„Studienlage lückenhaft”Therapiepraxis für medizinisches Cannabis startet in Köln

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Symbolbild.

Köln – Die Aufmerksamkeitsstörung (ADHS) hat Sven Reiter (Name geändert) begleitet, seitdem er ein Kind war. Emotionale Unruhe, Probleme mit der Konzentration ließen ihn immer wieder anecken. In der Schule galt er als „Zappler“, wie er im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ sagt. Als Jugendlicher hat der heute 37-Jährige erstmals Cannabis probiert. „Das hat was mit mir gemacht. Das Laute in meinem Kopf war weg.“ Ein schlechtes Gefühl blieb aber, weil der Konsum von Cannabis illegal ist. So hat der Mann, der heute als Naturwissenschaftler arbeitet, Psychiater aufgesucht, über Jahre eine Therapie gemacht und Ritalin geschluckt.

Therapie vor allem via Telemedizin

Sein Zustand besserte sich nicht, die Nebenwirkungen des Ritalin seien dagegen groß gewesen, sagt Reiter. Emotionale Probleme, fehlendes Hungergefühl, Mundtrockenheit, um nur einige zu nennen. Seit ein paar Monaten ist Reiter nun Patient in der Telemedizinpraxis Algea Care, die sich auf Cannabis-Medizin spezialisiert hat. Sein behandelnder Arzt hat ihm Präparate zusammengestellt, die Reiter einige Male pro Tag in einem Inhalator zu sich nimmt. Sie helfen ihm, konzentrierter zu sein am Tag und besser zu schlafen in der Nacht. „Ich schlafe allein schon ruhiger dadurch, dass ich nun entkriminalisiert bin“, sagte er.

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Julian Wichmann

Algea Care ist nach eigenen Angaben der führende Anbieter in Deutschland, der eine vierstellige Zahl an Patienten mit Cannabis therapiere. Das 2020 gegründete Unternehmen mit Sitz in Frankfurt hat bundesweit sieben Filialen mit 60 Mitarbeitern, darunter auch an der Mülheimer Böckingstraße. Behandelt wird in erster Linie online, erläutert Geschäftsführer und Gründer Julian Wichmann.

Zwischen 100 und 140 Euro pro Gespräch

Man meldet sich im Internet an, schickt seine Krankheitsgeschichte per Mail. Diese sieht sich ein Arzt durch. Ein anschließendes Erstgespräch dauert in der Regel 30 Minuten, alle weiteren Gespräche werden über Videokonferenzen abgehalten. Die Ärzte können Rezepte ausstellen, die von spezialisierten Apotheken angenommen werden und per Kurier zum Patienten kommen. Die Gespräche kosten zwischen 100 und 140 Euro, die Medikamente müssen Patienten selbst zahlen. Behandelt werden nur Selbstzahler und Privatpatienten.

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Seit 2017 hat der Gesetzgeber Ärzten aller Fachrichtungen erlaubt, Cannabis zu medizinischen Zwecken an Patienten zu verschreiben. Im Kern gilt das Gesetz für schwer kranke Patienten, bei denen keine andere Therapie angeschlagen hat. Man geht derzeit von etwa 80.000 bis 100.000 Patienten bundesweit aus. Cannabis gilt als umstrittene Medizin. Ein Report der Techniker Krankenkasse und der Uni Bremen kommt zu dem Schluss, dass Cannabis nur bei Appetitstörungen (HIV), Übelkeit und Erbrechen (Krebspatienten nach Chemotherapie) und chronischen Schmerzen und möglicherweise bei Angststörungen und Schlaflosigkeit helfe. „Die Studienlage zu Cannabis als Medizin ist sehr lückenhaft“, heißt es in dem Bericht.

„Die Studienlage, nicht die Wirkung von Cannabis ist nicht ausreichend“, entgegnet Wichmann. Bevor das Gesetz 2017 Cannabis freigegeben habe, seien Dutzende Experten gehört worden. „Das war kein Schnellschuss, ohne Evidenz hätte es kein Gesetz gegeben.“ Zwar würden nur zwei Prozent der Ärzte mit Cannabis arbeiten. Dies sei aber möglicherweise Unwissenheit, mangelnder Erfahrung mit Cannabis und den Kosten der Therapie geschuldet. „Cannabis ist eben teurer als Aspirin.“ Am Ende sei es wichtig, was dem Patienten helfe. Die Therapieerfolge seien keine Einzelfälle. „Wir haben Schmerzpatienten, die nun frei sind von Opioden“, sagt Wichmann. Zumindest Patient Sven Reiter fühlt sich bei Algea Care gut behandelt: „Der Erfolg war wunderbar.“

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