SpurensucheDie Telegrafenstation Flittard sendete von Berlin nach Köln in 13 Stunden

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Die Flittarder Station war Teil der Telegrafenlinie Berlin-Koblenz, der die Deutsche Post zum 150. Jubiläum eine eigene Briefmarke widmete.

Die Flittarder Station war Teil der Telegrafenlinie Berlin-Koblenz, der die Deutsche Post zum 150. Jubiläum eine eigene Briefmarke widmete.

  • Die Telegrafenstation Nr. 50 an der Egonstraße war eine von rund 60 Empfangs- und Sendestellen.
  • 1834 nahm die mit 550 Kilometern längste Telegrafenlinie Mitteleuropas ihren Betrieb auf und machte berittene Boten überflüssig.

Flittard – „An drei Abenden zog der Pöbel in Trupps durch die Straßen. Die Bürgerschaft wirkte beruhigend. Seit gestern ist alles ruhig und kein Zeichen der Erneuerung vorhanden.“ So hieß es einen Tag, bevor im Jahr 1848 in Berlin die Märzrevolution ausbrach, in einer telegrafischen Nachricht an das Kölner Regierungspräsidium, veröffentlicht in einer Extraausgabe der Kölnischen Zeitung. Das Blatt, das eine der führenden überregionalen Zeitungen war und aus dem viel später der „Kölner Stadt-Anzeiger“ hervorgehen sollte, hatte die Depesche von der Berliner Regierung erhalten.

Möglich war dies dank eines Kommunikationssystems, von dem in Flittard die Telegrafenstation Nr. 50 an der Egonstraße zeugt. Sie war eine von rund 60 Empfangs- und Sendestellen des preußischen optischen Telegrafen, mit dessen Hilfe sich zwischen Berlin und Koblenz als Sitz des Oberpräsidenten der Rheinprovinz Nachrichten übermitteln ließen. 1834 nahm die mit 550 Kilometern längste Telegrafenlinie Mitteleuropas ihren Betrieb auf und machte berittene Boten überflüssig. Nicht einmal 20 Jahre später musste sie selber der elektromechanischen Telegrafentechnik weichen: Im Oktober 1852 wurde auch der Betrieb der Etappe Köln-Koblenz eingestellt.

Teil des Stadtmuseums

Die Station in Flittard, die von 1964 bis 1971 mit Unterstützung der Industrie- und Handelskammer von der Stadt wiederhergerichtet wurde und bis 2005 eine Außenstelle des Kölnischen Stadtmuseums war, steht für einen der fünf Grundtypen von Stationsgebäuden, die errichtet wurden, wenn es keine Möglichkeit gab, eine Station am notwendigen Ort in ein bestehendes Gebäude zu integrieren. Es ist ein heute drei-, ursprünglich vierstöckiges Wohnhaus mit Signalturm und angebautem Wirtschaftsgebäude.

Den etwa zehn Meter hohen Signalmast, der auf dem Dach emporragt, haben Auszubildende des Bundesbahnausbesserungswerks in Nippes gefertigt. Der Mast mit drei Paaren von Signalarmen und das darunter liegende Observationszimmer, von dem aus sich die sechs „Zeiger“ mit Seilzügen verstellen ließen, bilden den Kern der Anlage, in der wie auch anderswo zwei Telegrafisten arbeiteten. Arbeitsteilig beobachtete einer von ihnen durch ein Fernrohr regelmäßig die beiden nächstgelegenen Stationen – in Schlebusch und auf dem Mittelturm von St. Pantaleon, –, gab an den Kollegen weiter, wie sich die Stellung der Signalflügel bei den Nachbarn geändert hatte, und dieser richtete die „Zeiger“ der eigenen Station entsprechend aus.

Durch die verschiedenen Stellungen jedes einzelnen Signalarms ergaben sich mit denen der anderen fünf Flügel 4096 Kombinationsmöglichkeiten, also weit mehr als die Zahl der Buchstaben und der Ziffern von Null bis Neun. Deshalb ließen sich in chiffrierter Form nicht nur einzelne Buchstaben, sondern auch Wörter und Satzteile übermitteln. Vorausgesetzt, es war hell genug und es herrschte gute Sicht. Pro Minute konnte das Zwei-Mann-Team der Station anderthalb bis zwei Zeichen weitergeben. So wanderte es vom Ursprungsort auf der Berliner Sternwarte über etliche Stationen, die durchschnittlich elf Kilometer weit auseinanderlagen, bis zur Feste Ehrenbreitstein, von der es ein Bote, der über den Rhein übersetzen musste, nach Koblenz brachte; das erübrigte sich, nachdem auf dem Kurfürstlichen Schloss der Stadt an der Mosel eine weitere Station errichtet worden war.

Mitarbeiter mussten spiegelverkehrt ablesen können

Das System hatte sich der Geheime Postrat Carl Philipp Hinrich Pistor, der sich an Vorbildern im Ausland orientierte, im Dienste des preußischen Generalstabs ausgedacht. Aufbau und Betrieb oblagen ebenfalls dem Militär, in Gestalt eines Königlich Preußischen Telegraphendirektors. Funktionieren konnte die Nachrichtenkette auf der Basis von Sichtkontakt nur mit gut ausgebildetem Personal; intensive Einarbeitung und regelmäßiges Üben waren vorgeschrieben. So musste jeder Telegrafenbeamte die Codierung – das Zeichen aus sechs Flügelstellungen – auch spiegelverkehrt ablesen können, weil der Nachrichtenverkehr ja in beide Richtungen lief. „Das Telegrafieren ist keineswegs ein so leicht Geschäft, dass es von einem Jeden, der nur dazu abgerichtet wird, betrieben werden könnte“, heißt es in der „Instruction“ für die Telegrafisten.

Allerdings war es nicht nötig, die Inhalte der Botschaften zu verstehen; es galt lediglich, die Stellungen der Signalflügel fehlerfrei weiterzugeben. Nur am Anfang und Ende der Kette, bei den „Expeditionen“ genannten Versandabteilungen, wurden die Nachrichten entweder chiffriert oder dechiffriert und waren somit auch ihrer Bedeutung nach bekannt. In dieser Hinsicht bekam Köln eine besondere Funktion: 1836 eröffnete neben Berlin und Koblenz ein drittes Expeditionsbüro an der Telegrafenstation auf St. Pantaleon. Seitdem mussten für die preußische Regierung bestimmte, in Köln eintreffende Nachrichten aus England oder Belgien nicht zunächst von einem Boten nach Koblenz gebracht und von dort wieder über Köln nach Berlin telegrafiert werden, sondern konnten einen schnelleren Weg nehmen.

So schnell, wie es mit dieser Technologie eben möglich war. Eine Botschaft aus 210 Wörtern, 1840 von Berlin nach Köln gesandt, brauchte 13 Stunden. Das Wetter, Nebel zumal, konnte die Telekommunikation erheblich erschweren, wenn nicht ganz unterbinden. Doch vor Erfindung der elektromagnetischen Telegrafie gab es keine Alternative. Zur Not wurden Bürger enteignet, wenn anders keine Station geschaffen werden konnte. Das Grundstück in Flittard trat Graf Egon von Fürstenberg-Stammheim kostenlos dem preußischen Staat ab. Der ließ ein vierstöckiges Gebäude bauen. Nach der Einstellung des Telegrafiebetriebs wurden zwei Etagen abgetragen. Der Bau verkam mehr und mehr, obwohl er weiter bewohnt war. Bei der Rekonstruktion wurde nur ein Stockwerk wieder aufgesetzt. Zu Anschauungszwecken entstand erneut ein Observationsraum, allerdings mit Attrappen an Stelle von echten Fernrohren. 2005 beschloss der Stadtrat, das „kleinste Museum Kölns“ aus Kostengründen zu schließen; das Stadtmuseum ließ das Observationszimmer ausräumen. Der frühere Pächter, der mittlerweile der Eigentümer des Gebäudes ist, ließ 2006 den Mast mit den Signalarmen generalüberholen. Heute ist die Station Nr. 50 der alten Telegrafie-Strecke nur am Tag des offenen Denkmals der Öffentlichkeit zugänglich.

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