Stadtentwicklerin Brigitte Scholz„Nachbarschaft und Miteinander werden wichtiger“

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Brigitte Scholz in ihrem Büro im Stadthaus.

Brigitte Scholz in ihrem Büro im Stadthaus.

Köln – Brigitte Scholz leitet seit 100 Tagen das Amt für Stadtentwicklung der Stadt Köln. Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ hat sich mit ihr über die zukünftige Entwicklung Kölns unterhalten.

Was braucht Köln für den Weg in die Zukunft?

Als ich mich beworben habe, habe ich mich gefragt: Gibt es eigentlich eine Gesamtstrategie für Köln? Wohin will die Stadt? Gerade wenn das Geld und die Flächen knapper werden, muss man genau hinschauen und entscheiden, worauf man sich konzentrieren will. Es gibt viele einzelne Pläne, die wir gemeinsam im Blick behalten müssen. Deshalb starten wir mit dem Leitbild „Kölner Perspektiven 2030“ und werden die Zukunft Kölns nächstes Jahr mit der Stadtgesellschaft diskutieren. 2019 soll dann das gesamträumliche Leitbild vorliegen.

Das könnte bedeuten, dass man jemanden auch etwas wegnehmen muss. Geht das in einer großen Stadt überhaupt?

Es geht nicht ums Wegnehmen. Es geht darum, etwas zu schärfen. Man schaut sich an, was gut und was weniger gut läuft. Andere große Städte wie München oder Berlin haben so eine Strategie entwickelt. Die haben zum Beispiel sogenannte Zukunftsräume benannt, in denen man auf das Wachstum der Bevölkerung reagiert.

Viele haben vor allem den Eindruck, dass in Köln alles ewig lang dauert. Sehen Sie das nicht so?

Dass manche Dinge lange brauchen heißt nicht, dass die Verwaltung langsam ist. Köln ist eine große Stadt mit einer großen Verwaltung. Das ist ein großer Dampfer, der nicht mal eben schnell die Richtung wechselt. Das wäre auch gar nicht gut. Die Bürger verlangen zu Recht Verlässlichkeit. Wenn der Dampfer also die Richtung wechseln soll, braucht er ein klares Ziel und einen robusten Kurs.

Nennen Sie mal einen Beispiel?

Der Wohnungsbau ist ein gutes Beispiel. Wir verbinden Stadtentwicklungskonzepte, die dafür sorgen sollen, dass mehr gebaut wird, mit inhaltlichen Vorgaben. Das kooperative Baulandmodell legt fest, dass 30 Prozent öffentlich geförderter Wohnungsbau sein müssen. Wir schauen, dass sich Investoren an der Infrastruktur beteiligen. Wir wollen Vielfalt fördern, was zum Beispiel durch sogenannte Konzeptvergaben gelingen kann. Und wir bringen Milieuschutzsatzungen auf den Weg.

Auf dieses Instrument, das Eingriffe in die Rechte der Hauseigentümer vorsieht, warten viele schon lange. Wann kommt die versprochene Satzung für das Severinsviertel?

Wir beginnen im Herbst mit der Voruntersuchung, die im März 2018 abgeschlossen sein soll. Wir brauchen belastbare Kriterien und klare Gebietsgrenzen.

Glauben Sie, dass eine Milieuschutzsatzung etwas bringt?

Ich glaube, dass das ganz wichtig ist. Sie sehen das in Berlin, wo sich in einigen Stadtteilen die Bevölkerung fast komplett ausgetauscht hat. Diejenigen, die den Kiezcharme ausgemacht haben, wurden radikal verdrängt. Wir wollen verhindern, dass diejenigen, die weniger Geld haben, an den Rand gedrängt werden.

Hinter all diesen Aktivitäten steht der Wunsch, das viel besungene Leitbild einer bunt gemischten Stadt, wo möglichst alle zusammenhalten, irgendwie am Leben zu erhalten. Ist das nicht ein Selbstbetrug?

Man sollte das Ideal der gemischten europäischen Stadt mit stabilen Strukturen und gewachsenen Veedeln, wo jeder nach jedem guckt, nicht aufgeben. Nachbarschaft und das Miteinander im Quartier werden immer wichtiger – erst recht wenn die Stadt weiter wächst. Wir müssen Nachbarschaften und Verantwortungsgemeinschaften stärken.

Wie macht man das?

Man kann alles unterstützen, was in diese Richtung geht: Die Bildung von Baugruppen, Vereine, die sich kümmern, Selbstorganisation im Stadtteil. Ein gutes Beispiel für eine Partnerschaft mit Akteuren vor Ort ist die Gründung einer Immobilien- und Standortgemeinschaft, wie das jetzt im Severinsviertel versucht wird. Die Hausbesitzer schließen sich zusammen, um gemeinsam Verantwortung für ihr Quartier zu übernehmen.

Wir gehen immer davon aus, dass Bevölkerungswachstum eine nicht beeinflussbare Größe ist. Warum müssen wir denn eigentlich wachsen?

Wir haben keine Möglichkeit, die Wanderungsbewegungen zu steuern. Die Menschen drängen in die Stadt, außerdem steigen die Geburtenzahlen. Wenn wir wollen, dass keiner verdrängt wird, müssen wir reagieren. Außerdem ist es für Köln durchaus interessant, diejenigen zu halten, die zum Beispiel zum Studium in die Stadt kommen. Das Wachstum hat dann Grenzen, wenn wir keine Flächen mehr anbieten können. Deshalb verstärken wir die Kooperation in der Region und überlegen, wer was tun kann.

Aber die Menschen wollen innenstadtnah wohnen. In neuen Quartieren im Umland oder an der Stadtgrenze würden dann diejenigen leben, die aus den innenstadtnahen Viertel verdrängt werden…

Das versuchen wir zu verhindern. Sozialwohnungen gehören auch in die Innenstadt. Außerdem schauen wir in Stadtteilen wie Chorweiler nach Entwicklungspotenzialen, die auch andere Gruppen anlocken, die da heute noch nicht so häufig anzutreffen sind.

Der Trend zur Innenstadt erklärt sich ja vor allem damit, dass die Menschen ein buntes kulturelles Leben lockt. Köln ist aber mittlerweile so groß, dass es auch weitere Anziehungspole in anderen Stadtteilen herausbilden kann. Man kann für einzelne Stadtteile eigene Profile und unterschiedliche Qualitäten entwickeln, die das Leben dort attraktiv machen.

Was kann das sein?

Man könnte zum Beispiel die Idee der Gartenstadt neu beleben. Für neue Stadtteile gilt, dass man wie früher direkt eine attraktive Infrastruktur mitplanen muss. Da gehören eine Schule, eine Kneipe und eine gute Verkehrsanbindung dazu. Dazu kommt eine gute soziale und grüne Infrastruktur. Bevor die Wohnungen gebaut werden, müssen die ersten Bäume in einem Park gepflanzt und der Nahverkehrsanschluss gebaut werden.

Für den Bahnanschluss bekommen Sie aber erst Zuschüsse, wenn sie in bewohnte Gebiete fährt…

Das muss anders werden.

Die Stadt hat die Bürgerbeteiligung ausgebaut und neue Formen erprobt. Jetzt zeigt sich bei großen Bauprojekten, dass dies auch eine Kehrseite hat: Es beteiligen sich diejenigen, die etwas verhindern wollen, während diejenigen, für die Wohnungen und Infrastruktur gebaut werden soll, im Beteiligungsprozess eigentlich gar nicht auftauchen. Wie sehen Sie das?

Das ist das alte Dilemma der Bürgerbeteiligung. So gründen sich ja auch Bürgerinitiativen nicht selten, um etwas zu verhindern. Aber dadurch kommen auch Prozesse in Gang. Wichtig ist, Transparenz zu schaffen. Dazu gehört auch, dass man den Bürgern stets die Grenzen der Beteiligung deutlich macht – und solche Grenzen gibt es immer. Beteiligung ist immer eine Ergänzung zum Entscheidungsprozess der gewählten Politiker, die ja auch die Interessen der nächsten Generation im Blick behalten müssen.

Wie geht es mit der Bürgerbeteiligung weiter?

Wir müssen neue Formate entwickeln, wie wir diejenigen einbeziehen, die sich bislang nicht beteiligen. In Chorweiler hat die Stadt erste gute Erfahrungen gesammelt. Wichtig ist mir auch, dass wir aus einzelnen Beteiligungsverfahren längerfristige Prozesse machen. Wenn man zum Beispiel Bürger bei der Gestaltung eines Platzes einbezieht, kann man anschließend darüber sprechen, was auf dem Platz geschieht und wer sich darum kümmert.

Wenn die Stadt Programme für einzelne Stadtteile entwickelt, konzentrieren die sich bislang stets auf die „sozial schwachen“ Viertel. Werden diese so nicht weiter stigmatisiert?

Man sollte da unterstützen und gezielt hinschauen, wo jemand Unterstützung benötigt. Das Ziel muss sein, dass die Geförderten die Hilfe irgendwann nicht mehr brauchen. Sonst verstärken sich Abhängigkeiten.

In den ausgesuchten Vierteln gibt es Sozialraumkoordinatoren. Müsste es solche Veedelsmanager nicht in allen Stadtteilen geben?

Natürlich kann man drüber nachdenken. Mir widerstrebt es aber grundsätzlich, eine bevormundende und für alles sorgende Struktur aufzubauen. Es sollte aber eine unabhängige Struktur sein, die aktiviert und vernetzt.

Zur Person

Brigitte Scholz ist seit etwas mehr als 100 Tagen Leiterin des Amtes für Stadtentwicklung und Statistik der Stadt Köln. Die 48-Jährige studierte  Landschafts- und Freiraumplanung. Sie hat unter anderem in der Berliner Senatsverwaltung gearbeitet und  ab 2012 an der Brandenburgischen Technischen Universität gelehrt. Als Professorin für Gemeinschaftsorientierte Projektentwicklung arbeitete sie zudem an der Alanus-Hochschule am Niederrhein.   Im März 2015 wurde sie Projekt- und Innovationsmanagerin für den „Bio-Innovation-Park Rheinland“ in der Region Meckenheim und Rheinbach. Sie wohnt  in Köln. 

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