Kunstbiennale VenedigTriumph der Frauen und der Menschmaschinen

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Gigantische Landart-Arbeit von Saype auf einem venezianischen Kanal

Venedig – Warum tut sich eine Künstlerin Bauarbeiten an dem Säulenbau des deutschen Pavillons an? Von außen scheint Ernst Haigers Monumentalgebäude aus der NS-Zeit noch intakt. Im Innern aber beginnt das Stirnrunzeln. Wo ist bloß die Kunst abgeblieben? Und warum schaut man im Hauptraum in ein dunkles Erdloch? Hier und da scheint der Putz an den Wänden mutwillig abgekratzt.

Es sind minimalistische Eingriffe, von denen man sich nicht täuschen lassen sollte. Die 1962 geborene Konzeptkünstlerin Maria Eichhorn ist nicht etwa an ihrem Auftrag gescheitert. Sie hat im Verlauf des von Yilmaz Dziewior kuratierten Projekts „Relocating a Structure“ nichts weniger als die Reste des 1909 erbauten „Bayerischen Pavillons“ freigelegt. Die Nazis haben diesen 1938 erweitert und damit den Grundstein für Generationen von Künstlerinnen und Künstlern gesetzt, die sich bis heute an dem ideologisch toxischen Herrschaftsungetüm abarbeiten.

Bei Maria Eichhorn wird das nackte Fundament zur Metapher

Eichhorn schließt sich ihnen mit einer gründlichen Recherche an. Während sich das nackte Fundament als Metapher für die Höhen und vor allem Tiefen des Pavillons und der deutschen Geschichte lesen lässt, liefert ein voluminöser Katalog die Hintergrundinformationen zum Gebäude. Darüber hinaus werden Stadtführungen zu Schauplätzen des Antifaschismus und der Deportation der Juden in Venedig angeboten. Keine leichtfüßig zu konsumierende Kunst, typisch deutsch werden manche nörgeln, aber seit dem Angriffskrieg auf die Ukraine auch beklemmend relevant, im Gegensatz zu einigen der insgesamt 79 Pavillons, etwa dem französischen oder dem österreichischen, die mit ihrer Verspieltheit und guten Laune irritierend deplatziert wirken.

Die deutlichste Spur des Ukraine-Krieges in den Giardini markieren indes die verschlossenen Türen des russischen Pavillons. Künstler Kirill Savchenkov und Kurator Raimundas Malašauskas waren bereits kurz nach dem Einmarsch zurückgetreten. Dass der ukrainische Pavillon im Arsenale bespielt wird, grenzt im Gegenzug an ein logistisches Wunder. Pawlo Makow zeigt eine Installation aus Trichtern, die sich nur mühsam zu einem Wasser spendenden Brunnen auftürmen. In seinem Beitrag sieht der Bildhauer und Zeichner eine „Metapher für Erschöpfung“, auch der westlichen Demokratien, die nicht imstande seien, ihre Werte zu verteidigen.

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Blick in den Deutschen Pavillon von Maria Eichhorn

Eine Vorahnung der eigenen Schwäche findet sich in nicht wenigen Pavillons. Wie nach einer verlorenen Schlacht fühlt man sich etwa bei den Dänen, wo Uffe Isolotto in einer Trümmerszenerie Zentauren aus der Zukunft gegeneinander kämpfen lässt. Eine verunsichernde Gegenwart haben die Australier zu bieten. „Desastres“ heißt die infernalisch laute Sound-Bild-Installation von Marco Fusinato. Die grobkörnig erodierenden Schwarz-Weiß-Motive dieser Oper des Niedergangs, zwischen Klimakollaps, sozialem Aufruhr und Krieg, könnten nicht pessimistischer sein. Und es geht noch apokalyptischer. Malta lässt in einem dunklen Saal Feuerkugeln von der Decke in ein Wasserbecken fallen – ein simpler Effekt, der aber seine angsteinflößende Wirkung eines drohenden Flächenbrands nicht verfehlt.

Ein Kandidat für den Goldenen Löwen? Sicherlich der schmerzhaft intime rumänische Pavillon. „Du bist ein anderes Ich – eine Kathedrale des Körpers“ ist der Titel der von den Erfahrungen der Lockdowns zehrenden, audiovisuellen Installation der Bukarester Regisseurin und Drehbuchautorin Adina Pintilie, die bereits 2018 für ihr kontroverses Langfilmdebüt „Touch Me Not“ mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet wurde. Im Zentrum stehen Körper, die beim Sex, Tanzen oder in Gesprächen ihr Verhältnis zu den anderen erkunden, eine intensive Feier des Unterschieds, die das Trennende überwinden möchte.

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Dazu passt, dass die Hauptausstellung zum ersten Mal eine Italienerin kuratiert. Cecilia Alemani, Chefkuratorin von High Line Art in New York, ist es zu verdanken, dass in der 127-jährigen Biennale-Historie erstmals die Mehrheit der 213-köpfigen Künstlerschaft weiblich ist. Ihr Motto „The Milk of Dreams“ hat sie einem Buch über fantastische Wesen der Surrealistin Leonora Carrington entnommen. Da verwundert es nicht weiter, dass hybride Mensch-Maschinen die Gänge im Übermaß bevölkern. Die omnipräsenten Körper sind mal entstellt, mal mechanisiert erweitert, entstammen mythologischen Gegenwelten oder treten wie überdimensionale Gottheiten auf.

Während sich die Cyber-Expertin Lynn Hershman Leeson kritisch mit künstlichem Leben befasst, verströmt ein fruchtbar riechender Erdhaufen von Delcy Morelos den Duft von Kakaopulver und Tabak und verlangt überdeutlich nach einem Zurück zur Natur. Zwischen Esoterik, Eskapismus, Identitätspolitik und Spektakel begegnet man immer wieder historischen Pionierinnen weiblicher Eigenwilligkeit. Die meisten von ihnen schufen ihr Werk in den Roaring Twenties, von Josephine Baker über Claude Cahun bis zu der Russin Alexandra Exter, die futuristische Kostüme für den Science-Fiction-Film „Aelita“ von 1924 entwarf.

Eine Ausstellung für schwierige Zeiten

Nicht nur in diesem Segment sind Entdeckungen garantiert. Zu großen zeitgenössischen Namen wie Rosemarie Trockel oder Barbara Kruger gesellen sich Neulinge wie die Polin Aneta Grzeszykowska, die mit ihrer Foto-Serie „Mama“ meisterhaft die Tradition eines abgründigen Surrealismus fortführt.

Es sind schwierige Zeiten, scheint die beinahe wuchernde Ausstellung zu sagen, aber es gab schon früher schwierige Zeiten und Kunst ist nicht zuletzt auch dazu da, um Energien für einen Neuanfang freizusetzen.

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