Straßenkunst am DomEin Tag lang virtuose Gitarre und Flötenhölle

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9 Uhr Morgens zwischen neun und zehn Uhr wandern bereits Dutzende von Fremdenführern über die Domplatte. Ihnen folgen Schwärme von Flusskreuzfahrt-Touristen, die des Nachts aus der Schweiz oder den Niederlanden angekommen sind. Überall lullen einen britische oder amerikanische Wortfetzen ein, bis man plötzlich aus Richtung Bahnhofsvorplatz andere Töne vernimmt: „What we have in Jesus“. Nana hat dort Punkt zehn Uhr sein Blockflötenspiel begonnen. Klein an Wuchs, aber gewaltig in der Hörweite, wird er uns im Laufe des Tages noch mehrfach begegnen.

9.30 Uhr Inzwischen hat im Umkreis der Kathedrale das Tageseinnahmengeschäft begonnen: Sieben Bettler haben sich rund um den Dom postiert. Alpha, ein netter Künstler aus Guinea, ist damit beschäftigt, eine Köln-Silhouette auf Mini-Leinwand zu malen.

10.32 Uhr Ras Criss, ein schwarzer Gitarrenspieler am Römisch-Germanischen-Museum, packt seine Siebensachen zusammen und zieht weiter Richtung Museum Ludwig. Der Flötist auf dem Bahnhofsvorplatz ist ebenfalls verschwunden. Dafür haben sich dort vier Zeugen Jehovas aufgestellt. Am Dom sind zwei weitere Bettler dazugekommen. Einer wirft gedankenversunken mit Brotkrumen um sich und wird von Tauben umlagert.

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Wenig später beginnt Pflastermaler Ralf sein Tagwerk, ein Selbstbildnis Dürers. Er könne nachvollziehen, dass sich Geschäftsleute über Musiker – zumal mit Verstärker – beklagten. Aber die Maler störten doch niemanden, sagt der 56-Jährige und erinnert daran, dass „Köln mal das höchste Straßenkünstlerniveau hatte“.

Schlag elf Uhr beginnt Nana vor dem Domforum zu flöten. Gitarrist Criss sitzt derweil zwei Steinwürfe vom Heinrich-Böll-Platz entfernt, wo sechs Sicherheitsleute darüber wachen, dass niemand das Terrain betritt und die Proben in der Philharmonie stört.

11.20 Uhr Inzwischen versperren drei Rikschas vor dem Hauptportal fast den Zutritt zum Dom. Maler Ralf bekommt Konkurrenz durch Zdenek aus Prag. Nachdem Flötenspieler Nana exakt 30 Minuten vorm Domforum gespielt hat, steht er um 11.55 Uhr wieder auf dem Bahnhofvorplatz. Drei der Bettler sind offenbar in Mittagspause, der Taubenfütterer indes ist geblieben und weiterhin aktiv. Das wird wenige Augenblicke später auch ein gutes Dutzend junger Leute aus Paris. Die überwiegend aus Blechbläsern bestehende Formation La Banda’s Joe spielt am Brunnen auf und bringt das Publikum mit schmissigen Balkan-Pop-Klängen zum Mitwippen.

12.40 Uhr Überall rund um den Dom ist musikalische Ruhepause, die jedoch nicht lange währt, da sich fünf Minuten später Flötist Nana erneut vor dem Domforum in Position bringt. Mit Glockenschlag 13 Uhr legt er los. Die Rikschas vor dem Hauptportal sind weg, dort steht nun ein Mann und verliest das Wort Gottes derart monoton, dass selbst den standfesten Domschweizern die Füße einschlafen dürften.

13.10 Uhr Umrahmt von zwei Bettlern mit „Habe Hunger“-Pappschild lagert der Taubenfütterer mit einer Packung Toastbrot: Ein Schwarm von Tieren pickt ihm Krumen aus den Händen.

13.30 Uhr Auf dem Bahnhofsvorplatz herrscht Ruhe, lediglich ein Vierertrupp Zeugen Jehovas harrt aus. Eine zweite Delegation steht am Wallrafplatz. Auf der Hohe Straße modelliert ein rumänischer Künstler einen fast lebensecht wirkenden Hund aus Sand.

13.55 Uhr Ein Stück weiter weg verbindet Musiker Lucas Laufe seine Gitarre mit einem Verstärker. Er ist der einzige Musiker auf der Breite Straße. Zeitgleich packt Frank Ommerborn vor dem Domforum sein Didgeridoo aus. Eine Stunde vorher hatte der Musiker mit der bunten Pudelmütze am Anfang der Großen Budengasse mit zwei Mitarbeitern des Ordnungsamts diskutiert. Es fielen Wörter wie „Verständnis“, „30 Minuten“ und „Geschäftsleute“. Doch jetzt werfen die Leute begeistert Münzen in den schwarzen Instrumentenkoffer, während Ommerborn und ein Musikerkollege des „Wooden Street Syndicate“ musikalisch Gas geben. Am Museum Ludwig klingen schwermütig die Weisen eines Akkordeonspielers.

14.15 Uhr Stereo-Erlebnis auf dem Wallrafplatz: Auf der einen Seite die Ausläufer von Ommerborns Schlagzeug und Didgeridoo – auf der anderen Nanas Flöte. Minuten später packt Letzterer genervt ein und verschwindet.

14.45 Uhr Inzwischen hat sich auch die Zahl der Bettler am Dom dezimiert. Dafür sorgt dort ein virtuos spielender Gitarrist für einen Menschenauflauf. Junge Spanierinnen beginnen spontan zu tanzen. Ansonsten Stille.

Zwischen 15 und 16 Uhr ist Kölns Straßenmusiker-Szene eher auf der Schildergasse aktiv: In Höhe des Kaufhofs ein Bouzouki-Spieler, etwas weiter ein Leierkastenmann, dann das professionell aufspielende Antwerpener Duo „Entlim“ samt Klavier. Ritchie und Toby wecken echte Begeisterung, während ein im Rollstuhl sitzender Bouzoukispieler sowie eine fünfköpfige Zigeuner-Formation zwar zu hören ist, aber kaum beachtet wird. Dem Akkordeonspieler am Neumarkt und dem Geiger im Olivandenhof geht es ähnlich.

16.30 Uhr Rund um dem Dom ist Gitarrist Julien der letzte Musiker, der mit Flamenco und Gypsy-Jazz nach wie vor die Leute begeistert. Der Franzose bekennt, er wisse nichts von einer Halb-Stunden-Regelung, habe sich aber bewusst etwas abseits gesetzt, um keine Geschäfte zu stören. Was die heimliche Horrorliste der Einzelhändler betrifft, ist dies ein guter Tag: Kein Xylophon, kein Mann mit abgesägter Geige, keine Panflöte mit „El Cóndor Pasa“ in Endlosschleife. Florian Duczek, Mitarbeiter des Domforums, weiß, dass seine Finger nach Feierabend zu Hause trotzdem rhythmisch auf den Küchentisch trommeln werden. „Das nimmt man einfach mit.“

17.15 Uhr Zdenek, der Straßenmaler aus Prag, hat sein 3-D-Werk von Jesus mit Kreuz vollendet und packt ein. Kollege Ralf hält 15 Meter noch die Stellung, ebenso drei Bettler auf der Domplatte.

18 Uhr Ommerborn führt am Wallrafplatz ein längeres Gespräch mit einem Polizisten und zieht anschließend von dannen. Der Taubenmann an der Dom-Nordseite ist noch da, aber jetzt futtert er selber. Bei einsetzender Dunkelheit trollt sich auch Ralf.

18.45 Uhr Julien spielt weiter, auch als die Beleuchtung vor dem Dom angeht. Seine Zuhörer bleiben beharrlich stehen. Er lebe von und für die Musik, sagt der 32-Jährige und klagt über die überall in Europa immer schwieriger werdenden Bedingungen für Straßenmusiker.

18.55 Uhr La Banda's Joe ist zurück mit Trompeten und Saxophonen. Noch eine kleine New-Orleans-Jazz-Session auf dem Bahnhofvorplatz. Die Menschen auf den Treppenstufen jubeln.

19.30 Uhr Schluss für heute.

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