Musiker Christopher Annen zur Wahl„Für meinen Alltag geht es bei EU-Politik um ganz konkrete Sachen“

Lesezeit 6 Minuten
Christopher Annen

Christopher Annen

Christopher Annen von der Kölner Band AnnenMayKantereit über sein Engagement für die Europawahl.

Herr Annen, Sie engagieren sich für die Europawahl, die vom 6. bis 9. Juni stattfindet. Wo haben Sie in Ihrem Alltag als Musiker mit Europapolitik zu tun?

Als Musiker interessiere ich mich natürlich vor allem für Kulturpolitik – zum Beispiel die Urheberrechtsreform, die es vor ein paar Jahren gab. Oder jetzt ganz aktuell der AI Act - ein Vorschlag für eine europäische Verordnung über künstliche Intelligenz. Anfang des Jahres hat das Parlament sich auch mit einer Resolution für mehr Fairness, Transparenz und Vielfalt im Musikstreaming-Markt eingesetzt – das sind natürlich alles Dinge, die uns im musikalischen Alltag als Band dann tatsächlich auch beschäftigen.

Und denken Sie, dass die EU da auch tatsächlich was bewirken kann?

Ja, definitiv. Die EU setzt da die Rahmen für die internationale Wirtschaft – Transparenz ist da ein total wichtiger Punkt. Wenn es zum Beispiel darum geht, ob die eigenen Werke genutzt wurden für das Training einer Künstlichen Intelligenz. Da könnte die EU dafür sorgen, dass die Künstler dafür dann auch vergütet werden. Eigentlich krass, dass das nicht selbstverständlich ist! Denn da geht es um Firmen, die mit generativer KI Geld verdienen. Also mit künstlicher Intelligenz, die zum Beispiel Musik, Bilder, Texte oder Videos kreieren kann – auf Grundlage von der Arbeit von Künstlern, die im Moment komplett leer ausgehen. Das sind alles Themen, wo die EU sehr gute Arbeit leistet und auch hoffentlich weiter leisten wird.

Was haben Sie persönlich für einen Bezug zu Europa und zur Europapolitik?

Dass wir in Europa frei wählen können, dass jeder von uns eine Stimme hat, bedeutet mir viel. Runter gebrochen ist das natürlich nur eine kleine Stimme, aber das ist meine Möglichkeit, dort teilzuhaben und die Positionen, die ich vertreten haben möchte, zu stärken. Und ich finde, das ist ein total großes Privileg, an freien Wahlen teilnehmen zu dürfen und darum finde ich, muss man das auch wahrnehmen. Dieses Privileg ist ja leider überhaupt nicht selbstverständlich.

Für meinen Alltag als Musiker geht es bei der EU-Politik tatsächlich um ganz konkrete Sachen
Christopher Annen

Brüssel liegt ja viel näher an Köln als Berlin. Trotzdem empfinden viele die Politik der EU als sehr weit entfernt von ihrem Leben. Sie nicht?

Es wundert mich auch manchmal, dass dann so getan wird, als sei die europäische Ebene viel weiter weg als die Bundesebene und eben noch mal tausendmal weiter weg als die Landes- oder Kommunalebene. Vielleicht liegt einem erstmal die Frage näher, wo im Ort eine Ampel oder ein Kreisverkehr hinkommt. Aber für meinen Alltag als Musiker geht es bei der EU-Politik tatsächlich auch um ganz konkrete Sachen. Wie eben die Frage, ob und wie ich bezahlt werde, wenn irgendwo unsere Songs gestreamt werden.

Was kann denn das EU-Parlament für die Musiker in so einer Frage überhaupt erreichen?

Auf europäischer Ebene wurde jetzt am Anfang dieses Jahres eine Resolution vom Parlament mit sehr, sehr großer Mehrheit verabschiedet. Die beschreibt erstmal den Status und Problemfelder: Künstler*innen, Musiker*innen und Urheber*innen sind zwar das erste Glied der Wertschöpfungskette, aber gleichzeitig die, bei denen am wenigsten ankommt. Und so ein Satz vom Parlament verabschiedet zu sehen -  das ist total stark, finde ich. Jetzt liegt der Ball bei der Kommission - die muss auf Grundlage der Resolution ein Gesetz erarbeiten, verabschieden und schließlich auch durchsetzen. Das heißt, das ist schon noch ein sehr langer Weg. Aber das Bemühen geht auf jeden Fall genau in die richtige Richtung. Und wer sollte sowas denn auch sonst regeln?

Deutschland alleine wäre solchen Giganten wie Spotify, Amazon oder gar Microsoft wahrscheinlich noch hilfloser ausgeliefert als die EU...

Ganz genau. Und das finde ich, ist ein total wichtiger Punkt. Wir haben ja den EU-Binnenmarkt und bei ganz viele Entscheidungen macht es überhaupt keinen Sinn, sie auf nationaler Ebene zu treffen. Das hat man jetzt auch gesehen beim Digital Markets Act (DMA). Mit dem Gesetz über digitale Märkte hat die EU-Kommission die Macht marktbeherrschender Digitalkonzerne beschränkt und einen Verhaltenskodex aufgestellt. Und wenn so was von der EU kommt, kann Apple das nicht mehr einfach so ignorieren – oder Meta oder Alphabet. Da müssen die einfach ihre Oberflächen und die Nutzung anpassen. Das sind Sachen, die am Ende jeder Nutzer spürt.  Vielleicht kann man sich darüber ärgern, dass es jetzt umständlicher ist - aber eigentlich eröffnet das einem die Möglichkeit, sich freier für Dienste entscheiden zu können. Das verbessert den Wettbewerb und ich wüsste nicht, was man da dagegen haben sollte?!

Ich glaube, man macht einen großen Fehler, wenn man die Bedeutung von Kultur für die Demokratie und die Gesellschaft unterschätzt.
Christopher Annen

Sie sind 1990 geboren – gibt es in Ihrer Generation eine Wertschätzung für die europäische Idee? Oder ist das ganz selbstverständlich?

Also ich erlebe auf jeden Fall in meinem Umfeld schon eine große Wertschätzung - alleine, dass man einfach so reisen kann. Ich habe auch das Gefühl, dass immer mehr sich auch als Europäer*innen fühlen. Aber wenn man natürlich sieht, wie mit Flüchtlingen an den EU-Außengrenzen umgegangen wird, ist es nicht das, was ich unter europäischen Werten verstehe. So etwas wie das weitgehende Verbrenner-Aus oder das Lieferkettengesetz, das gegen die von der FDP durchgedrückte Enthaltung Deutschlands verabschiedet wurde, wird in meinem Freundeskreis sehr positiv wahrgenommen, dass sich die EU um faire Arbeitsbedingungen kümmert, für Leute, die die Sachen produzieren, die wir hier konsumieren.

Die Kulturpolitik hat angesichts der ganzen internationalen Krisen ja keinen leichten Stand.

Ja, das Thema fällt in der Wahrnehmung bei den Leuten manchmal hinten rüber, leider. Nicht nur auf EU-Ebene. Der NRW-Kulturhaushalt ist zum Beispiel leider auch deutlich geschrumpft. Man merkt deutlich, dass die Förderung der Kultur in den Haushalten einfach stark abnimmt. Klar, in der Corona-Zeit war sie auch stark angestiegen. Aber das ist ja kein Argument, bei der Kultur jetzt als Erstes zu sparen. Und kulturelle Veranstaltungen – das sind Orte, wo die Menschen zusammenkommen. Wo ein Austausch stattfindet. Auch oder gerade über die Kriege und Krisen. Ich glaube, man macht einen großen Fehler, wenn man die Bedeutung von Kultur für die Demokratie und die Gesellschaft unterschätzt.


Christopher Annen, 1990 in Köln geboren und aufgewachsen, ist Gitarrist der Band AnnenMayKantereit, die er nach der Schule mit zwei Freunden gründete. Mit ihnen hat er bis heute vier Studioalben veröffentlicht und hunderte Konzerte gespielt. Neben der künstlerischen Arbeit betreiben AnnenMayKantereit ihr eigenes Label und seit 2021 ihre eigene Managementstruktur. Seit 2021 ist Christopher Annen Mitglied bei ProMusik und seit 2023 auch 2. Vorstandsvorsitzender des Verbands. 

KStA abonnieren