet dieses Jahr in der Kneipe statt, aus Solidarität: „Als städtisches Thiater müsse mir zesamme halde, deshalb sin mir jetz och e Baustelle“, verkündet Sitzungspräsident Schäl, „Hashtag mir too sin jetz zo“. Kein Problem, treffen sich die 70 Figuren eben an der Theke. Hinter den Fenstern der Kulisse machen Bauarbeiter immer wieder Lärm, ein Motiv, das sich durch die Sitzung zieht.

Im Hänneschen bleibt man dabei optimistisch. „De Oper vun Kölle weed jot“, wenn sie denn fertig ist, stimmt das Ensemble zur Melodie des ganz ähnlich klingenden Bläck-Fööss-Hits an. Und die Bauarbeiter sind auch die Figuren, die die diesjährige Tanzeinlage aufführen. Mit viel Humor geben sie ein Ballett, das als Hommage an die Menschen zu verstehen ist, die die Stadt Stein für Stein in Schuss halten.

Speimanes will traditionelle Woosch mit Kappes ersetzen

Die Puppensitzung „Wat e Thiater“ zeigt sich bei der Premiere am Freitag, 13. Januar, politischer als sonst. Intendantin Mareike Marx sagte im Gespräch vorab: „Ich glaube, dass wir in einer Zeit leben, in der das nötig ist.“ Die Puppen also rufen: „De Waffe des Populismus es laut sin un hück sin mir lauter.“ Auch solidarisiert sich Speimanes mit den Landwirten, die noch am Tag der Sitzungspremiere wieder mit Traktoren durch Köln rollten. Mit lautem Getöse – und in der Knollendorfer Kneipe eine kleine neue Baustelle verursachend – fährt Speimanes auf einem grünen Traktor ein und ruft „Bauer to the Power“.

Kurz versucht der Literat der Sitzung sogar einen Kappes, statt der Woosch, für den Präsidenten einzuführen, allerdings ohne Erfolg. Das ist nicht schlimm, schließlich ist die Woosch des Hänneschens doch die nachhaltigste der Welt, so wird festgestellt: Wiederverwertet seit 1802. Denn dieses Jahr feiert das Puppenspiel jeckes 222. Jubiläum. 

Hänneschen-Theater feiert 222-jähriges Bestehen

Topaktuell ist es immer noch. Skelett Scully will Maskottchen für den Melatenfriedhof werden – für ein besseres Marketing der städtischen Bestattungen. Und Bärbelchen stellt fest, dass sie doch die kölsche Barbie ist, und tritt nicht mehr nur im Rock, sondern auch im Hosenanzug auf. Regisseurin Silke Essert und Regieassistentin Monika Salchert arbeiten Details wie dieses subtil, aber mit schlauer Aussagekraft ein.

Zum Jubiläum kommt die 2020 gestorbene Marie-Luise Nikuta als Engel mit goldenen Flügelchen zurück nach Köln und singt noch einmal das Mottolied zur Session, geschrieben von Puppenspieler Martin Moos. Das 16-köpfige Ensemble singt zur Begleitung der Hänneschen-Band: „Wat e Thiater – wat e Jeckespill, bei uns en Kölle määt doch jeder, wat hä will“.

Stärkste Nummer ist, wie auch bei der diesjährigen Stunksitzung, eine feministische Parodie auf Rammstein. Zänkmanns Kätt wird Sängerin von „Zahnstein“, eine bessere Besetzung hätte man sich nicht ausdenken können. Kätt mag ihre Groupies jung – zwischen 60 und 75 –, schreit raderdoll ins Publikum „Wollt ihr die Bühne brennen sehen?“ und rockt, statt wie das männliche Original zu einem übergroßen Phallus, zu einer Wasser spritzenden Brustwarze ab.

Jupp Schönberg verabschiedet sich als Puppenspieler nach 32 Jahren

Die Puppensitzung hat auch emotionale Momente. Zum letzten Mal wird Puppenspieler Jupp Schönberg dabei sein, der sich mit einem trost- und hoffnungsvollen Lied nach 32 Jahren vom Publikum und mit seiner Figur Bestevan von seiner Knollendorfer Frau Bestemo verabschiedet. Währenddessen mag man glatt vergessen, dass die Knollendorfer nur Puppen sind, wäre da nicht Puppenspieler Oliver Blum, der als Marc Metzger alias Blötschkopp einfallsreich die Grenzen zwischen Figuren und Realität verschiebt.

Feministischer Höhepunkt ist Röschens Sieg als Rös Chen Guevara mit ihrer Revolución gegen den etablierten Karneval. „Nix bliev wie et wor“, verwendet sie das Kölsche Grundgesetz als Drohung gegen das Patriarchat und setzt das Unvorstellbare in Köln durch: ein weibliches Dreigestirn. Den kämpferischen Ton legen die Frauen im Kostüm von Bauer, Jungfrau und Prinz nach ihrer Proklamation allerdings ab und besingen mit berührender Ernsthaftigkeit, dass das Geschlecht, sobald Köln erst ein weibliches Dreigestirn hat, „drissejal“ sein wird.

Puppensitzung 2024: „Wat e Thiater“, Hänneschen-Theater, Eisenmarkt, alle Termine ausverkauft. Mehr Informationen finden Sie unter www.haenneschen.de.

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