SpurensucheDer vergessene Volksgarten von Köln-Nippes

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Der Gartensaal, der auf dem Gelände der heutigen Schillstraße stand.

Der Gartensaal, der auf dem Gelände der heutigen Schillstraße stand.

Nippes – Es waren zehn Jahre, die das Viertel verzauberten. Im Nippeser Volksgarten flanierten Pärchen Hand in Hand, in einem – vermutlich von den Franzosen angelegten – Parkgelände, fuhren Familien auf schönen Kähnen auf dem Weiher.

Kinder stärkten sich in einer der damals beliebten „Milchcur- und Molkerei-Anstalten“, Erwachsene tranken Kaffee, Pfirsich-Bowle oder Bier zum Preis von 60, 30 oder zehn Pfennigen.

Bis zu 3000 Besucher kamen an einem Nachmittag, um Hunderennen, Kirmes oder Tanzveranstaltungen mit Musik zu sehen. „Der Nippeser Volksgarten erfreut sich schon jetzt einer besonderen Gunst des Publicums“, schrieb der „Kölner Stadt-Anzeiger“ zur Eröffnung am 20. Juni 1893.

Dass zwischen Nippeser Tälchen und Schillstraße einst ein Weiher lag, ist heute fast in Vergessenheit geraten. Dieser war aus einer ehemaligen Rheinrinne entstanden, maß etwa 300 Meter in der Länge und 20 Meter in der Breite und wurde vom Grundwasser gespeist.

Belegt ist der Teich, der mal größer, mal kleiner war, seit dem 13. Jahrhundert, vermutlich gab es ihn aber schon zur Römerzeit. Lange wurde der Weiher nur als Fischteich genutzt, mitunter brachen im Winter Brauereien Eis aus dem vereisten Gewässer heraus, um ihr Bier zu kühlen.

Buch über den Weiher

Das änderte sich im Jahr 1893, als Gustav Krähmer nach Nippes kam, wie Hobbyhistoriker und Nippes-Experte Reinhold Kruse in seinem Buch „Der Nippeser Weiher“ aus dem Jahr 2006 festgehalten hat.

Anlass für Kruses Recherche war eine Postkarte mit einem Bild des Volksgartens, die er von seinem Schwiegervater zugesteckt bekommen hatte. Dessen Großvater war niemand anderes als jener Gustav Krähmer, der 1893 den Nippeser Volksgarten eröffnete.

Diese Postkarte war Kruses erster Hinweis auf den vergessenen Nippeser Volksgarten.

Diese Postkarte war Kruses erster Hinweis auf den vergessenen Nippeser Volksgarten.

So entstand der Nippeser Volksgarten

Gustav Krähmer, der zuvor am Eigelstein lebte, hatte den richtigen Riecher und investierte in ein Restaurant am Weiher, dass sich zunächst an der Neusser Straße 311, später an der Neusser Straße 315 befand. Nippes war erst kurz zuvor, 1888, zu Köln eingemeindet worden und stand vor einer raschen Expansion.

Straßen wie die Schillstraße oder der Erzbergerplatz entstanden in jenen Jahren bis zum Ersten Weltkrieg, die Nippeser Bevölkerung erhöhte sich von 16.000 auf 41.000 Menschen.

Reinhold Kruse ist Experte für den Stadtteil Nippes.

Reinhold Kruse ist Experte für den Stadtteil Nippes.

Ein Flaniermeile tat also not, erkannte Krähmer. Doch er hatte mit Widerständen zu kämpfen. „Er war kein Ur-Nippeser, sondern ein Imi“, sagt Kruse. Deshalb sei er von manchen Nippesern zunächst nicht akzeptiert worden. Mehr noch: Für die Wirte, die es schon in der Umgebung gab, war das Volksgarten-Projekt eine unliebsame Konkurrenz.

So untersagte der Stadtrat zunächst das Volksgarten-Projekt, auch der örtliche Polizeikommissar Wilhelm Rodenkirchen erhob Einspruch. Krähmer erhob Widerspruch gegen den Einspruch und legte eine Unterschriftenliste von prominenten Bürgern, darunter auch Franz Clouth, vor, die sich für den Volksgarten aussprachen.

Gustav und Agnes Krähmer heirateten 1874.

Gustav und Agnes Krähmer heirateten 1874.

Kirmes, Ballonstarts, Eisbahn

Die Stadt lenkte im Juni 1893 schließlich ein – und der Volksgarten boomte schnell. Mal gab es eine Kirmes, mal bengalisches Feuer, mal startete ein Fesselballon vom Gelände aus.

Im Winter liefen Erwachsene auf einer Eisbahn Schlittschuh, während Kinder mit dem Schlitten von den mit Schnee bedeckten Böschungen rutschten. 1894 eröffnete Krähmer einen Gartensaal, der an der heutigen Schillstraße lag, um noch mehr Gäste bewirten zu können.

Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ schrieb am 10. Juli 1894: „Schon in den ersten Nachmittagstunden des Sonntags konnte man eine wahre Völkerwanderung nach unserer Vorstadt Nippes beobachten.“

60 Vereine kamen zur Eröffnung und boten dem Publikum ein Sängerfest, bevor der Abend mit einem kunstvollen Feuerwerk ausklang, dass sich im Wasser des Weihers spiegelte.

Ein Abenteuerspielplatz für Kinder

Besonders für die Kinder hatten Weiher und Volksgarten eine magische Anziehungskraft. Agnes Konsdorf, die 1893 in Köln geboren wurde und in Nippes aufwuchs, behielt das Parkgelände als Abenteuerspielplatz in Erinnerung.

Wenn die Schule vorbei, die Feldarbeit getan war, schlichen sich sie und ihre Freunde gerne auf das Gelände. Die Kinder kletterten über den Zaun, naschten Früchte von den Hecken, erinnert sie sich in einem Gespräch mit Kruse 1989. „Im Winter sind wir auf das Eis gegangen. Mein Bruder brach dabei einmal ein und stand brusttief im Wasser. Im Sommer, nach Regenfällen, kamen Tiere aus dem Teich. Überhaupt waren da viele drin: Salamander, Blutegel, Frösche. Das Quaken der Frösche haben wir bis ins Haus gehört.“

Warum es den Volksgarten heute nicht mehr gibt

Auf die Blütezeit des Festival-Areals folgte schnell der Untergang. Es war ein Abstieg auf Raten. Schon 1896 beschloss der Kölner Stadtrat einen Fluchtlinienplan für das Parkgelände: Das Areal zwischen Neusser Straße, Mauenheimer Straße, Simon-Meister-Straße und Merheimer Straße sollte langfristig bebaut werden.

Die Fotografie aas dem Nippeser Volksgarten zeigt die Front des Gartensaals mit dem Treppenaufgang.

Die Fotografie aas dem Nippeser Volksgarten zeigt die Front des Gartensaals mit dem Treppenaufgang.

„Für Krähmer muss das ein Schock gewesen ein“, sagt Kruse. Schon 1897 erhielt er – aus Gründen des Brandschutzes – keine Konzession mehr für seinen aus Holz errichteten Gartensaal, 1901 verkaufte er den Volksgarten.

Der neue Eigentümer, Karl Kliem, blieb mit dem Volksgarten glücklos und meldete schon nach zwei Monaten Konkurs an. Das Lokal wurde anschließend von einer Metzgerei erworben. 1902 wurde der Gartensaal abgebrochen, ein Jahr später der Weiher zugeschüttet – für die Bauarbeiten der Schillstraße.

Vorbei waren die Zeiten der bengalischen Feuer, der Fackelpolonaisen, der Hunderennen und der Fesselballons. Dort, wo einst das Restaurant stand, liegen heute die Häuser der Schillstraße 7 und 9.

Im früheren Restaurant an der Neusser Straße 315 wurde auch später zeitweise ein Lokal betrieben. Es fanden aber auch ein Kolonialwarenhandel, ein Turnverein, ein Sexshop und seit einigen Jahren eine Spielhalle an dieser Stelle ihr Domizil.

Gustav Krähmer, der Gründer des Volksgartens, hatte schon 1896 an der Weidenpescher Rennbahn ein Haus gekauft und eröffnete dort Restaurant, Hotel und Ställe unter dem Namen „Deutscher Sport“, das als Zielpublikum Jockeys hatte. Er starb 1909 mit 59 Jahren.

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