Kölner Fotograf Boris Becker„Das Militärische war in meiner Kindheit immer präsent“

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  • In Köln ist ab dem 6. September die große Ausstellung „Boris Becker – Hochbunker. Photographien von Architekturen und Artefakten“ zu sehen.
  • Ein Gespräch mit dem Kölner Fotografen über die neue Schau seine Kindheit in Dellbrück, die Faszination für Hochbunker und Trümmergrundstücke in Köln nach dem Zweiten Weltkrieg.

Boris Becker, Sie sind soeben mit dem Kunstpreis der Künstler 2019 ausgezeichnet worden. Wie bewerten Sie die Stellung der Fotografie im Kontext von Kunst und Ausstellungsgeschehen?

Die Fotografie als Teil der Bildenden Kunst hat Akzeptanz erst seit den frühen 80er Jahren erfahren – in Deutschland zumindest. In Frankreich, England und den USA ist dies viel früher geschehen. Dann kam es zu einem kometenhaften Aufstieg hierzulande, zum einen durch die Düsseldorfer Schule, aber auch durch Michael Schmitt in Berlin oder Wolfgang Tillmanns – da hat es eine große Bandbreite gegeben. Anschließend ist es wieder abgeebbt oder eher auf ein normales Maß zurückgegangen, und heute ist Fotografie ein anerkanntes Medium innerhalb der Bildenden Kunst, auch wenn es keinen Hype wie vor zehn oder 15 Jahren mehr gibt, als die Art Cologne eine Fotoausstellung war.

Wie sah Ihre Ausbildung aus? Waren Sie gleich auf Fotografie spezialisiert?

Ich wollte ursprünglich Filmemacher werden. Damit habe ich in Berlin in der Filmklasse auch angefangen, habe dann aber gemerkt, dass das Medium für mich zu umständlich ist. Ich bin eher jemand, der für sich arbeitet. Film ist aufwendig, technisch, finanziell, aber auch hinsichtlich des Prozederes, dass man ein Team hat, dass man Schauspieler führen muss. Wie ein Tanker, den ich nicht alleine steuern kann. Daraufhin habe ich mich auf die Fotografie konzentriert und bereits erste Projekte realisiert, unter anderen eben die Hochbunker. Doch in Berlin hat man mir zu verstehen gegeben, dass die reine Beschäftigung mit Fotografie nicht erwünscht ist.

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Was geschah dann?

In Deutschland gab es nur eine einzige Akademie, wo Fotografie als Bildende Kunst gelehrt wurde, und das war Düsseldorf.

Die Hochbunker klingen ja fast wie eine klassische Hausaufgabe der Becher-Schule.

Es war eigentlich keine Hausaufgabe, denn ich bin damit ja nach Düsseldorf gekommen. Das war ein zentrales großes Thema. Wir konnten ein solches Thema über Jahre hinweg vertiefen: Bunker, oder Schwimmbäder, oder Menschen im öffentlichen Raum – das geht heute im Zuge der Bachelor- und Masterstudiengänge gar nicht mehr. Da kann man nur noch Projektchen machen.

Was faszinierte Sie am Thema Hochbunker?

Das war auch biografisch geprägt. Ich bin neben der Kaserne in Köln-Dellbrück aufgewachsen – das Militärische war immer präsent. Darüberhinaus bin ich oft zum Schwimmen nach Mülheim gefahren, wo ein Luftschutzbunker stand. Der übte eine ganz seltsame Wirkung auf mich aus, ein zweckentleerter Bau, der da stand, eine Höhle, die Raum für Vermutungen ließ, was da wohl drin war. Das war für mich als Kind sehr spannend. Dazu kam, dass ich im Urlaub die Bunker des Atlantikwalls sah, und schon die habe ich mit einer kleinen Wegwerfkamera fotografiert. Und dann hat mich Virilios Buch „Bunker Archaeology“ sehr beeinflusst, das war ein Katalog zu einer Ausstellung im Centre Pompidou in den 70ern.

Spielte auch das geteilte Berlin eine Rolle?

Da habe ich sehr viel entlang der Mauer fotografiert und im alten Diplomatenviertel, was brachlag, weil sich niemand drum gekümmert hat – das war exterritoriales Gebiet. Und da stand auch der ein oder andere Bunker, und dann habe ich auf diese andere Form von Architektur umgeschwenkt, auf die Hochbunker, die zivilen Bunker, die sich sehr von den Festungsbauten am Atlantik unterscheiden. Die zivilen Bunker wollen sich verstecken, wollen ihre Funktion verhüllen – gegenüber der Bevölkerung, so dass niemand denkt, man braucht so etwas, und gegenüber Luftangriffen. Die waren also als Kirche oder Bauernhof oder Schlösschen getarnt. Und das hat mich fasziniert, etwas zu fotografieren, was man eigentlich nicht sehen soll.

Kommt an dem Punkt Fotografie an ihre Grenzen?

Da wird es tatsächlich schwierig, denn es handelt sich um eine Camouflage. Da funktioniert Fotografie nicht mehr.

Später haben Sie „Fakes“ fotografiert, Objekte, die am Zoll vorbei geschmuggelt wurden – ebenfalls Dinge, die ihren wahren Charakter verstecken.

Genau. Bei den Bunkern war es so, dass die in den 70er Jahren angemalt wurden – es kam also noch einmal eine zusätzliche Folie hinzu. Eine weitere Vertuschung, weil man das so nicht mehr ansehen konnte. Die Idee der „Fakes“ ist davon gar nicht so weit entfernt: Man fotografiert etwas, was seine Aufgabe verhüllt. Ich zeige in der Ausstellung „DIE GROSSE“ gerade die „Fakes“, und da kommt es oft zu der Reaktion, dass die Leute denken, es ist, was es ist: Also zum Beispiel ein Ölbild, das mit Kokainfarbe gemalt wurde. Die Droge wurde in die Farbe gemischt, um sie zu schmuggeln, und deshalb ist sie unsichtbar. Und damit spiele ich: Das ist ja auch ein Künstler gewesen, der das Kitschbild gemalt hat, ein schlechter vielleicht, aber einer, der eine kompositorische Idee hatte. Dann habe ich das reproduziert, habe aber ein Tafelbild daraus gemacht. Aber letztendlich geht es ums Schmuggeln, und das ist nicht zu erkennen.

Zu Person und Ausstellungen

Boris Becker wurde 1961 in Köln geboren. Er wurde soeben mit dem Kunstpreis der Künstler ausgezeichnet. Noch bis zum 4. August sind seine Arbeiten im Rahmen der Ausstellung „DIE GROSSE“ zu sehen, die im Museum Kunstpalast in Düsseldorf stattfindet.

Die Photographische Sammlung/SK Stiftung Kultur eröffnet am 6. September die große Ausstellung „Boris Becker – Hochbunker. Photographien von Architekturen und Artefakten“. Erstmals wird damit die zwischen 1984 und 1990 erarbeitete Reihe der „Hochbunker“ in einer Werkschau ausführlich vorgestellt. Entstanden sind die Fotografien in über 45 deutschen Städten.

Der Marburger Kunstverein zeigt bis zum 12. September die Ausstellung „Wüstenbilder“, zwei fotografische Serien Beckers, die im Norden der Westsahara, in Smara, entstanden. Im Februar 2007 reiste Boris Becker auf Einladung der UNO-Flüchtlingshilfe dorthin.

Im Museum für Photographie in Braunschweig beteiligt sich Becker an der Ausstellung „Reiselust und Müßiggang“. (F.O.)

Bei den Bunkern geht es ja auch um den Zweiten Weltkrieg, der seine Spuren hinterlassen hat, gerade auch für die, die wie Sie Nachgeborene sind. Der Krieg ist vorbei, aber in solchen Bauten noch immer präsent, gerade auch in Köln.

Ich wurde Anfang der 60er Jahre geboren, gehöre also der zweiten Nachkriegsgeneration an. Da gab es natürlich die Trümmer noch, die jetzt weitgehend verschwunden sind. In Köln gab es viele Trümmergrundstücke, aber auch Nazibauten. Und die Reste der wehrhaften Bauten wie die Bunker. Teilweise waren das die Bauten, die alles überstanden haben: Es gibt Aufnahmen aus Siegen, das komplett abgebrannt war – bis auf die Bunker, die dort vereinzelt herausragen. Das Verrückte ist, dass die Bunker in manchen Städten dort gebaut wurden, wo zuvor die Synagogen standen. Nachdem diese in der Pogromnacht abgebrannt wurden, hat man Bunker dorthin gesetzt – in Köln etwa in der Körnerstraße. Später hat man dann ganz reumütig eine Plakette dort angebracht.

Warum stehen die Bunker noch? Sie haben doch gar keine Funktion mehr, oder werden sie noch eingeplant für den Atomschlag?

Das hat sich gewandelt. Nach dem Krieg wurden einige als Wohnheime genutzt, für die ersten Flüchtlinge. Danach verwendete man sie als Lagerräume, vor allem in Hamburg, oder als Proberäume: Es kamen all die Gruppen und Gruppierungen hinein, von denen man nicht wusste, wohin mit ihnen: Künstler, Musiker. Zur Hochzeit des Kalten Krieges wurden sie wieder als Bunker hergerichtet, was sich mit Wende und Wiedervereinigung wieder erledigte. Das hatte Auswirkung auf die Fotografie, denn in den 80ern hatten Bunker eine andere Bedeutung als jetzt, das merkt man, wenn man die Fotos wieder zeigt. Die Straßenansichten haben sich geändert, die Kleidung, die Werbeflächen, die Autos.

Wie fotografieren Sie eigentlich – analog oder digital?

Das hat sich sehr durchdrungen. Es kommt immer drauf an: Bei vielen Motiven benutze ich noch gerne die technische Kamera, die man verstellen kann. Dann hat man analoges Material. Aber zum Beispiel in einem Flüchtlingslager in der Wüste mit einem Stativ herumzuhantieren, wäre nicht gut gewesen, da habe ich die Digitalkamera benutzt. Digital ist wesentlich komfortabler, das muss man sagen, obwohl: Ich habe in den vergangenen Jahren auch wieder viel analog gearbeitet, weil ich aus dem digitalen Workflow rauswollte. Man macht ja alles am Rechner, man erledigt sein Leben dort – Gespräche, Geld, Ferienplanung, Liebesleben, und Kunst.

Gibt es neue Projekte?

Ich glaube, es geht in die Richtung, dass ich nun auch Menschen fotografieren will. Ich war gerade in Südkorea, und da habe ich gemerkt, dass man manchmal wegfahren muss, um Menschen zu fotografieren. Mir geht es jedenfalls so. Es war in Flüchtlingslagern, dass ich das erste Mal wirklich Menschen fotografiert habe. Und dafür musste ich erst in die Wüste reisen.

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