RazziaKöln ist ein Zentrum der Baumafia

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Sechs Uhr morgens in Kalk: Polizisten durchsuchen das Bistro des Hauptverdächtigen, Gabriele S.

Sechs Uhr morgens in Kalk: Polizisten durchsuchen das Bistro des Hauptverdächtigen, Gabriele S.

Köln – Im Glaskasten vor dem italienische Restaurant in Kalk hängt eine vergilbte Getränkekarte, Speisen werden gar nicht erst angepriesen. Zettel im Schaufenster laden zu einem italienischen Fest ein – im November 2012.

Es sieht nicht so aus, als hätte sich der Inhaber viel Mühe gegeben, Publikum anzulocken. „Wenn es hoch kommt, saßen in der Kneipe mal zehn Leute, alles Italiener, alle vor den Spielautomaten“, berichtet ein Anwohner.

Seit die Polizei das Lokal am Donnerstagmorgen durchsucht hat, scheint festzustehen: Inhaber Gabriele S. machte seinen Hauptumsatz nicht mit Espresso.

Vielmehr steuerte der 39-Jährige den Ermittlungen zufolge aus seiner Bar eine Zelle der italienischen Baumafia.

Polizei durchsucht 22 Wohnungen

Zeitgleich zur Durchsuchung verhafteten Beamte den Sizilianer in seiner Wohnung in Leverkusen. Er soll noch eine zweite Kneipe in Kalk besitzen, auch hier wurden die Fahnder vorstellig. Die Ermittlungen richten sich außerdem gegen vier weitere sizilianische Tatverdächtige, die in Köln leben. Insgesamt 22 Wohnungen durchsuchte die Polizei in der Stadt. Aber auch in Bergisch Gladbach, Pulheim, Bornheim, Troisdorf, im Ruhrgebiet und auf Sizilien schlugen Polizisten zu.

Insgesamt zwölf Männer gingen hierzulande in Untersuchungshaft, sechs auf der italienischen Insel. Federführend in dem umfangreichen Verfahren ist die Staatsanwaltschaft Köln. Mehr als 30 Millionen Euro an Steuern und Sozialabgaben sollen die Verdächtigen hinterzogen haben. Ihre mutmaßliche Masche ist so kompliziert wie erprobt – seit Jahrzehnten (siehe Grafik).

Die Männer sollen Strohfirmen gegründet haben, um über Subunternehmer Bauaufträge an Land zu ziehen. Die Aufträge ließen sie von Schwarzarbeitern ausführen und kassierten den Rechnungsbetrag inklusive der Umsatzsteuer, sagt die Polizei. Nach Erkenntnissen der Ermittler führten sie jedoch weder die Umsatzsteuer ans Finanzamt ab, noch zahlten sie die Sozialabgaben für die Arbeiter.

„Auch am Markt etablierte Baufirmen wurden als Kunden der Baumafia enttarnt“, berichtete Polizeisprecher Wolfgang Baldes. „Sie kauften Scheinrechnungen, um damit in den eigenen Bilanzen tatsächlich nicht entstandene Kosten vorzutäuschen und so Steuern und Sozialabgaben zu sparen.“ Als Geschäftsführer der Strohfirmen fungierten einfache Arbeiter, Erwerbslose oder ein Koch, die auf Sizilien leben, schreibt die italienische Tageszeitung „Corriere della Sera“ am Donnerstag.

Und „wieder einmal“, heißt es in dem Artikel weiter, sei Köln das Zentrum italienischer Kriminalität. Wie kommt das? Speziell die süditalienische Verbrecherorganisation Cosa Nostra spielt hier seit 25 Jahren eine besondere Rolle. Die Stadt sei „Rückzugs- und Ruheraum, aber auch Aktionsraum für die italienische Mafia“, hatte Kölns Kripo-Chef Norbert Wagner unlängst in einem Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ erklärt.

20 große Strafverfahren wegen Kokainschmuggels, Schwarzarbeit auf Baustellen, Geldfälschung, Autoverschiebung und Schutzgelderpressung hat die Polizei seit 1987 bearbeitet.

Dass die Cosa Nostra ausgerechnet in Köln so gut vernetzt ist, hat historische Gründe. Denn die meisten Gastarbeiter, die nach dem Zweiten Weltkrieg nach Köln kamen und sich vor allem in Kalk und Ehrenfeld niederließen, stammten aus Sizilien. Und dort herrscht die Cosa Nostra.

Die Beschuldigten, die Donnerstag verhaftet wurden, sollen laut Polizei insgesamt 24 Strohfirmen gegründet haben. Gabriele S. soll in seiner Bar zudem mit Kokain „in nicht geringer Menge“ gehandelt haben, berichtete Polizeisprecher Baldes.

Außerdem soll S. scharfe Schusswaffen besitzen und eingesetzt haben. Noch während der Durchsuchung seines Bistros begannen die Fahnder mit der sogenannten Gewinnabschöpfung, beschlagnahmten sämtliches Kleingeld aus den Spielautomaten. Das Ordnungsamt ließ die Bar schließen. Die Begründung: Gabriele S. habe sich als „unzuverlässig“ erwiesen, einen Gastronomiebetrieb zu führen.

Viele Mafia-Mitglieder aus Italien können in Deutschland „relativ ungestört“ arbeiten, weil die gesetzliche Handhabe nicht ausreiche, sagt Italiens oberster Mafiajäger, Staatsanwalt Roberto Scarpinato. In Italien gebe es den Lauschangriff und systematische Telefonüberwachung. Die Staatsanwaltschaft könne jeden auffordern zu beweisen, woher sein Kapital stammt. In Deutschland dagegen müssen die Ermittler beweisen, dass das Geld aus Straftaten stammt. (ts)

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