Toter Motown-KomponistDiese sechs Songs von Lamont Dozier sollten Sie kennen

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Lamont Dozier, 1941-2022  

Detroit – Am 8. August ist der amerikanische Komponist Lamont Dozier gestorben. Zusammen mit  den Brüdern Brian und Eddie Holland bildete er das Rückgrat des Motown-Labels. Das Trio zeichnete für etliche der unsterblichsten Hits der Popgeschichte verantwortlich. Diese sechs Songs sollten Sie gehört haben:

Martha and the Vandellas „Heat Wave“ (1963)

Am 9. Juli 1963 veröffentlichte Motown den Song, der mehr als jeder andere den Sound des Detroiter Labels definierte. Lamont Dozier und die Brüder Brian und Eddie Holland hatten für Martha Reeves bereits das R’n’B-Stück „Come and Get These Memories“ geschrieben, es wurde ihr erster Hit als Songwriting-Team. Aber „Heat Wave“ stieg synchron zum Thermometer: Je heißer der Sommer in Amerika wurde, desto höher kletterte das Stück die Billboard Charts hinauf. Wie Reeves hier mit lässiger Selbstsicherheit von einer Liebe singt, die sie von innen verbrennt, wie die Vandellas sie im Refrain orgiastisch überkreischen und wie Mike Terrys Baritonsaxofon sie dabei immer weiter antreibt. Die gemeinsamen Gospel-Wurzeln von Holland-Dozier-Holland hört man hier noch deutlich heraus, aber „Heat Wave“ ist Pop in Perfektion.

The Supremes „Where Did Our Love Go?“ (1964)

Mit diesem Song wandten sich Holland-Dozier-Holland ab von der überschäumenden Energie der Marvelletes und Martha and the Vandellas, hin zum sinnlicheren Charme der Supremes. Es war der Song, der Diana Ross als Solosängerin des Trios etablierte – obwohl sie ihn zuerst nicht ausstehen konnte und in Tränen aus dem Studio floh. Genau dieser Widerstand aber, erzählte später Lamont Dozier, hätte ihrer Stimme in die richtige Lage versetzt und den Song zur ersten Nummer Eins der Gruppe gemacht, die zuvor in den Motown-Studios als No-Hit-Supremes verspottet worden war. Acht weitere Nummer-Eins-Hits aus der Feder des Top-Teams folgten: „Baby Love“, „Come See About Me“, „Stop! In the Name of Love“,  „Back in My Arms Again“, „I Hear a Symphony“, „You Can’t Hurry Love“, „You Keep Me Hangin’ On“, „Love Is Here and Now You're Gone“,  – ein legendärer Lauf.

The Four Tops „Reach Out I’ll Be There“

Lamont Dozier und die Holland-Brüder einte nicht nur die Liebe zum Gospel, sondern auch die zur klassischen Musik. Was man nirgendwo deutlicher hört, als im instrumentalen Intro zu „Reach Out I’ll Be There“. Es folgt eine Soul-Arie von opernhafter Dramatik, wenn auch ohne Belcanto-Gesang: Lamont Dozier ermutigte Leadsänger Levi Stubbs seine Zeilen herauszubellen wie Bob Dylan, Eddie Holland ließ ihn am oberen Ende seines Registers singen. Worüber sich Stubbs anfangs beschwerte, bis er verstand, dass er hier einen übereifrigen Liebhaber spielte und spontan die berühmte, beinahe stalkerhafte Zeile „just look over your shoulder“ hinzufügte.

The Supremes „You Keep Me Hangin’ On“ (1966)

Schon die Morse-Zeichen funkende Gitarre im Intro zerrt an den Nerven: Hier ist jede Leichtigkeit aus der Liebe verschwunden, sie ist erst zur Gewohnheit, schließlich zur Qual geworden. „Sei ein Mann und gib mich frei“, fleht Diana Ross. Warum der drängende Song  dennoch  klingt wie ein kleiner Triumph? Weil die Liebesmüde ihren Entschluss natürlich längst felsenfest gefasst hat.

Chairmen of the Board „Give Me Just a Little More Time“ (1970)

Unweigerlich zerstritten sich Holland-Dozier-Holland mit Motown-Boss Berry Gordy über ihren Anteil an den Tantiemen, immerhin waren sie für den Großteil der Hits des Labels verantwortlich. Gordy blieb hart, H-D-H drosselten daraufhin ihren Output radikal, bis sie das Label schließlich 1968 verließen und mit Invictus Records und Hot Wax Records ihre eigenen Plattenfirmen gründeten. Ihr zwingendster Song aus dieser Zeit ist sicher „Give Me Just a Little More Time“. General Johnson, Frontmensch der damals just gegründeten Soulband Chairmen of the Board singt am Rande des Nervenzusammenbruchs. Aber wer sein Plädoyer nach dieser sagenhaften Single nicht erhört, der muss auch für jede andere Gefühlserregung  taub sein.

Lamont Dozier „Going Back to My Roots“ (1977)

1973 verließ Lamont Dozier das Team und ging zurück zu seinen Wurzeln als Performer. Seinen größten Solo-Moment erlebte er mit dem afrozentrischen Statement „Going Back to My Roots“ – Alex Haleys Roman „Roots: The Saga of an American Family“ war im Jahr zuvor erschienen, die Serie zum Buch lief gerade im US-Fernsehen. „Going Back ...“ ist ein Album-Track, der das Singleformat um etliche Minuten überschreitet. Der Song ist in späteren Disco-Versionen von Richie Havens und Odyssey noch mal viel bekannter geworden, aber bereits das Original ist ein echtes Funkmonster, Lichtjahre entfernt vom radiofreundlichen Motown-Sound.

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