Kölner Museumsstreit um Benin-BronzenZeigt Nanette Snoep nur die halbe Wahrheit?

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Nanette Snoep

Köln – In der Aufarbeitung der deutschen Kolonialvergangenheit nimmt das Kölner Rautenstrauch-Joest-Museum (RJM) nicht erst seit der Amtszeit von Nanette Snoep eine Vorreiterrolle ein. Bereits im Jahr 2004 widmete sich das Haus in einer großen Ausstellung dem deutschen Völkermord in Namibia, und die 2012 neu eröffnete Sammlungspräsentation zeigt an ausgewählten Beispielen die Verstrickungen der ethnologischen Museen in die verbrecherische Ausbeutung der ehemaligen Kolonien.

Mit Nanette Snoep wurde die „Dekolonialisierung“ zum Generalthema der Kölner Museumsarbeit

Aber unter Snoeps Direktion ist die „Dekolonialisierung“ der deutschen Ethnologie zum Generalthema der Kölner Museumsarbeit geworden – etwa mit den Ausstellungen „Resist!“ und „I Miss You“. Diese Ausrichtung scheint in eine Zeit zu passen, in der die Bundesregierung die Rückgabe sämtlicher 1897 von britischen Truppen verschleppten „Benin-Bronzen“ aus deutschen Museen an den Staat Nigeria beschlossen hat. Tatsächlich hat Snoep für beide Ausstellungen viel Zuspruch erhalten (etwa in dieser Zeitung). Aber es gab auch Kritik an ihrer Arbeit, teilweise war diese grundsätzlicher Natur.

Jetzt hat sich Nanette Snoeps Amtsvorgänger in die Debatte um das RJM eingeschaltet. In einem Interview für die „Kölnische Rundschau“ bemängelte Klaus Schneider, von 2000 bis 2018 Direktor des städtischen Museums, einen „aktivistischen“ Zugriff auf die Themen und behauptete, die erwähnten Ausstellungen würden mitunter nur die „halbe Wahrheit“ sagen. Als Beispiel nannte er die Behandlung der „Benin-Bronzen“: Es werde „immer davon gesprochen“, so Schneider, „es sei Raubkunst, im Rahmen einer Strafexpedition von den Engländern erbeutet. In Wirklichkeit war es eine Beschlagnahmung. Diese für das Verständnis der tatsächlichen Zusammenhänge extrem wichtige Vorgeschichte fehlt in den beiden Ausstellungen.“

In seiner Generalkritik greift Schneider auch Vorwürfe auf (ohne diese zu nennen), in der „I Miss You“-Ausstellung werde der „wahre“ Charakter des Königreichs Benin unterschlagen. „Benin war - und das schreiben auch viele nigerianische Historiker – als Blutland bekannt“, sagt Schneider, „nicht zuletzt wegen der zahllosen rituellen Menschenopfer. Davon waren hauptsächlich die Nachbarvölker betroffen. Denn das Königreich war seit dem 15. Jahrhundert einer der größten Sklavenhändler in Afrika. Was dazu führte, dass sie sehr wohlhabend wurden und ein Hofleben entstand – und eben auch diese Metallobjekte.“

Tatsächlich fehlen in der „I Miss You“-Ausstellung prominente Hinweise auf die politische Natur des Königreichs Benin. Stattdessen werden die 94 höfischen Objekte aus Benin in einem abgedunkelten Raum als Kostbarkeiten inszeniert, die sie nach westlichen Maßstäben nicht sind; lediglich zwei Exponate wurde zuletzt in der Schausammlung des RJM gezeigt, die übrigen lagerten als „Karteileichen“ im Depot. Mit der „Verzauberung“ dieser Exponate sollte das westliche Publikum ein Gefühl dafür bekommen, welche Bedeutung die geraubten Objekte möglicherweise für ihren einstigen Besitzer hatten – und wie schwer der Verlust für deren Heimat bis heute wiegen könnte.

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Blick in die I Miss You-Ausstellung

Sicherlich wird auch ohne erläuternden „Warnhinweis“ kein Besucher der Ausstellung annehmen, das Königreich Benin sei durch gute Taten zu jenem Reichtum gelangt, den die Bronzen bis auf den heutigen Tag bezeugen. Benins Aufstieg zur Regionalmacht begann im 15. Jahrhundert, und wie alle afrikanischen und europäischen Königshäuser dieser Epoche gründete es seine Stärke auf Kriegszüge, Unterwerfung und Ausbeutung – sowie den Handel mit anderen Mächten.

Zu den „Exportgütern“ Benins gehörten stets auch Sklaven, mit denen das Land später nicht zuletzt die westliche Nachfrage bediente. Die höfischen Objekte aus Benin sind also keinesfalls durchweg „harmlose“ Alltags- und Kultgegenstände. Sie bewahren auch die Repräsentationslust einer auf Gewalt errichteten Macht.

Wurden die Benin-Bronzen geraubt oder beschlagnahmt? 

Allerdings lässt sich daraus schwerlich die Rechtmäßigkeit des britischen Raubzugs durch Benin ableiten – selbst wenn man wie Schneider zu dem Schluss kommt, die britischen Kolonialtruppen hätten ihre Kriegsbeute ordnungsgemäß „beschlagnahmt“. In der blutigen „Strafexpedition“ unterwarf sich eine europäische Weltmacht eine Regionalmacht, deren Königshaus sich nicht an eine gemeinsam geschlossene, tatsächlich aber von den Briten diktierte Handelsvereinbarung hielt – und eine britische Delegation überfallen und ermorden ließ.

Nach imperialistischen Maßstäben stellten die „Benin-Bronzen“ möglicherweise eine Wiedergutmachung für entstandene „Schäden“ oder Handelsausfälle dar. Doch greift nicht einmal das Britische Museum heute noch auf derlei „legalistische“ Argumente zurück. Gleiches gilt für die in Kolonialzeiten beliebte Behauptung, man habe mit Waffengewalt Ordnung in ein unzivilisiertes Territorium („Blutland“) gebracht. Es fällt jedenfalls schwer, sich den britischen Kriegszug als „humanitäre Intervention“ vorzustellen.

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Klaus Schneider während seiner Amtszeit als RJM-Direktor

Täuscht die Verzauberung der Benin-Objekte in der „I Miss You“-Ausstellung über deren Charakter hinweg – und erzählt die Ausstellung nur die halbe Wahrheit? Auf diesen Gedanken kann man allenfalls kommen, wenn man deren Fokus ignoriert. In „I Miss You“ geht es darum, über Jahrzehnte vernachlässigte Objekte überhaupt erst wieder sicht- und lesbar zu machen und den Besuchern eine Ahnung dafür zu vermitteln, warum man Kulturgüter am besten am Ort ihrer Herkunft versteht. Die beschlossene Rückgabe der „Benin-Bronzen“ ist nur der Anfang, die Debatte über ihre Natur beginnt gerade erst. Aber sie sollte in Nigeria geführt werden – und nicht in Deutschland, wo sich manche erst für die Bronzen interessieren, seitdem sie zurückgegeben werden sollen.

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