Rassist, Sexist, FrauenschlägerSoll ein Kölner Museum weiter den Namen Wilhelm Joest tragen?

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Der Sammler Wilhelm Joest posiert mit Uniform und Orden für die Kamera.

Wilhelm Joest im Jahr 1894. Díe Sammlung des Ethnologen bildet den Grundstock des Kölner Rautenstrauch-Joest-Museums.

Die Autorin Anne Haemling zeichnet in einer neuen Biografie ein ungeschminktes Bild des Kölner Sammlers und Ethnologen Wilhelm Joest. Das Buch dürfte eine überfällige Diskussion anstoßen.

Es ist wahrlich keine neue Erkenntnis, dass sich unter den Kölner Museumsstiftern einige barocke Charaktere finden. Aber man kennt halt seine kölschen Pappenheimer und liest ihre Namen gerne an den Fassaden der Museen: Ferdinand Franz Wallraf, Alexander Schnütgen, Peter Ludwig. Lediglich Wilhelm Joest (1852-1897) fällt etwas aus der Reihe. Über ihn wusste man bisher nicht viel, außer dass er seine Sammlung in den europäischen Kolonien in Afrika, Amerika, Asien und Ozeanien zusammentrug und unter den Ethnologen seiner Epoche eher zu den fortschrittlicheren, weniger rassistischen gehörte.

Spätestens seit der Rückgabe der Kölner „Benin-Bronzen“ ist daher die Frage nicht nur erlaubt, sondern geboten: Wer war Wilhelm Joest? Seine Sammlung bildet den Grundstock des von Adele Rautenstrauch, seiner Schwester, im Jahr 1901 begründeten Rautenstrauch-Joest-Museums; auf welche Weise er die etwa 3500 Objekte erwarb, ist weitgehend ungeklärt. Die Frage nach Joests Charakter und Forscherethos zieht daher unweigerlich weitere Fragen nach sich: Besteht seine Sammlung aus Beutekunst? Und: Will man Joests Namen weiterhin an „seinem“ Museum prangen sehen?

Wilhelm Joest ist eine Schlüsselfigur der deutschen Ethnologie

Jetzt liegen die Ergebnisse eines Kölner Forschungsprojekts zu Wilhelm Joest vor – in Form einer Biografie und eines Sammelbandes ausgewählter Schriften. Letzteres ist eine Überraschung, denn Joest galt vor allem als eifriger Verfasser unleserlicher Tagebücher. Aber der Globetrotter war auch ein Autor zahlreicher wissenschaftlicher Aufsätze und populärer Bücher; die Abonnenten der „Kölnischen Zeitung“ nahm er ebenfalls regelmäßig auf seine Reisen mit. Wie lehrreiche Abenteuergeschichten lesen sich diese Berichte allerdings heute nicht mehr: Die Herausgeber Carl Deußen und Anne Haeming publizieren sie als Beispiele dafür, wie kolonialistische Sichtweisen verallgemeinert werden.

Von Anne Haeming stammt auch die ebenfalls bei Matthes & Seitz erschienene Biografie. Haeming betont, dass Joest nicht nur ein Kölner Thema sei, sondern eine Schlüsselfigur zum Verständnis der deutschen Ethnologie in der Kolonialzeit. Anders als viele forschende „Kolonialherren“ hielt er sich nicht bedeckt. Seine Schriften sind so ausführlich wie offenherzig, gerade in seinen Tagebüchern plauderte er aus dem Nähkästchen einer, so Haeming, im Kern rassistischen Wissenschaft.

Wilhelm Joest war der Abkömmling einer reichen Kölner Kaufmannsfamilie, die ihr Vermögen nicht zuletzt dem Handel mit den Kolonien verdankte. Allerdings reizte ihn die Ferne mehr als das Familiengeschäft - zunächst als Weltreisender und Sextourist. Später nobilitierte er diese Leidenschaften durch seine wissenschaftliche Tätigkeit, ohne deswegen von den für ihn angenehmen Seiten seines Abenteurerlebens zu lassen. „In jeder neuen Stadt“, so Haemling, „kannte er schnell die Hurenhäuser.“ 

Blick auf die Ziegelfassade das Rautenstrauch-Joest-Museums.

Das Rautenstrauch-Joest-Museum in Köln mit dem Schriftzug der Museumsstifter.

Joests Sammelleidenschaft wurde von der damals weit verbreiteten Furcht befeuert, dass die indigenen „Völker“ durch den westlichen Einfluss sich selbst entfremdet würden und es zu retten galt, was dort noch zu retten war. Auch in anderer Hinsicht war Joest ein Kind seiner Zeit und ein Mann scheinbar unvereinbarer Widersprüche: Einerseits sprach er sich gegen die Abschaffung der Sklaverei in den Kolonien aus und hielt deren Bevölkerung für geistig unterlegen; andererseits war er überzeugt, dass sich der moderne Mensch nur selbst begreifen könne, wenn er das Leben der „Naturvölker“ versteht. „Die Zeiten“, so Joest in einem Aufsatz, „während deren der Europäer mit souveräner Verachtung auf den Naturmenschen, den Wilden, herabsah, sind vorbei.“

Haeming hat diesem Bild wenig grundsätzlich Neues, aber viele „bunte“ Details hinzuzufügen. Eher nebenbei erwähnt sie, dass Joests Ehe wegen häuslicher Gewalt geschieden wurde. Seine Ehefrau erzählte Bekannten, Joest habe sie krankenhausreif geprügelt, danach war es ihr offenbar des Schlechten zu viel. Anfangs habe Joest, so Haeming, seine Gewaltausbrüche noch in seinen Kladden notiert. Aber was schreibt er dort? Haeming zitiert ihn hier nicht, obwohl sie dies sonst ausführlich tut. Zwar macht es die Sache selbst nicht besser: Aber man hätte schon gerne gewusst, ob Joest sich seiner Schläge rühmt, ob er sich grämt, sie vor sich selbst rechtfertigt oder ob er sie buchhalterisch notiert.

Nach Haemings Darstellung verwendete Joest das Wort Jude so ähnlich wie das N-Wort: pauschal und ohne Ansehen des Individuums, stets in abwertender Manier und als Kennzeichen für das Andere der westlichen Gesellschaft. Inwiefern sein Antisemitismus „nur“ zeittypisch war oder ob er darüber hinausgeht, ob es Entlastendes oder wenigstens Ambivalentes dazu in seinen Schriften gibt, interessiert sie scheinbar nicht.

Anne Haeming erzählt Joests Leben als literarische Collage

Diese seltsame Zurückhaltung, an wichtigen Stellen nachzubohren, zieht sich durch das gesamte Buch. Haeming erzählt Joests Leben als „Collage“ aus biografischen Stationen und thematischen Exkursen und gleicht sich dabei bewusst dem reportagehaften Schreibstil seiner Bücher an. Bei ihr ist es eher ein literarisches Erzählen, das umschreibt, mäandert und sich mitunter windet. Es ist ein Schreiben in dekonstruktivistischer Tradition, in der es ein Leben, das sich als Bildungsroman nacherzählen ließe, nicht mehr gibt. Das ist ein etwas verblüffender Ansatz bei einem Gegenstand, der zunächst einmal nach Grundlagenforschung zu verlangen scheint.

Selbstredend ist alle Forschung immer vorläufig. Aber man kann diese Vorläufigkeit auch durch abwägendes Argumentieren andeuten, indem man zeigt, wie das eigene Urteil zustande kommt und welche Fakten oder Interpretationen diesem möglicherweise entgegenstehen. Haeming versucht etwas anderes, und auch das könnte funktionieren, würde sie nicht mitunter aus einer ähnlich hohen Warte auf Joest blicken, wie dieser auf die indigenen Gesellschaften, die er bereiste und erforschte.

Ein Rassist wie Joest, so scheint Haemings unausgesprochene Annahme zu lauten, kann auch sonst nicht sonderlich reflektiert gewesen sein. Wenn bei ihm etwas fortschrittlich klingt, etwa die Frage, ob man außereuropäische Artefakte nicht als Kunst und ihre Schöpfer als Künstler ansehen müsse, erkennt sie darin Koketterie oder eitle Lust an der Provokation. Seine wissenschaftliche Arbeit ist ihr kaum der Rede wert. Über sein „wissenschaftliches Vermächtnis“, so Haeming, ein Buch über Tätowierungen, sagt sie lediglich, dieses sei bis zur Jahrtausendwende oft zitiert worden. Ob es nach heutigen Maßstäben etwas taugt und was darin so lange nach der Abfassung noch interessierte, erfahren wir leider nicht.

So lässt uns diese Biografie trotz ihrer Materialfülle etwas ratlos zurück. Zwar kennen wir Wilhelm Joest jetzt deutlich besser als zuvor. Aber ein klares Bild dieses zwiespältigen Mannes wird nicht daraus.


Anne Haeming: „Der gesammelte Joest. Biografie eines Ethnologen“, Matthes & Seitz, 303 Seiten, 25 Euro.

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