Das Beste aus 2023Otto Kernberg: „Ich sehe in Trump große Ähnlichkeit mit Hitler“

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Otto Kernberg blickt in die Kamera, er trägt ein Jackett, einen blauen Pullover und ein weißes Hemd.

Otto Kernberg wurde 1928 in Wien geboren und lebt seit langem in den USA.

Otto Kernberg ist der wohl bekannteste lebende Psychoanalytiker. Bei einem Besuch in Köln sprach der 95-Jährige über bösartigen Narzissmus.

Auch mit 95 Jahren kann man noch Neuland betreten. Für Otto Kernberg ist es am Mittwoch beim Kölner Alexianer-Therapieforum eine Premiere, über seine nun schon 70 Jahre währende Karriere zu sprechen. Das ist erstaunlich, denn der gebürtige Wiener ist der wohl bekannteste lebende Psychoanalytiker. An Kernberg kommt niemand vorbei, der sich mit narzisstischen und anderen schweren Persönlichkeitsstörungen wie der Borderline-Erkrankung beschäftigt. 


Dieser Text gehört zu unseren beliebtesten Inhalten des Jahres 2023 und wurde zuerst am 23. September veröffentlicht. Mehr der meistgelesenen Artikel des Jahres finden Sie hier.


Kernberg berichtet über verschiedene Fälle und seine Lehren daraus, er räumt eigene Fehler ein und spricht mit Respekt über seine Patientinnen und Patienten. Ein guter Therapeut müsse eine Verbindung schaffen, er brauche Ehrlichkeit, Offenheit, Demut, Direktheit und einen tiefen Menschenverstand.

Psychiater Otto Kernberg sieht Ähnlichkeiten zwischen Donald Trump und Adolf Hitler

Seit 1976 ist Kernberg – inzwischen emeritierter – Professor für Psychiatrie an der Cornell University. Noch immer therapiert er Menschen in seiner Praxis, hat eine 60-Stunden-Woche. „So lange mein Gehirn arbeitet und ich das kann, will ich das machen“, sagt er. „Mich interessieren Menschen, ich bin entsetzlich neugierig.“

Als Kernberg die Bühne betritt, sieht man ihm sein Alter durchaus an. Er stützt sich auf seinen Stock, setzt bedächtig einen Fuß vor den anderen. Aber wenn der Wissenschaftler spricht, klingt seine Stimme fest, seine Gedanken formuliert er frei und durchdacht. Er spricht Deutsch mit leicht österreichischem Akzent. Dass er seine Heimatstadt im Jahr 1939 verlassen musste, weil die Nationalsozialisten sein Leben und das seiner Familie bedrohten, hört man nicht, nur selten sucht er nach Worten. 

Der Verlust der Heimat prägte Kernberg

Der Verlust der Heimat und die Erfahrung, mit Hass und Ausgrenzung in einer Diktatur umgehen zu müssen, haben ihn geprägt. Er floh mit seinen Eltern nach Chile, fast alle Verwandten wurden während des Holocaust ermordet. „Meine Beschäftigung mit diesen Themen hat damit zu tun, dass sich von einem Tag auf den anderen die bösesten Instinkte des Menschen zeigten, dass Hitler fähig war, Wien innerhalb von wenigen Wochen in eine abscheuliche, antisemitische Gräuelstadt zu verwandeln.“

In der chilenischen Hauptstadt studierte er Medizin, ließ sich zum Facharzt für Psychiatrie ausbilden und machte eine Ausbildung zum Psychoanalytiker. Anfang der 1960er emigrierte er in die USA und wurde einer der führenden Forscher auf seinem Gebiet.

Ihn interessiert die Psychologie von Gruppen und deren Beziehung zu ihren Anführern.  „Menschen, die sich vollkommen mit einer Masse identifizieren, haben weniger kognitive Fähigkeiten. Sie verlieren ihr reifes Urteil. Sie sind nicht fähig, unabhängig zu denken und zu handeln.“ Er untersuchte Hitler und Stalin im Hinblick auf Persönlichkeitsstörungen und prägte den Begriff des bösartigen Narzissmus.

Ideologien mit vereinfachten, radikalen Weltverbesserungsversprechen sind ihm zuwider: „Freuds Bemerkung, dass wir nur eine dünne Schicht der Zivilisation haben, unter der Potenzial für große Aggression ist, beschäftigt mich.“ Die aktuellen politischen Entwicklungen in Europa und den USA beobachtet er mit großer Sorge und sieht Parallelen zu den Entwicklungen in Deutschland in den 1920er und 1930er Jahren. „Man sucht sich einen Führer, der stark und sicher ist und garantiert, dass man die Macht gewinnt. Die Ideen müssen einfach sein, sodass alle sie verstehen können und das Gefühl haben, dieser große Mann denkt ja genauso wie wir. Wir brauchen uns nicht minderwertig fühlen. Er ist einer von uns.“

Deshalb sei auch Donald Trump mit seinen simplen Slogans so erfolgreich. „Ich sehe in Trump große Ähnlichkeit mit Hitler“, sagt Kernberg mit Nachdruck. Die Atmosphäre in den Staaten sei der in Deutschland und Österreich in den 1930er Jahren sehr ähnlich. Trumps Bereitschaft zu lügen, werde von seinen Anhängern nicht als Schwäche ausgelegt, sondern als Freiheit, seine Aggressionen gegen seine Feinde loszulassen.

Leidet Donald Trump an einer Persönlichkeitsstörung?

Die Frage, die immer wieder an ihn herangetragen wird, ob Trump an einer Persönlichkeitsstörung leidet und welche das ist, könne er ohne Gespräche mit ihm nicht seriös beantworten. „Ich mache keine Diagnose über Trump.“ Aber er zeige Züge, die einem bösartigen Narzissmus entsprechen. „Es gibt das politische Syndrom einer Führerschaft, die narzisstische Großartigkeit, außerordentliche Aggression, paranoide Einstellung und antisoziales Verhalten zeigt.“ Diese vier Merkmale vereint führten zu einer gefährlichen Leitung regressiver Gruppen. „Sie sind sozial gefährlich, erklären Ausschreitungen, Massenmord und den Verlust der zivilisierten Einstellung, wie wir sie in Nazideutschland gesehen haben“, sagt Kernberg.

„Es besteht die Gefahr, dass sich solche regressiven Gruppen bilden, wenn große soziale Unterschiede und Spaltungen zwischen privilegierten und unterprivilegierten Gruppen bestehen.“ Diese Unterprivilegierten suchten einen Führer mit einer solchen Persönlichkeit.

Nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Ende der russischen Diktatur seien wir fälschlicherweise davon ausgegangen, dass ein Zeitalter der Demokratie einsetzen würde. Das Erstarken rechtsradikaler Kräfte in Europa und Amerika beweise das Gegenteil: „Wir haben dieses Problem noch nicht gelöst. Die Versuchung des Sadismus und der Grausamkeit ist so stark, dass es eine Aufgabe der Menschheit ist, das zu erkennen und zu reduzieren.“


Otto Kernberg hat mit Manfred Lütz über sein Leben und seine Karriere gesprochen: „Was hilft Psychotherapie, Herr Kernberg?: Erfahrungen eines berühmten Psychotherapeuten“, Verlag Herder, 192 Seiten, 20 Euro.

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