Lale Akgün im Interview„Diese Moschee soll niemals vollendet werden“

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Die ehemalige Bundestagsabgeordnete Lale Akgün.

Frau Akgün, Sie kritisieren die Türkisch-Islamische Union Ditib regelmäßig als verlängerten Arm der Regierung in Ankara. Angesichts der Beschimpfungen türkischstämmiger Bundestagsabgeordneter durch den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan und anschließenden Morddrohungen wegen der „Armenier-Resolution“ des Bundestags hat sich die Ditib von „hetzerischen Diffamierungen, Gewaltbereitschaft und entmenschlichenden Anfeindungen“ distanziert. Eine Distanzierung auch von Erdogan?

Natürlich nicht. Eine Behörde des Staates kann sich nicht vom Präsidenten des Staates distanzieren. Das ist ganz und gar unmöglich. Deshalb formuliert die Ditib ihre Absage an Schmähungen oder den Aufruf zu Hass und Gewalt auch denkbar abstrakt und als Mahnung „an alle“. Das ist das Äußerste, was sie sich abringen kann. Es ist ein einziges Lavieren mit dem Ziel, in Deutschland noch irgendwie gesellschaftskonform anzukommen, ohne damit der großen Linie der türkischen Politik in die Quere zu geraten.

Woran machen Sie das fest?

Die Ditib, die doch eine „muslimische Religionsgemeinschaft“ sein will, hat sich in Berlin an den politischen Protesten gegen die Armenier-Resolution des Bundestags beteiligt und im Namen ihrer Mitglieder die Verurteilung des Völkermords vor 100 Jahren als „Fehlentscheidung“ kritisiert.

Das ist doch in der Demokratie das gute Recht auch eines muslimischen Verbands.

Der hier aber als zivilgesellschaftliches Echo regierungsamtlicher Positionen auftritt. Die Ditib hat es wieder einmal versäumt, für einen eigenständigen „deutschen Islam“ aufzutreten. Die Kinder türkischer Eltern im Bundestag sind deutsche Abgeordnete. Ihre Loyalität gilt dem deutschen Volk und seinen Interessen. Dafür haben deutsche Wähler sie ins Parlament entsandt. Aber das will den Herren in Ankara nicht in den Kopf, und die Ditib ist die Letzte, die es ihnen beibrächte. Ich glaube übrigens, unter den Deutschen türkischer Abstammung halten viele es für richtig, dass das Tabu des Völkermords an den Armeniern nach 100 Jahren aufgebrochen und über die Vergangenheit offen geredet wird. Aber das sagen sie nicht offen.

Warum nicht?

Aus Angst. Angst ist ein weit verbreitetes Gefühl in der türkischstämmigen Community. Werde ich womöglich bedroht? Werde ich bei Reisen in die Türkei an der Grenze festgehalten und schikaniert? So weit ist es schon gekommen. Dazu aber hören Sie von der Ditib kein Wort. Sie ist in Selbstblockade und Erstarrung gefangen. Es soll weder einen deutschen Islam geben noch eine türkischstämmige Gemeinschaft, die nicht am Gängelband Ankaras hängt. Das beste Symbol dafür ist die Kölner Moschee.

„Sie soll niemals vollendet werden“

Weil die Arbeiten wegen der schwebenden Rechtsstreitigkeiten über Baumängel nicht vorangehen?

Ich bitte Sie! Wer so einen Konflikt über Jahre laufen lässt, hat kein wirkliches Interesse an einer Lösung. In vergleichbaren Zeiträumen sind in der Türkei ganze Flughäfen, Sportstätten, eine Metro unter dem Bosporus und andere Großprojekte gebaut worden. Weil die Regierung das so wollte. In Köln will sie das nicht. Es gab eine Zeit, in der sich viele – auch ich – für diese Moschee starkgemacht haben. Sie sollte zu einem Wahrzeichen für das Zusammenwachsen der Religionen und Kulturen werden. Diese Zeit ist längst vorbei.

Immerhin steht die Moschee.

Als Bauruine! Und ich behaupte: Das soll sie auch bleiben. Diese Moschee soll gar nicht weitergebaut werden. Sie soll niemals vollendet werden.

Eine kühne These! Haben Sie dafür irgendwelche Belege?

Sie müssen sich nur ansehen, was Herr Erdogan sagt und was auf türkischen Internet-Seiten über diese Moschee gesagt wird. Erdogan möchte in der Türkei die osmanische Kultur wiederbeleben. Wenn es dann heißt, die Kölner Moschee sei „nicht osmanisch“ genug, dann ist das verräterisch. Im Übrigen sei Paul Böhms Modell auch überhaupt nur zum Zuge gekommen, weil die deutschen Behörden einer Moschee im eigentlich gewünschten osmanischen Stil keine Baugenehmigung erteilt hätten. Das ist blühender Unsinn. Ich saß ja 2006 mit in der Jury und habe miterlebt, dass Böhms Entwurf für den Geschmack der türkischen Architektur-Experten damals sogar noch zu klassisch war und sie sich einen noch moderneren, progressiveren Auftritt gewünscht hätten. Dazu kam es zwar nicht, aber eben auch nicht zu einer „osmanischen Moschee“ nach dem Herzen Erdogans.

Und daraus folgern Sie nun eine Absetzbewegung der Ditib von der Moschee?

Sie passt erkennbar nicht zu der von Erdogan vertretenen Ideologie. Unvorstellbar, dass er – was er ja wohl müsste – nach Köln käme, um dieses Werk eines christlichen Architekten und Kirchenbaumeisters zu eröffnen! In dieser Situation erweist sich die Ditib als politisches Chamäleon: Sie nimmt die Farbe der Regierung an und folgt als Behörde brav den Vorgaben aus Ankara. Das kann für die Moschee nur bedeuten: Sie geht einem kalten Abriss entgegen.

Zur Person

Lale Akgün, geboren 1953 in Istanbul, ist Diplom-Psychologin. Die Kölner SPD-Politikerin war von 2002 bis 2009 Bundestagsabgeordnete. Akgün war unter anderem für die Themen Migration und Integration zuständig. Sie kritisiert die islamischen Religions-Verbände und tritt engagiert für einen liberalen Islam insbesondere in Deutschland ein. (jf)

Studie zur Stimmung türkischstämmiger Bürger

Fast alle türkischstämmigen Bürger fühlen sich in Deutschland wohl, aber nicht ausreichend anerkannt. Gut die Hälfte kommen sich als Bürger zweiter Klasse vor, egal wie sehr sie sich anstrengen, dazuzugehören. Das sind Ergebnisse einer repräsentativen Emnid-Umfrage. Gefühle sozialer Benachteiligung sind aber nicht weiter verbreitet als in der Bevölkerung insgesamt. Das Bild der persönlichen Lebenssituation Türkischstämmiger sei damit „positiver, als man es angesichts der vorherrschenden Diskussionslage zur Integration erwarten würde“, sagte der Religionssoziologe Detlef Pollack vom Exzellenzcluster „Religion und Politik“ der Universität Münster.

Der Mangel an sozialer Anerkennung steht im Zusammenhang mit einer teilweise vehementen Verteidigung des Islams. In scharfem Gegensatz zur Mehrheitsbevölkerung schreiben die Türkischstämmigen ihm vor allem positive Eigenschaften wie Solidarität, Toleranz und Friedfertigkeit zu. Zwei Drittel denken, der Islam passe in die westliche Welt.

Die religiöse Praxis nimmt in der Generationenfolge ab. Zugleich aber schätzen sich jüngeren Generationen mit 72 Prozent weit mehr als religiös ein als die erste Generation (62). Offenbar geht es hier weniger um gelebte Religiosität als um die Suche nach einer kultureller Identität.

Ditib und Moschee

Die Türkisch-Islamische Union  ist mit 900 Moschee-Vereinen türkischer Prägung einer der größten Islamverbände in Deutschland. Zwar nach deutschem Vereinsrecht organisiert, arbeitet sie  faktisch als eine Unterbehörde des Religionsministeriums in Ankara mit einem Botschaftsrat als Vorsitzendem. Die Bundeszentrale des Verbands hat ihren Sitz in Köln. 

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