Mein VeedelWerner Köhler zeigt seine Südstadt

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Einfassen, autofreie Zone, ein paar Bäume – „dann wäre der Chlodwigplatz wunderschön“, sagt Werner Köhler.

Einfassen, autofreie Zone, ein paar Bäume – „dann wäre der Chlodwigplatz wunderschön“, sagt Werner Köhler.

Köln – Werner Köhler humpelt; er zwingt sich zur Langsamkeit, dabei müsste es jetzt eigentlich schnell gehen. Das Büro von Kofi Annan hat vorhin angerufen, der frühere Generalsekretär der Vereinten Nationen möchte seine Biografie nächstes Jahr auf der Lit. Cologne vorstellen, Köhler muss einen Saal für Annan organisieren, „das müsste heute passieren“.

Wohin, wenn ihm nichts einfällt? Der Mitgründer und Geschäftsführer des Literaturfestivals Lit. Cologne, Schriftsteller, Gourmetkoch, Ex-FC-Fan und Fußlahmer, seit er vor drei Monaten an der Achillessehne operiert wurde, hinkt von seinem Büro in der Maria-Hilf-Straße Richtung Formula Uno am Zugweg. „Da gibt es den besten Espresso der Südstadt.“ Da geht auch sein verschrobener Krimi-Kommissar Crinelli hin, wenn ihm nichts einfällt. In Köhlers Crinelli-Krimis heißt das Formula Uno Ferrari-Bar. Ein bisschen abgewrackt, ziemlich lässig. „Hier im Karree wohnen fast nur Italiener, der Sarde neben dem Sizilianer, in Italien würden die aufeinander schießen“, sagt Köhler. „Bei Europa- oder Weltmeisterschaften sperren die hier die Straße ab, ohne Genehmigung, und die Stadt lässt das durchgehen, weil es alle gut finden und feiern.“ Er auch, klar.

Populismus ist unsere Sache nicht

Das Formula Uno hat geschlossen, sein Lieblingsitaliener Teatro auch, die Frage, wo Kofi Annan während der lit.Cologne lesen könnte, bleibt vorerst ungeklärt. Bei der Beantwortung kann auch Klaus Meyer nicht helfen. Meyer ist ein Freak mit Wuschelkopf und Zottelbart – und Köhlers Friseur. Heute früh war er erst in dem Laden in der Darmstädter Straße – wegen der Kölschkneipe nur „Backesweg“ genannt – um sich frisieren zu lassen. „Der Klaus ist ein echter Linker, mit dem kann man wunderbar plaudern“, sagt Köhler. An einer Wand hängt eine Kunstarbeit mit der Aufschrift „Schnauze Sarrazin“. Nein, Sarrazin würden sie zur Lit. eher nicht einladen. „Populismus ist unsere Sache nicht.“

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Der Laden ist eher Jazz- und Polit-Kneipe als Friseursalon. Die Musik laut, die Tapete voll mit Fotos von Bühnengrößen. „Der Klaus ist Jazzmusiker, der schneidet, wie er möchte, aber das ist mir egal“, sagt Köhler. „Ich schneide nach Wunsch meiner Gäste“, schnurrt Meyer, bevor er sich an Pink-Floyd-Schlagzeuger Nick Mason erinnert, vor ein paar Jahren auf der Lit.. „Der Mason ist ein Autofreak wie ich. Du hattest mir Karten besorgt, Werner.“ „Ja, weil alle weg waren.“ Köhler hinkt zur Tür hinaus, in sechs Wochen wird er wieder Meyers Schere über sich ergehen lassen. Das Erlebnis ist es ihm wert.

Viele Geschäfte haben aufgegeben

Die nächsten Urviecher, zu denen es Köhler hinzieht, sind nicht weit. Seit 50 Jahren verkaufen Manfred, Dieter und Jochen Kolbe an der Bonner Straße 92 Haushaltswaren. Seit über sieben Jahren ist vor dem Geschäft eine Baustelle. Lange klaffte ein riesiges Loch für den U-Bahn-Schacht vor der Ladentür. Viele Geschäfte haben aufgegeben, die Kolbe-Brüder nicht. Obwohl ihre Kunden ein Jahr lang über den Hof und durch den Keller ins Ladenlokal kommen mussten und die Brüder im Umgang miteinander eher wortkarg sind. Mit den Kunden sprechen sie umso lieber. Köhler sagt: „Ich kenne keinen Hauswarenladen, in dem der Service besser ist. Selbst eine kleine Espressomaschine haben sie mir nach Hause gebracht.“ Eine Waschmaschine, in einem Discount-Elektromarkt als Riesenschnäppchen gepriesen, habe er bei den Kolbes zum gleichen Preis entdeckt. „Wir versuchen, die Preise anzupassen“, sagt Manfred Kolbe. Immer gehe das nicht. „Dafür weiß man bei Ihnen genau, was man kriegt“, sagt Köhler. Die Küche für ihr Büro haben die drei Lit. Cologne-Geschäftsführer bei den Kolbe-Brüdern geordert. In ein paar Tagen liefern sie einen neuen Kühlschrank.

Der Hüne humpelt Richtung Chlodwigplatz. Schnell geht nicht, auch nicht bei seinem neuen Roman, der Fortsetzung seines Erstlings „Cookys“, einer Geschichte über den Verlust der Kindheit und die Leidenschaft zum Kochen. Die Romangedanken lahmen. „Im Moment überlege ich, alles in die Tonne zu kloppen. Je mehr ich lese und schreibe, desto mehr zweifle ich, desto öfter sehe ich Fehler und Fallstricke beim Schreiben.“ Ende des Jahres ist Abgabetermin.

Kein Sinn ohne Sinnlichkeit

Werner Köhler ist 56. Er hat drei Monate vor dem Abitur die Schule geschmissen, Buchhändler gelernt, war Geschäftsführer eines großen Kölner Buchhandelsunternehmens. Bei einem Eis mit Rainer Osnowski entstand die Idee zu einem Literaturfestival. Köhler arbeitet dafür seitdem ebenso viel wie als Geschäftsführer im Buchhandel, obwohl er das eigentlich nicht wollte. „Aber ich arbeite selbstbestimmt. Das ist ein Riesenunterschied.“ Klingt nach Pippi Langstrumpf, die nur macht, was sie will. Ist vielleicht auch ein bisschen so. Köhler lotst mit seinen Kollegen Osnowski und Edmund Labonté Schriftsteller nach Köln, die er mag, und lässt sie mit Leuten sprechen, die er mag. Bücher schreibt er nicht zuletzt, um klarzuwerden mit sich selbst. Und kocht, weil es ohne Sinnlichkeit keinen Sinn machen würde. Bloß nicht fernsteuern lassen, bloß nicht taktieren, bloß nicht zu viele Lesungen, die nur die akademische Elite versteht, bloß immer wieder überraschen! Er sagt: „Ich hasse Langeweile.“

Die Vorstellung, da stehe kein Erwachsener, sondern ein Kind vor einem, gelingt bei Werner Köhler leicht: Weil er sich einen Espresso im italienischen Feinkostgeschäft Ludari auf der Severinstraße so genüsslich einverleibt wie die Geschichten von Friseur Klaus. Weil er Vorurteile und Klischees nicht ausstehen kann: „Diese ganze Köln-Düsseldorfer-Folklore zum Beispiel.“ Klar könne er sich auch vorstellen, in Düsseldorf zu leben. „Warum denn nicht?“ Zum 1. FC Köln nur so viel: Dauerkarte gekündigt, er gucke „manchmal nicht mal mehr auf die Ergebnisse“. Lange Liebe, brutal enttäuscht. Um seinen intellektuellen Liebhaber, der so gar nicht den Kultur-Attaché raushängen lässt, zurückzugewinnen, bräuchte der Verein ein völlig anderes Gesicht. Ein paar Schönheitsschnipseleien und Brust aufblasen reichen Köhler nicht mehr.

Mit dem Chlodwigplatz ist es so ähnlich. Coladosen und Pizzapackungen fliegen neben der U-Bahn-Baustelle herum. Köhler seufzt. „Wie leicht man hieraus ein Schmuckstück machen könnte.“ Einfassen, autofreie Zone, ein paar Bäume, „dann wäre der Platz wunderschön und ein paar andere Geschäfte als Systembäckereien und Imbiss-Buden fänden ihren Platz“. Das „Früh em Veedel“ sei so ein Schmuckstück. „Hierher gehe ich nach Konzerten mit meinem Freund, dem Kiwi-Verleger Helge Malchow hin, um die düsteren Gedanken ans Altern wegzutrinken. Wir sind ja immer die Ältesten bei den Konzerten.“ Köhler hört eher die härteren Sachen, Rock, Independent. Es darf krachen.

Die Glocken von Sankt Severin schlagen zwölf. Köhler wohnt mit seiner Frau gleich hinter der Kirche. „Die Glockenschläge geben den Tagen und Nächten einen Takt, das finde ich wunderbar.“ Jetzt erinnern die Glocken ihn daran, dass er heute zwischen 5 und 6 Uhr wachgelegen hat. „Als die Kirche saniert wurde und die Glocken nicht schlugen, haben sich einige alte Damen im Viertel beschwert. Ihr Tagesrhythmus war gestört.“ Was nachts rund um die Kirche passiert, findet Köhler beschämend. „Hier ähneln sich Mensch und Tier frappierend.“ Wenn Karneval nicht nur der Alkohol in den Straßen fließt, flieht Köhler. „Karneval ist eine Glaubensfrage.“

Kein Abgesang auf Severinstraße

Auch die Frage nach dem Lieblingsmetzger ist Glaubenssache: Köhler ist „Hennesianer“, er schwört auf Fleisch und Wurst von Hennes. Die Metzgersfrau winkt beschwingt, als höre sie drinnen, was Köhler draußen sagt. Den Abgesang auf die Severinstraße will Köhler heute nicht anstimmen. Nur noch ein Wort zum Rheinufer, weil er dem Fluss so gern zuhört und zuschaut. „Die Stadt hat eine historische Chance verpasst, den Rhein an die Südstadt anzubinden. Man hätte die Rheinuferstraße in den Tunnel legen müssen, zumindest den U-Bahn-Tunnel bis zum Rheinufer durchziehen müssen.“

Durchziehen kann man nicht mal zu Fuß. Zwei Ampelschaltungen braucht es, um an den Fluss zu gelangen. „Das ist eine Farce.“ Nicht nur für einen Fußlahmen.

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