Schwul-lesbischer Weihnachtsmarkt in KölnChristmas Avenue spaltet die Community

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Der schwul-lesbische Weihnachtsmarkt Christmas Avenue in Köln scheint dieses Jahr nicht auf große Resonanz zu treffen.

Köln – Der schwul-lesbische Weihnachtsmarkt „Christmas Avenue“ zwischen Schaafen- und Hahnenstraße spaltet die Stadt – und selbst die schwul-lesbische Gemeinde steht dem alufolien-dekorierten Event uneins gegenüber.

Nach dem Skandal um das vom Ordnungsamt angemahnte Penis-Memoryspiel, das seitdem nur noch zensiert gezeigt wird, ist eine Diskussion über die Notwendigkeit und die Ausstrahlungskraft des Marktes, der zum fünften Mal auf dem Gelände der Sparkasse Köln-Bonn stattfindet, entbrannt. Und nach der Neugier aus den ersten Jahren, wo teils vor Menschen kein Durchkommen war, scheinen immer Gäste wegzubleiben.

Selbst gutes Weihnachtsmarkt-Wetter lockt kaum Besucher an

Merkwürdig müde wirkt der Markt in dieser Saison bisweilen, wie an mehreren Abenden zu beobachten war – selbst am Sonntagabend bei bestem Weihnachtsmarkt-Wetter. Wo statt besinnlicher Lieder ganz bewusst auch Discomusik aufgelegt wird, Burlesque-Tänzerinnen sowie Schlager- und Popsternchen, Karnevalsbands wie Lupo und Hanak auftreten oder Drag-Queens zum Bitch-Bingo laden, um die Gewinnerinnen und Gewinnern bedingt komisch vorzuführen, ist es im Gegensatz zu den Vorjahren auffallend leer.

Einzelne Stände sind abgebaut. Für Waffeln in Penis-Optik und Vaginas aus Schokolade in den Auslagen interessieren sich kichernde Teenies. Ältere Paare rümpfen die Nase. Zementiertes Klischee? Ein Glühwein hier nicht mehr als eine Mutprobe für Junggesellenabschiede? Was ist aus bewusst anders anmutendem Angebot geworden, das auch ein Aushängeschild für die Stadt sein soll? Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ hörte sich um. Aber nur wenige wollen ihre Meinung mit Namen preisgeben.

Diplomatie bei Klust

Der Kölner Lesben- und Schwulentag (Klust) als die zentrale Vereinsinstanz der Community formuliert seine (Team-)Meinung erwartet diplomatisch. Die „Avenue“ sei bewusst als andere Marke mit einer anderen Tonart von den Veranstaltern etabliert worden und gerne besucht, sagt Joerg Altenrath für den Vorstand.

Die Gründe dafür lägen im liebevoll gestalteten Bühnenprogramm, den längeren Öffnungszeiten (0h statt 22h) und der exponierten Lage“ in der "Einflugschneise" zum so genannten Bermudadreieck rund um die Schaafenstraße mit vielen schwulen oder schwulenfreundlichen Ausgeh-Angeboten.

Schwulenkneipen distanzieren sich

Fragt man jedoch die Inhaber genau jener schwulen Kneipen in der „Einflugschneise“ wird –jedoch nur hinter vorgehaltener Hand - gesagt, das Verhältnis zum Betreiber schwierig und ihnen sei wichtig, dass geschrieben werde, „dass mit diesem Markt keiner der Nachbarwirte etwas zu tun hat“. Man wolle sich nicht dauernd rechtfertigen.

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Christmas Avenue in Köln

Veranstalter des Marktes ist die Lekkermann Eventagentur aus der Südstadt, die auch das dortige Veedelsfest, das Eisstockschießen im Rheinauhafen und den Veedelsadvent vor der Severinstorburg. Die Unternehmergesellschaft hatte die Avenue zusammen mit einem Partyveranstalter begonnen. Agentur und Party-König trennten sich jedoch nach nur einem Jahr voneinander. Auch hier soll man sich hinsichtlich des Geschmacks überworfen haben.

„Das ist ein klarer Fall von Persönlichkeitsreduzierung“

Sind ständige Darstellungen für eine „schwule Veranstaltung“ ein Muss? Oder sind sie ein Zeichen für die erstrittene Freiheit? Für manche sind sie eher politisch schädlich, werden aber in Kauf genommen. Carolina Brauckmann etwa besucht trotz mancher Obszönität den Markt, „weil wir wissen, dass hier die Community ihren Glühwein schlürft. Das Community-Feeling brauche ich in regelmäßiger Dosierung bei all der Hetero-Normalität, insbesondere zur Weihnachtszeit. Allerdings hatte der frühere (informelle) lesbisch-schwule Treff auf dem Rudolfplatz-Weihnachtsmarkt wesentlich mehr Atmosphäre.“

Wenn sie einen Wunsch hätte, dann den, dass es weniger Sex-Artikel gebe („Das ist ein klarer Fall von Persönlichkeitsreduzierung.“) und gerne moderne, aber feierliche Musik statt Schlager oder Karnevalsstimmung. Weniger Showtime, mehr Raum für Gespräch. „Vielleicht ließe sich die Bühne auch mal als Diskussions-Forum für ernsthafte Themen nutzen - es ist ja schließlich Weihnachtszeit, eine Zeit der Besinnung.“

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Postkarten auf dem Christmas Avenue in Köln.

Auch Rolf Emmerich, Veranstalter des Sommerblut-Festivals, findet: „Wir haben genug Herausforderungen und Probleme zu besprechen. Berlin und Köln haben als Szene-Metropolen auch eine Verantwortung.“ Es gebe genug Themen, „zu denen sich die Community bekennen und aufstellen sollte“ wie etwa die Flüchtlingsfrage. Der Klust spricht von gelebter Freiheit, für die „unsere Vorgängerinnen und Vorgänger lange und hart gekämpft“ haben, so Altenrath. „Ob sie allerdings glücklich oder überhaupt interessiert daran sind, den Kampf für sexuelle Selbstbestimmung in Schokolade und Wurstbrötchen fortgeführt zu wissen, würde ich bezweifeln.“

Veranstalter bestreitet Besucherrückgang

Die Lekkermann Unternehmergesellschaft erklärt auf Anfrage, sie stelle keinen Besucherrückgang fest. Bei den geschlossenen Buden handle es sich um „Rotationshütten“, die von wechselnden Betreibern bestückt würden. Und in einzelnen, anzüglichen Artikeln sieht Sprecherin Diana Ruß „keine Reduktion auf Klischees oder gar als Pornographie“, sondern „eine von vielen Facetten der schwul-lesbischen Community“. Natürlich gelte auch hier, dass Kunst grundsätzlich immer eine Frage von Gefallen oder Nicht-Gefallen sei, doch als „anderer" Weihnachtsmarkt „bieten wir bewusst auch ein anderes Sortiment an. nur mit Aufmerksamkeit schafft man Akzeptanz. In Zeiten wie diesen ist es umso wichtiger, Zeichen zu setzen und Präsenz zu zeigen.“

Übrigens: Das zensierte Penis-Memory ist seit der „Werbung“ durch das Ordnungsamt nahezu ausverkauft. 95 Prozent der Käufer sind weiblich, so der Standbetreiber.

Der Fünf-Jahres-Vertrag für die „Christmas Avenue“ läuft 2017 aus.

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