Kölner KünstlerinSolmaz Vakilpour protestiert mit Schockbildern gegen Krieg

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Solmaz Vakilpour in ihrer Wohnung in Bocklemünd. Die Bilder darin hat sie selbst gemalt.

Solmaz Vakilpour in ihrer Wohnung in Bocklemünd. Die Bilder darin hat sie selbst gemalt.

Köln – Die Wirklichkeit ist manchmal schwer erträglich. Schlachtfelder zum Beispiel, Schlachtfelder mit toten Körpern anzuschauen, fällt schwer. Die Landschaft ist dann voller Schuld, und wenn ein totes Kind am Mittelmeerstrand liegt, ist es noch schwerer, dann hat die Schuld die Unschuld verzehrt, und für einen Moment spürt jeder das Böse und Ungerechte dieser Welt.

Die Wohnung von Solmaz Vakilpour ist auch so ein verstörendes Schlachtfeld. An den Wänden ihres Hochhausappartements im Görlinger Zentrum in Bocklemünd hängen Bilder vergewaltigter, blutüberströmter Frauen. Einer schwarzhaarigen Nackten steckt ein Messer in der Scham, eine andere geht in Flammen auf. Ihre Wohnung ist ein Schauplatz des Verbrechens, ihr Leben ist tief mit Unrecht und erlittener Gewalt verbunden, und so ist ihre Kunst. „Ohne die Bilder und die Aktionen“, sagt die 36-jährige Iranerin, „würde ich schon lange nicht mehr leben.“

Aufschrei für die Opfer von Krieg und Gewalt

Solmaz Vakilpour stellt Schlachtfelder aus Kriegsgebieten in der Öffentlichkeit nach, nackt, mit viel Theaterblut und voller Adrenalin. Viele, die die Szenarien sehen, am Kölner Hauptbahnhof oder vor dem Louvre in Paris, gucken kurz hin und schnell wieder weg, verschämt, überfordert. „Die Bilder sind wie meine Arme und Beine, ich kann nicht ohne sie leben, ich habe zu viel erlebt“, sagt sie. „Es gibt viele Menschen, denen es genauso so geht wie mir, die nicht in einer Blase leben wie die meisten Europäer.“ Die Aktionen sind ihr Aufschrei für die Opfer von Krieg und Gewalt.

Vakilpour hat den Warless Day („Kriegsfreier Tag“) ins Leben gerufen, einen Tag im Jahr, an dem sie sich mit anderen Aktivisten an einem öffentlichen Ort nackt auszieht und eine Schlachtfeldszene nachempfindet. Am kommenden Samstag, 20. Mai, ist es wieder so weit. Um 16.30 Uhr treffen sich Vakilpour, ihre Mitstreiter „und alle, die mit uns für einen kriegsfreien Tag im Jahr demonstrieren wollen“, vor der Neumarktgalerie, zu Füßen der riesigen Popart-Eistüte.

„Alles andere ist mir egal“

Nackt gegen jede Form von Krieg demonstrieren, das sei der kleinste gemeinsame Nenner, auf den man sich verständigen könne, sagt sie. „Einen Tag ohne Krieg im Jahr, und jedes Land, das sich nicht daran hält wird sanktioniert, das müsste in einem Leben doch zu schaffen sein“, sagt sie. Alles andere, warum der Iran nie ein freies Land sein werde zum Beispiel, die Geschichte mit dem Öl und den Interessen der Russen, der Amerikaner, der Europäer, die Geschichte der unterdrückten Frauen im Iran und in anderen islamischen Ländern, die verstehe niemand oder wolle niemand wirklich verstehen. „Ich will nur noch gegen Krieg und Gewalt demonstrieren, alles andere ist mir egal“, sagt sie.

Ihre Wohnung ist ein biografisches Museum, in dem sie mit ihrem Sohn Michael und ihrem Freund lebt. Michael ist 13, blässlich und hübsch, er komponiert eigene Klavierstücke und wirkt schüchtern. „Ich bin stolz auf meine Mutter“, sagt er leise, als er vom Zeitungsaustragen kommt und sich neben die Mutter auf die Couch setzt. Sie halten sich an der Hand. „Sie ist etwas Besonderes, sehr mutig, so etwas wie sie macht sonst niemand“, sagt er.

Wirkung bis nach Indien

Vakilpour, die mit 21 nach Deutschland floh, hat mit anderen Muslima vor dem Louvre in Paris nackt gegen Krieg und Unterdrückung demonstriert, es sei der erste Nacktprotest muslimischer Frauen weltweit gewesen, sagt sie. Einige Tage später demonstrierten in Indien Männer gegen Frauen, die sich in der Öffentlichkeit nackt zeigen, sie verurteilten explizit die Demonstrantinnen vor dem Louvre. Vakilpour wertet den Protest auch deswegen als Erfolg. Voriges Jahr hat sie am Internationalen Frauentag nackt vor dem Kölner Dom für Frieden und gegen die Diskriminierung von Flüchtlingen demonstriert. Der WDR berichtete über die Aktion. Sie ist nackt mit einem Fallschirm aus einem Flugzeug gesprungen, es gibt ein Video davon, sie hat panische Angst vor dem Sprung, es sei der erste nackte Fallschirmsprung einer Muslima gewesen, sagt sie. Die Reaktionen waren gleich Null. Sie bewarf die Saudi-arabische Botschaft mit Büchern, als im Iran wieder eine Frau gesteinigt wurde. Sie überzeugte eine Freundin aus dem Iran, sich im Rahmen des „Warless Day“ in Teheran nackt auf der Straße zu zeigen – das kurze Video erregte viel Aufsehen. Die Frau lebt inzwischen in Stuttgart und unterstützt Vakilpour.

Vakilpour sieht Femen kritisch

Ein Journalist hat einen Dokumentarfilm über Vakilpour gedreht. Als sie noch in Süddeutschland lebte, berichtete eine Lokalzeitung, ansonsten fällt das Echo eher verhalten aus – zumindest im Vergleich zu Werbeaktionen wie dem Dior-T-Shirt mit den Lettern „We should all be feminists“ für 550 Euro, mit dem sich Rihanna und Natalie Portman öffentlich zeigen und das seitdem um die Welt geht. Oder im Unterschied zu den nackten Protesten der Feministinnen von Femen, die Vakilpour kritisch sieht. „Die Frauen provozieren die Polizei und schrecken vor Gewalt nicht zurück, um krasse Bilder zu bekommen, das würde ich nie tun“, sagt sie. „Es geht in Europa nicht um Feminismus, es geht hier nicht um unterdrückte Frauen. Es geht um eine Gesellschaft, die sich unterdrücken lässt, um Menschen, die gelähmt sind vom Konsum und lieber Veganer werden, als für Freiheit zu kämpfen. Ich denke, wir brauchen mehr Menschen, die sich um andere Menschen kümmern, anstatt um Tiere.“

Vakilpour sagt, es gehe ihr um Aufmerksamkeit, natürlich, sie wolle aber niemandem schaden. An Radikalität glaubt sie, weil sie sie selbst erlebt hat. Europa wähnt sie in einer Blase aus Wohlstand und nur vermeintlicher Freiheit. Ihre Stimme wechselt ständig die Tonlage, oft ist sie brüchig, sie springt von Thema zu Thema wie ein Musiker, der Bach spielt und im nächsten Takt Bob Dylan, Jazz, Helene Fischer und AC/DC.

„Für mich sind die Aktionen Peanuts, Kindergeburtstag“

Solmaz Vakilpour in ihrer Wohnung in Bocklemünd. Die Bilder darin hat sie selbst gemalt.

Solmaz Vakilpour in ihrer Wohnung in Bocklemünd. Die Bilder darin hat sie selbst gemalt.

Wenn man sie fragt, warum sie so extreme Aktionen initiiere, sagt sie: „Mir ist das egal. Für mich sind die Aktionen Peanuts, Kindergeburtstag.“ Vakilpour trägt unter dem Wollkleid nur einen BH, der Rock ist sehr kurz. Sie ist stark geschminkt und strahlt etwas sehr Sexuelles aus. Das ist ein Teil ihrer Kunstfigur und ihrer Geschichte. Sie erzählt, dass sie in Teheran mehrfach vergewaltigt worden sei. Sie erzählt die Geschichte eines Mädchens, das wild war, das sagte, was sie dachte, über Bigotterie, Unfreiheit, Machismo, Unterdrückung der Frauen und Sex im Iran, das ihren Eltern Widerworte gab und geschlagen wurde, die man behandelte wie Kaugummi, und genauso wenig kaputtzukriegen war; die irgendwann nur noch nackte Frauen malte und zusehen musste, wie ihre Mutter die Bilder zerstörte. Die Details, die sie aus ihrem Leben schildert, sind schwer erträglich. Man schreckt davor zurück, wie man vor den Bildern zurückschreckt, die sie malt, wie man vor Leichenbergen zurückschreckt.

Man ist sich manchmal nicht sicher, wie sich Traumata und Erlebtes in ihren Erinnerungen mischen, das mag an ihrer Stimme liegen, die zerrissen klingt und überbordend, oder an ihrer tiefen Empörung. Sie sagt, sie sei Silvester 2015 am Kölner Hauptbahnhof gewesen, um zu feiern. Die sexuellen Belästigungen nennt sie „eine geplante Aktion“. Wie die Männer gegrapscht hätten, wahllos, schnell, „so tun das keine Männer, die eine Frau wirklich vergewaltigen wollen“. Sie nennt die Mordfahrt des IS-Terroristen Anis Amri eine „Aktion“ und die Anschläge von Paris, „Symbolaktionen, mit denen es ein paar Menschen schaffen, ganze Länder zu lähmen und ihren Verstand zu vergessen“. Sie redet sich in Rage, spricht von „verloren gegangener Männlichkeit der Männer, die im Nahen Osten die Kontrolle über ihr Leben verloren haben und dieses Trauma mit nach Deutschland bringen“, und der verlorenen Männlichkeit der westlichen Männer, die sich nicht mehr unterscheiden dürften von Frauen. „Es ist gefährlich, was ich sage, Feministinnen werden mich dafür zerreißen“, sagt sie.

Zu radikal für die breite Masse

Man könnte ihre Kunst schnell als eine Art Selbsttherapie bezeichnen, aber womöglich ist das ein Klischee: Vakilpour spiegelt auch die Vorurteile und Furcht einer Gesellschaft, die Angst davor hat, selbst nackt dazustehen. Von ihren Unterstützern trauen sich nur die wenigsten, sich in der Öffentlichkeit auszuziehen. Ihre Aktionen sind wohl zu radikal, um eine breitere Masse zu erreichen. „In Deutschland bekommen 18-jährige Mädchen Depressionen, weil sie kein Zungenpiercing haben dürfen, solange sie zu Hause leben. Die Jugendlichen ritzen sich die Haut, machen Bungee-Jumping oder nehmen Drogen, um sich zu spüren. Dabei könnten sie sich hier einfach lieben und sich loslösen vom Konsum, der sie träge und kaputt macht. Aber sie sind zu schwach, das ist das Schlimme, im Westen sind die Menschen krank, aber sie könnten gesund sein, ich verstehe das nicht, im Iran sind sie krank, weil sie unterdrückt werden und weil sie auch zu schwach sind“. Vakilpour will das gerade nicht: schwach sein. Sie spürt sich, wenn sie in der Öffentlichkeit für Frieden demonstriert, nackt. Es sind ihre Siege über die Angst.

Vakilpours Leben wurde die Unschuld gewaltsam genommen. Ihre Oberfläche ist beinahe unversehrt geblieben, ihre Stirn ist glatt, der Ausdruck offen, melancholisch und verletzlich, man könnte sie viel jünger schätzen als 36, sie fühlt sich viel älter. Ihre Beine sind mit kleinen Narben übersät, ihre Augen wässrig, sie haben zu viel mitansehen müssen, ohne etwas ändern zu können. Vielleicht, sagt sie, sei ihre Kunst ein Kriegsschauplatz, vor dem sich die meisten lieber schützen. „Das ist mir egal.“ Sie sagt das oft: „Das ist mir egal.“

Vakilpour redet wie ein Strom, zweieinhalb Stunden, fast ohne Unterbrechung, sie versteht nicht, warum Deutschland sich an Kriegen beteilige, transatlantische Verpflichtungen will sie nicht gelten lassen, Deutschland solle sich raushalten, wie die Schweiz, sie versteht nicht, warum die wohlhabenden europäischen Länder, deren Volkswirtschaften doch blühten, sich nicht fernhielten von dem globalen Gemetzel. „Kann sein, dass das naiv ist, so zu denken“, sagt sie. „Aber vielleicht sind ja auch die naiv, die es einfach alles geschehen lassen.“

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