OB-Wahl 2015Wahlbeteiligung war nie geringer

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Gähnend leer war es vielerorts in den Wahllokalen – wie hier in der Innenstadt.

Gähnend leer war es vielerorts in den Wahllokalen – wie hier in der Innenstadt.

Köln – Gähnende Leere im Spanischen Bau des Rathauses um elf Uhr am Sonntag: Weit und breit ist kein Wähler in Sicht. Zeitgleich werfen in einer Grundschule in Neuehrenfeld ein Vater und seine zwei Söhne ihre Wahlzettel in die Urne. „Es kommen noch weniger als beim letzten Mal“, sagt der Wahlleiter dort auf die Frage nach der Beteiligung. In Nippes meint ein Wahlhelfer ironisch: „Einsame Spitze, so etwas hatten wir noch nie.“

Nach Schließung der Wahllokale wird aus dem persönlichen Eindruck eine konkrete Zahl: Nur 40,3 Prozent der Kölner haben an der Oberbürgermeister-Wahl teilgenommen. So etwas gab es tatsächlich noch nie. Die Hoffnung vom Samstag, dass das Attentat auf Henriette Reker zu größerer Mobilisierung führen könnte, hat sich kaum bewahrheitet: Am Ende haben wohl einige Wähler mehr mitgemacht, als es Pessimisten nach den Pannen und Affären der letzten Wochen prognostiziert hatten.

Grundsätzlich aber hat sich der kontinuierliche Trend der vergangenen Wahlen fortgesetzt: Immer weniger Kölner machen von ihrem Wahlrecht Gebrauch. Als die Kölner 1946 erstmals zur Wahl ihres Stadtrates aufgefordert waren, gingen fast drei Viertel aller Wähler in die Wahllokale. Diese Quote wurde zwar noch zweimal – 1975 und 1994 – übertroffen, aber das erklärt sich nur dadurch, dass zeitgleich auch ein neuer Landtag beziehungsweise ein neuer Bundestag gewählt wurde. Den absoluten Minus-Rekord hielt bislang die Oberbürgermeister-Wahl im Jahr 2000, als Fritz Schramma (CDU) gewann. Auch damals fand die OB-Wahl ohne eine zeitgleiche Stadtratswahl statt. Nur 40,8 Prozent machten beim ersten Wahlgang mit. Jetzt lag die Quote noch niedriger. „Blamabel“ sei das, sagt Manfred Güllner, Gründer und Geschäftsführer des Meinungsforschungsinstituts Forsa. Er glaubt, dass sich die Kommunalpolitik zu sehr von den Menschen entfernt habe. „Da wird im Rathaus große Politik gespielt, anstatt zu schauen, wo die Bedürfnisse der Menschen in ihren Stadtteilen sind.“

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Kontroversen fehlten im Wahlkampf

Gründe für die niedrige Wahlbeteiligung bei dieser Wahl lagen sicher auch in der besonderen Kölner Konstellation: Weil die CDU auf einen eigenen Kandidaten verzichtete und sich in ein Unterstützer-Bündnis mit den Grünen für Henriette Reker einließ, fehlten im Wahlkampf mobilisierende Kontroversen. Stehen sich bei vielen Themen im Stadtrat SPD, Grüne und Linke auf der einen Seite und CDU und FDP auf der anderen gegenüber, fanden diese Konflikte im Wahlkampf so gut wie nicht statt. Auch die SPD verzichtete auf scharfe Konturen, um möglichst nicht zu polarisieren. Das mag die Beteiligungsquote bei dieser Wahl erklären, aber nicht den grundsätzlichen Trend.

Es gibt Experten, die vor übertriebener Sorge warnen: Die niedrigen Beteiligungsquoten könnten auch als Ausdruck großer Zufriedenheit mit der Funktionsweise der Demokratie interpretiert werden. Eine wachsende Distanz zu Parlamenten und Parteien sei zudem Ausdruck eines kritisch-aufgeklärten Bewusstseins der Bürger. Die politische Partizipation der Bürger verlagere sich von Wahlen zu neuen Formen der Bürgerbeteiligung und des Protestes. Es gibt aber auch Erhebungen, die diese Thesen widerlegen: Nicht die Zufriedenen und politisch Engagierten bleiben zu Hause, sondern die Unzufriedenen und Inaktiven. Außerdem: Es wählen vorwiegend sozial Bessergestellte, gut Gebildete und Vernetzte. Das belegt auch der Blick auf die Einzelergebnisse in den Kölner Stadtteilen: Gerade dort, wo Einkommen und Bildungsgrad durchschnittlich eher niedrig sind, gehen auch weniger zur Wahl. So stimmten in Chorweiler nur noch 15 Prozent, in Vingst knapp 22 Prozent ab. In Stadtteilen wie Braunsfeld, Brück, Hahnwald, Lövenich oder Weiß beteiligte sich wenigstens noch die Hälfte der Bürger.

Für viele Experten führt das zu einer problematischen Konstellation: „Durch die soziale Ungleichheit der Nichtwahl wird die politische Kommunikation zwischen Wählern und Volksvertretern zulasten der sozial Schwachen verzerrt“, heißt es in einer Studie des Kölner Max-Planck-Instituts. Die Autoren der Studie warnen vor den Folgen: Im politischen Entscheidungsprozess könnten die Verantwortlichen immer weniger auf die Interessen von Benachteiligten achten.

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