Kölner Opernpremiere „Ein Maskenball“Hier tanzen auch verwundete Verschwörer

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Riccardo wirkt mit weiß geschminktem Gesicht und violettem Anzug ein bisschen wie der Joker. Neben ihm Simone del Savio, ebenfalls in violetter Hose, aber weißem Hemd und einer Weste. Im Hintergrund das bunte Treiben des Chores der Kölner Oper.

Gaston Rivero tanzt als Riccardo auch mit einer tödlichen Wunde

Die Kölner Oper hat die Premiere von „Ein Maskenball“ gefeiert. Es gab musikalische Highlights, das Stück war aber auffällig konventionell.

Das moderne Regietheater tut sich tendenziell schwer mit Verdis „Un Ballo in Maschera“. Der beliebten politisch-gesellschaftlichen Um- und Neudeutung der musikalisch immer wieder überwältigenden Oper steht die konsequente Privatisierung der Konflikte im Weg: Der Gouverneur Graf Riccardo wird hier nicht wie sein realhistorisches Vorbild, der schwedische König Gustav III., von Angehörigen einer Adelsfronde ermordet, der der Kurs der Staatsführung nicht passt, sondern aus durch und durch persönlichen Rachemotiven. Abstrus wird angesichts dessen ein Regiekonzept, das dieser Konstellation partout eine politische Dimension aufzwingen will. Solches war etwa der Fall in der vormaligen, von José Cura bewerkstelligten Kölner Inszenierung von 2008. Da wurde die Hautfarbe des Riccardo-Sängers zum Anlass, das Ganze auf „Otello“ hin zu trimmen. Schrecklich!

Glogers „Maskenball“ hat im Kölner Staatenhaus Premiere

Solche kapitalen Fehler begeht der aktuelle „Maskenball“ – er hatte am Sonntag im Saal 1 des Deutzer Staatenhauses Premiere – nicht. Oder besser gesagt: Regisseur Jan Philipp Gloger versucht sich hier und dort an einer politisierenden Aktualisierung, aber das bleiben blinde und für die Produktion weithin folgenlose Detailmotive. Ein Beispiel: Es gibt diesmal nicht nur die vom Libretto vorgeschriebenen mordlustigen Riccardo-Hasser, sondern auch noch eine weitere, die rote Anarchistenfahne schwingende Opposition, die allerdings vom Sicherheitspersonal rasch unschädlich gemacht wird. Tatsächlich fielen im 19. Jahrhundert, also in der Entstehungszeit der Oper, etliche gekrönte Häupter – von Sisi bis hin zu russischen Zaren – einschlägigen Attentaten zum Opfer.

Das Bühneneinheitsbild (Ben Baur) mit angedeuteter antikischer Palastarchitektur (Säulen, Treppen) und die Kostüme (Sibylle Wallum) weisen entsprechend auf das 19. Jahrhundert hin – Riccardo ist in diesem Kontext auch nicht mehr Gouverneur im Neuengland des ausgehenden 17. Jahrhunderts, sondern… Nun ja, was eigentlich? Eine vollends genaue Situierung des Geschehens findet nicht statt, und wenn am Schluss die überlebensgroße Statue des Verblichenen mit Seilen vom Podest gezogen wird, fühlt man sich sogar an Denkmalstürze nach dem gewaltsamen Ende von Diktatoren unseres Zeitalters erinnert. In der Tat kommt Glogers Riccardo als Herrschergestalt nicht durchweg sympathisch herüber, narzisstische Selbstfeier ist ihm keineswegs fremd.

Inszenierung an der Kölner Oper dehnt das Masken- und Tanzmotiv aus

Konzeptuell-gedanklich mag das alles nicht restlos ineinander aufgehen, aber es beschädigt das Ganze auch nicht weiter. Und konservativ orientierte Operngänger dürften sich allemal über den ausweislich der Farben, Stoffe und Dekors erlesenen Bühnengeschmack freuen – da brennen keine Öltonnen und liegt kein Müll herum, und es gibt auch keine Ledermäntel und fettigen Haare. Freilich garantiert das allein noch nicht das Gelingen einer Inszenierung. Dieses oder jenes Defizit mag den Raumverhältnissen geschuldet sein. Die Ulrica-Sphäre und die Horrorheide, wo Amelia ihr Vergessenskraut pflücken soll, erheischen ortssymbolisch eigentlich zwingend einen Wechsel des Bühnenbildes, der aber im Staatenhaus nicht zu machen ist.

Szene aus dem "Maskenball", Chor der Oper Köln, Gaston Rivero, Simone del Savio

Gaston Rivero tanzt als Riccardo auch mit einer tödlichen Wunde

Glogers Basisidee hat im Prinzip einiges für sich: Er nimmt den Werktitel in beiden Bestandteilen insofern ernst, als der Maskenball sich vom dritten Akt aus auf die komplette Oper ausdehnt: Das Masken- und das Tanzmotiv – auch die Verschwörer tanzen am Ende des zweiten Akts, und Riccardo tanzt noch mit seiner tödlichen Wunde – dominieren durchweg, das Ineinander mehrerer Wirklichkeiten, der Täuschungen und Selbsttäuschungen, von Fest und Katastrophe findet solchermaßen einen sinnfälligen Ausdruck. Jenseits dieses Kerngedankens ist der Regie indes nicht allzu viel eingefallen: Choreografie, Personenführung und Gestensprache bleiben unauffällig und konventionell, allerdings auch durchweg verständlich. Hier befindet sich alles da, wo es hingehört. Zuweilen gefriert die Szene zum Tableau.

Gürzenich Orchester befreit sich aus Begleiterrolle

Mehr als achtbar bewältigt werden die Probleme, die die unglückliche Positionierung des Gürzenich-Orchesters links neben der Bühne mit sich bringen. Klar, ohne Reibungsverluste geht das nicht ab, aber Giuliano Carella am Dirigierpult schafft es von den ersten Takten des Vorspiels an, das Orchester aus einer Begleiterrolle im Off zu befreien und zu einem stets aktiven, sich dabei aber auch nicht aufdrängenden Mitspieler der Dramenhandlung zu machen. Die charakteristischen Instrumentalfarben – Riccardos, der Verschwörer – leuchten in ihrem Mit- und Gegeneinander kräftig auf, die Soli gefallen durchweg, und wenn noch einige Inhomogenitäten in den Streichern beseitigt sind, wird man von einem weithin inspirierten Verdi-Sound sprechen dürfen.

Die Sängerleistungen zeigen ein deutliches Gefälle. Gaston Rivero als Riccardo ist kein leichter Belcanto-Tenor, der im „Maskenball“ aber auch fehl am Platz wäre. Das Portamento mag teils zu üppig ausfallen, die Stimme gelegentlich zu sehr powern, aber sie ist beweglich, im Timbre abwechslungsreich und verströmt auch immer wieder jenen Wohlklang eines melancholischen Addio, der der Partie ihren berückenden Zauber verleiht. Simone del Savio gibt dem Renato seinen schönen, sehr präsenten und artikulatorisch genauen Bariton, der auch stimmlich die Kurve vom Freund zum Feind nobel und ohne billig-melodramatisches Ausrasten hinkriegt.

Der Opernchor läuft zu großer Form auf

Mit einer relativen Enttäuschung wartet Astrik Khanamiryan als Amelia auf: Sie schafft es nicht, die Eintönigkeit eines hochdramatisch-schrillen Heroinentums abzurüsten, nicht einmal in der cello-begleiteten Arie „Morrò, ma prima in grazia“ im dritten Akt, wo das zwingend angezeigt wäre. Agostina Smimmero als Ulrica gibt sich angemessen düster, ohne doch die charismatische Dämonie einer Dalia Schaechter in dieser Rolle zu erreichen. Erfreulich geschmeidig, wenn auch im Klang etwas metallisch bewältigt Hila Fahima die Koloraturen des Pagen Oscar. Ordentlich besetzt sind die Nebenrollen, und zu großer Form läuft der Opernchor auf. Zumal das höhnische Staccato der Verschwörer könnte eindringlicher kaum über die Bühne zu bringen sein.

Insgesamt gehen diese drei Brutto-Stunden dann doch vorüber, ohne dass der genervte Blick auf die Uhr fällig würde. Das Premierenpublikum empfand das offensichtlich genauso und spendete buhfreien, wenn auch vielleicht nicht überschwänglichen Beifall.

Zur Veranstaltung

„Ein Maskenball“ von Giuseppe Verdi. Weitere Aufführungen: 18., 20., 24., 26., 28. April, 2., 4., 10. Mai. Alle Informationen gibt es hier

Stückbrief

Musikalische Leitung: Giuliano Carella

Inszenierung: Jan Philipp Gloger

Bühne: Ben Baur

Darsteller: Gaston Rivero, Simone des Savio, Astrik Khanamiryan, Agostina Smimmero, Hila Fahima

Dauer: 3 Stunden inklusive Pause

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