StreuobstwiesenRückkehr ins Obst-Paradies

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In Köln gibt es nur wenige Streuobstwiesen, auch, weil sie viel Pflege brauchen.

In Köln gibt es nur wenige Streuobstwiesen, auch, weil sie viel Pflege brauchen.

Köln – Die Ernte neigt sich dem Ende zu. Nur wenige Früchte trotzen noch dem Herbst, der zusehends ungemütlicher wird, Kaiser Wilhelm zum Beispiel. Gleich neben der Rheinischen Schafsnase baumelt er leuchtend grün und rot in den Ästen. Beide gehören zu den zahlreichen Apfelsorten alter Herkunft, die auf der Streuobstwiese im Naturschutzgebiet „Kiesgruben Meschenich“ gedeihen. Doch nicht nur dort stehen die Obstbäume auf öffentlich zugänglichen Flächen. Nahezu 20 Wiesen verteilen sich auf das Stadtgebiet.

Es gibt im Jahreslauf Pflaume, Birne, Apfel und Quitte und Co. – die Stadt zählt auch Esskastanie und Walnuss dazu – beispielsweise in Müngersdorf an der Belvederestraße, im Blücherpark in Nippes oder in Blumenberg nahe der Neusser Landstraße am Mennweg. Sie soll die älteste Streuobstwiese Kölns sein. Die meisten finden sich aber im Rechtsrheinischen zwischen dem Stammheimer Schlosspark im Norden und der Rheinaue in Zündorf. Doch viele Obstgehölze werden von Passanten gar nicht wahrgenommen.

„Freies Obst für freie Bürger“

Dabei könnte nach dem Motto „Freies Obst für freie Bürger“ die Ernte auf öffentlich zugänglichen Streuobstwiesen zum nächsten Trend avancieren. Nach „Guerilla“ und „Urban Gardening“, der Renaissance der Schrebergartenkultur und dem Gemüsebeet zum Anmieten auf dem bereits bestellten Acker. Auf der vor einiger Zeit in Berlin entstandenen Internet-Seite „mundraub.org“ können Menschen deutschlandweit Flächen in einer Karte verzeichnen, auf denen öffentlich zugänglich Obstbäume stehen. Das Portal vermittelt den Eindruck, als wäre alles ganz einfach: Obst, das wächst und niemanden gehört, darf geerntet werden. In der Stadt Andernach treibt diese Idee besonders bunte Früchte. Dort hat man bereits im Jahr 2010 das Projekt „Essbare Stadt“ ins Leben gerufen. In öffentlichen Grünflächen werden seitdem neben Kräutern, Gemüse und Beeren auch Obstgehölze angepflanzt. Gepflegt wird diese Vielfalt von städtischen Angestellten und Langzeitarbeitslosen. Bedienen darf sich, wer gerade vorbeikommt.

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In Köln sucht man Gemüsebeete in Parks bislang vergebens. Auch sind die Fachleute entschieden zurückhaltender, wenn es um die öffentliche Nutzung von Streuobstwiesen geht. „Im Prinzip ist dagegen nichts einzuwenden, aber bei dem Versuch, die schönsten Früchte zu ergattern, wurde schon so manchem Baum großer Schaden zugefügt“, sagt Klaus Simon, der für den Naturschutzbund Deutschland (Nabu) mit anderen die Fläche an den Kiesgruben in Meschenich pflegt. Simon plädiert an die Bürger: „Reifes Obst fällt. Reißt es nicht herunter, werft keine Knüppel in die Kronen und begnügt euch mit dem, was ihr auflesen könnt. Auch daraus lässt sich Leckeres zubereiten.“ Zu wertvoll seien Streuobstwiesen für Mensch und Natur, um sie aus Gier und Unwissenheit zu zerstören.

Obstbäume brauchen Pflege

Die ökologische Bedeutung von Streuobstwiesen ist beträchtlich. „Sie sind Bienenweide, sie beherbergen eine artenreiche Tier- und Pflanzenwelt. Bis zu 5000 verschiedene Arten konnten nachgewiesen werden. Oft sind sie auch Rückzugsraum für gefährdete Tierarten, beispielsweise den Steinkauz“, erläutert Angelika Burauen vom Förderverein der Freiluft- und Gartenschule der Stadt. Auch der Leiter der Unteren Landschaftsbehörde (ULB), Achim Moers, würde gerne mehr Menschen für das Thema begeistern. Er sagt: „Jede neu gepflanzte und von Anfang an gut gepflegte Obstwiese ist ein Schatz.“ Dennoch sind Obstbäume Kulturpflanzen, die ständiger Pflege bedürfen. Sie benötigen Bodenpflege und -nahrung, in den ersten Jahren sogenannte Erziehungsschnitte, später in regelmäßigen Abständen Pflegeschnitte, damit sich eine gute Krone entwickelt, die Frucht trägt.

Die Bürgervereinigung Holweide e.V. hat vor kurzem die Patenschaft für eine Streuobstwiese an der Isenburg übernommen. Warum tun Sie sich die Arbeit an?

Elvira Herff: Früher war dort die Festwiese, dann wurde die Fläche zum landschaftsgeschützten Bestandteil erklärt. Wir hatten die Idee, dort eine Streuobstwiese anzupflanzen, weil wir etwas fürs Grün, für die Tiere und die Menschen tun wollten. Und rund um die Isenburg sieht es jetzt noch mal so schön aus. Das Gelände hat durch die Streuobstwiese, die als Teilprojekt der Regionale 2010 vom Grünflächenamt angelegt wurde, eine enorme Aufwertung erfahren. Daran sind wir als Bürgervereinigung interessiert.

Und was müssen Sie jetzt im Einzelnen tun? Herff: Zuallererst haben wir immer ein Auge auf die Wiese. Wir sehen regelmäßig nach dem Rechten und sprechen die Leute auch an, wenn sie sich nicht richtig verhalten. Wer dort zum Beispiel mit dem Hund unterwegs ist und keine Plastiktüte für den Kot dabei hat, dem sage ich dann schon Bescheid. Erfahrungsgemäß werden wir außerdem in regelmäßigen Abständen den Müll einsammeln dürfen, obwohl wir hoffen, dass die Leute dort nichts wegwerfen. Und die Baumscheiben halten wir vom Bewuchs frei.

Haben Sie im Verein schon jemand zu diesen Aufgaben verdonnert? Herff: Zunächst einmal sind alle gefragt. Wie wir das im Einzelnen organisieren, werden wir auf unserer nächsten Vorstandssitzung besprechen. Besonders freut mich, dass schon jetzt Holweider Bürger zu uns kommen und mithelfen wollen. Da sehen Sie es doch. Diese Arbeit ist ein Vergnügen.

Sind Sie nicht sauer, wenn Sie sich das ganz Jahr über um die Wiese gekümmert haben, und dann kommen andere und holen sich das Obst von der Wiese?

Herff: Ganz im Gegenteil. Noch sind die Bäume ja sehr jung. Aber wenn in ein paar Jahren die Leute dort das Obst auflesen kommen, entweder, um es direkt zu essen oder um es zu Hause zu gesunden und leckeren Sachen zu verarbeiten, dann freuen wir uns sehr. Wichtig ist nur, dass alle mit der Ernte warten, bis das Obst reif ist und dass sie keinen Baum beschädigen. Die Streuobstwiese gehört uns allen.

Das Gespräch führte Marion Eickler

Elvira Herff (57) liegt das Kölner Grün gleich zweifach am Herzen. Als Mitglied im Vorstand der Bürgervereinigung Holweide legt sie Wert auf ein lebenswertes, gewachsenes Veedel, beruflich ist sie im Amt für Landschaftsschutz und Grünflächen der Stadt Köln verantwortlich für das Vorzimmer der Amtsleitung. Die vom Verein betreute Streuobstwiese gehört zum „Landschaftspark Isenburg“, einem Teilprojekt im Rahmen der Regionale 2010.

Der erhebliche Arbeitsaufwand stellt ein Problem dar. Denn wer soll es tun? Simon hat wenig gute Erfahrungen gemacht und sagt: „So, wie das in Köln bisher gelaufen ist, kann man das eigentlich nicht machen.“ Die Streuobstwiese „Meschenicher Kiesgruben“ sei vor vielen Jahren von der Möbelfirma mit dem Elch angelegt worden als Ausgleichsmaßnahme für den Bau eines Parkhauses. Die Firma habe dann gegen Bezahlung die Pflege der Jugendhilfe Köln übertragen. „Die haben das ein paar Jahre lang auch getan. Aber wie immer, Leute wechseln, es kommen andere. Nach zehn Jahren waren die Obstbäume in einem verheerenden Zustand, abgestorben oder krank“, so Simon. Auf der 2007 von der Deutschen Bahn als Ausgleichsmaßnahme an der Belvederestraße angepflanzten Obstwiese beobachtet Burauen dieselbe Entwicklung. Dort will sie es nicht soweit kommen lassen. Streuobstwiesen führten uns vor Augen, dass „Nachhaltigkeit“ mit der Kurzlebigkeit und dem schnellen Vergessen heutiger Zeit nicht zusammen gehen, glaubt sie und meint: „Wer Obstbäume pflanzt, braucht Geduld und Verantwortungsbewusstsein.“ Sie will jetzt eine Schneideaktion für kommendes Frühjahr auf den Weg bringen.

Neue Streuobstwiesen sind möglich

Die Bürger sind also gefragt, wenn die Streuobstwiesen in Köln eine Zukunft haben sollen. Sie müssen respektvoll mit den oft alten Bäumen umgehen, sich bei der Ernte auf das beschränken, was sie freiwillig hergeben. Die Bürger können bei der Stadt die Neuanlage von Wiesen anregen, sich finanziell oder durch Pflegearbeiten ehrenamtlich einbringen. Ansprechpartner finden sich bei den Naturschutzverbänden und beim Grünflächenamt. Bauer kann sich sogar vorstellen, neue Streuobstwiesen anzulegen: „Das Gelände südlich der Luxemburger Straße kommt in Frage. Dort soll der Innere Grüngürtel weiter entwickelt werden. Wenn der Großmarkt umgezogen ist, wäre auch dort eine geeignete Fläche.“ Obstbäume im Stadtwald oder Äußeren Grüngürtel schließt er dagegen kategorisch aus: „Die Denkmäler lassen wir außen vor.“ Der sich entwickelnde Landschaftspark Belvedere und der Grünzug West hingegen böten weiteres Potenzial. Das Land unterstützt solches Bürgerengagement mit Fördergeldern, die bei der ULB beantragt werden können. Die Schutzgemeinschaft Deutscher Wald (SDW) bietet „Obstbaumschnitt-Kurse“ an. Das nächste Seminar findet am Samstag, 8. Dezember, auf Gut Leidenhausen statt. Dort unterhält die Schutzgemeinschaft seit 1988 ein lebendiges Obstmuseum in Form einer üppigen Wiese mit fast vergessenen rheinischen Obstsorten.

Mittlerweile liegt Kaiser Wilhelm auf dem Schrank im kühlen Schlafzimmer und macht seinem Ruf als begehrter Winterapfel alle Ehre. Er verströmt einen betörenden Duft. Die Idee reift, einen ersten Backapfel in den Ofen zu schieben. Die royale Namensgebung war übrigens nichts anders als ein Marketing-Trick. Als er im Jahr 1864 als Zufallssämling in einem Garten in Monheim am Rhein gefunden wurde, gab ihm der Volksschullehrer und Pomologe Carl Hesselmann (1830–1902) aus Witzhelden im Bergischen Land diesen Namen. Der Apfel wurde im Jahr 1875 Kaiser Wilhelm I. sogar zur Geschmacksprobe vorgelegt. Jüngst aber stellte sich mit Hilfe genetischer Untersuchungen heraus, dass Kaiser Wilhelm nichts weiter als ein Etikettenschwindel ist. Er ist Chromosom für Chromosom identisch mit der Sorte „Peter Broich“. Und die, benannt nach einem rheinischen Pfarrer, war in Köln schon lange vor Kaiser Wilhelm bekannt, fand aber weit weniger Beachtung als der Namensvetter von Adel.

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