Stundenlanges SchlangestehenDer lange Weg hinein in Kölns Karnevalskneipen

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Zeitweilig war die Schlange vor dem Haus Unkelbach circa 60 Meter lang.

Zeitweilig war die Schlange vor dem Haus Unkelbach circa 60 Meter lang.

Köln – Der Mann wird schon gewusst haben, weshalb er sich nicht verkleidet. Pappnasen, Perücken, Matrosenhütchen – alles unsicher heute ob zu erwartender Windböen und Regenduschen.

„Prinzenspange muss reichen“, meint Alexander Manek, bevor er sich an diesem Donnerstag zum nunmehr 17. Mal dem Tagesgeschehen stellt: der jecken Beschlagnahme seines „Haus Unkelbach“ in Sülz.

Es ist 6.45 Uhr, als sich Paula, Fee und Geza neben dem Brauhaus-Eingang aufstellen und damit quasi die Pole-Position einnehmen. Die drei 20-Jährigen sind „um fünf aufgestanden“, um diesmal garantiert in den Besitz eines roten Einlass-Bändchens zu gelangen.

„Ein super Ort zum Feiern, ganz familiär und prinzipiell friedlich“, findet Geza. Während sich weitere Leute anstellen, stoßen die Freundinnen mit Kölsch an.

Die Ersten um 6.45 Uhr: Paula, Geza und Fee (v. l.)

Die Ersten um 6.45 Uhr: Paula, Geza und Fee (v. l.)

Ein Vergnügen, das Unkelbach-Wirt Manek sich bis Dienstag aufsparen wird. Auf den 43-Jährigen wartet ein strammes Programm.

Für ausreichend Toiletten gesorgt

Um 7.58 Uhr – also noch 193 Minuten vorm Startschuss zum Straßenkarneval − hat Flaschensammler Joachim, laut Manek „wichtigster Mann des Tages“, bereits eine ansehnliche Ausbeute. DJ Roberto trägt goldene Schuhe mit blinkenden Sohlen und verströmt Ruhe. Oben, im Ostermann-Saal, stärken sich etwa zwei Dutzend Köbesse mit Fleischwurstbrötchen, derweil das dreiköpfige Garderoben-Team im Untergeschoss seiner tageslichtfreien Schicht harrt.

Wichtigster Mann: Flaschensammler Joachim

Wichtigster Mann: Flaschensammler Joachim

Feuerlöscher und Sicherheitsbeleuchtung sind bereits kontrolliert. Auf eigene Sanitäter verzichtet Manek in diesem Jahr. „Seit wir auf Plastikgläser umgestellt haben, gibt es keine Schnittwunden mehr.“ Nicht gespart hat er an WCs. Aufgrund von Beschwerden aus der Nachbarschaft, Unkelbach-Gäste pinkelten in die Grünanlagen, hat Manek außer dem Toilettenwagen im Hof und zwei Dixi-Klos an der Straße fünf weitere an die benachbarte Wohnanlage gestellt, „was mir die Hausverwaltung verbieten wollte. Ich habe es aber trotzdem gemacht“.

Um kurz vor neun stehen Scheichs, Indianer, Hasen, Schotten und Sheriffs einträchtig auf einer Länge von circa 60 Metern Schlange. Fläschchen mit klebrigen Wodka-Mischungen kullern in den Rinnstein. Den ersten 400 Wartenden spendiert der Wirt Berliner.

Mitten in der Schlange: Weinperle Annika und Freundin Paula

Mitten in der Schlange: Weinperle Annika und Freundin Paula

Irgendwo steht Annika aus München in ihrem mit Flaschenkorken verzierten Kostüm, das sie als „Rheinische Weinperle“ ausweist. Neben ihr die 1,93 Meter große Pauline, eine waschechte Kölnerin, „an einem Karnevalssonntag im Severinsklösterchen geboren“. Weiberfasnacht und Unkelbach gehören für die 24-Jährige zusammen wie Nadel und Faden.

„Dicke Titten, Kartoffelsalat“

Als um 9.04 Uhr Nieselregen einsetzt, von Kölner Gastronomen ähnlich gefürchtet wie vor 20 Millionen Jahren der Säbelzahntiger, dreht sich Finne Pasi so, dass auch die Umstehenden hören können, was die Lautsprecherbox in seinem Rucksack von sich gibt: „Dicke Titten, Kartoffelsalat“.

Köbes Sascha füllt auf.

Köbes Sascha füllt auf.

Um 9.18 Uhr ist endlich Einlass. Binnen weniger Sekunden werden die strategisch besten Stehpositionen eingenommen – sprich: die Sitzbänke. Maneks Team, insgesamt knapp 50 Leute nebst Sicherheitspersonal, kassiert am Eingang 15 Euro pro Person und stattet die Jecken mit den begehrten roten Bändchen aus. „Ich gebe dir 500 Euro für zehn Stück“, versucht ein Mann auf der Straße zu handeln. Ohne Erfolg. Hier geht alles der Reihe nach.

Alexander Manek (l.) verteilt Einlassbändchen.

Alexander Manek (l.) verteilt Einlassbändchen.

Manek zählt zum wievielten Mal die Personen in der Warteschlange durch. „25 kannst Du noch reinlassen“, ruft er dem Türkontrolleur zu. Dann beginnt der Teil des Tages, den die Unkelbach-Belegschaft am nervigsten findet: „Die ewigen Diskussionen mit Leuten, die nicht einsehen wollen, weshalb wir sie nicht mehr reinlassen können.“ Bei maximal 900 Gästen – verteilt auf Innenraum und Hof – seien die Kapazitäten restlos erschöpft. Zum Glück habe es sich inzwischen weitgehend rumgesprochen, dass man nach zehn kaum noch Chancen habe, reinzukommen.

Kneipe innen

Bild aus vergangenen Jahren: In diesem Jahr bleiben die Karnevalisten zu Hause. Doch manche Lokale bieten zu Karneval Besonderheiten an.

Im „Alten Brauhaus“ und im „Bieresel“, Maneks weiteren Lokalen an der Severin- und Breite Straße, ist die Situation anders. In der Südstadt stehen 214 Leute Schlange, bevor der Gastronom aus Sülz seinen Leuten um 10.15 Uhr signalisiert, die Tür zu öffnen.

„Die Leute kommen rein und sind direkt lustig“

„Wir haben hier eine ganz andere Klientel, eher das Loss-mer-singe-Publikum. Die Leute kommen rein und sind direkt lustig.“ Gleichwohl komme es auch hier immer wieder zu Diskussionen auf der Straße mit Wartenden, die ihre Einlass-Chancen schwinden sehen. „Aber die haben sich vorgedrängelt!“, mault ein Jeck. Selber schuld, entgegnet der Wirt. Ihn ärgere vor allem, wenn die Leute, die bereits ihr Bändchen gekauft haben, mit ihren mitgebrachten Getränken vor der Tür blieben und anderen das Durchkommen erschwerten. 

Bieresel-Toilettenfrau Wilma mit Ehrengardist.

Bieresel-Toilettenfrau Wilma mit Ehrengardist.

Diese Gefahr besteht in der Innenstadt nicht. Im Bieresel, der sich langsam als „Ü-Unkelbach-Location“ etabliere – also von Leuten besucht werde, die sich dem Sülzer Brauhaus altersmäßig entwachsen fühlten −, öffnet die Tür um 11.45 Uhr. Eine Schlange davor gibt es nicht. Der angekündigte Sturm scheint manchen Jecken abgeschreckt zu haben. Dafür schunkelt drinnen Toilettenfrau Wilma mit Ehrengardist Michael.

12.30 Uhr: Im Haus Unkelbach hat die Luft inzwischen fast Körpertemperatur. Irgendwo mittendrin hüpft Pasi, der Finne. Anhand der zuvor in der Warteschlange studierten Spotify-Liste mit Ballermann-Hits hat der englisch sprechende junge Mann an diesem Donnerstag in Köln zumindest einen echten deutschen Grundsatz gelernt: „Du schaffst das schon.“

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