Wagners „Walküre“ in der PhilharmonieKent Nagano schafft eine neue Wagner-Epoche

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Der dirigent steht auf der Bühne der Philharmonie und breitet die Arme leicht aus, er hält einen Taktstock in de rrechten Hand. An seiner Seite sind die Solisten, im Hintergrund das Orchester.

Kent Nagano leitete das Dresdner Festspielorchester und das Concerto Köln

In der Aufführung der „Walküre“ in der Kölner Philharmonie wird deutlich: Es wird einen Wagner vor und einen nach Kent Nagano geben. 

Ob die „Walküre“ bei ihren ersten Aufführungen in München und Bayreuth tatsächlich so getönt hat wie jetzt in Kent Naganos konzertanter „historisch informierter“ Darstellung in der Kölner Philharmonie? Wir werden es nie erfahren, aber die leidenschaftliche Akribie, die Nagano und seine zahlreichen (vor allem Kölner) wissenschaftlichen Mitstreiter in den vergangenen Jahren hinsichtlich der Rekonstruktion authentischer Temperatur, Instrumentation und Klangästhetik, Gesangsstile und Spielweisen an den Tag gelegt haben, lässt einen beträchtlichen Annäherungswert vermuten. Genaueres wird sich kaum sagen lassen.

Konzertante Aufführung von Wagners „Walküre“ in der Kölner Philharmonie

Mit der in diesen Tagen europaweit präsentierten „Walküre“ erklimmt der US-Amerikaner japanischer Herkunft nach dem „Rheingold“ die zweite Stufe im Mammutprojekt eines „wiederangeeigneten“, also aufführungspraktisch in der Entstehungszeit situierten „Ring“ – 2026, 150 Jahre nach Wagners Schlussstrich unter sein Hauptwerk, wird es mit der „Götterdämmerung“ auf die Zielgerade gehen. Was einst utopisch schien – die Realisierung ausgerechnet der Tetralogie mit dem ortsansässigen Originalklang-Ensemble Concerto Köln, dem sich aus Besetzungsnotwendigkeiten jetzt das Dresdner Festspielorchester verband –, es ist keine Utopie mehr.

Selbstredend klingt auch diese „Walküre“ signifikant anders, als man es aus Traditionsaufführungen gewohnt ist. Ein gestischer Sprechgesang tritt immer wieder an die Stelle des gewohnten Opern-Belcanto, Brünnhildes Kriegsrufe etwa kommen darüber reichlich veristisch herüber. Im Orchester wird vibratoarm, dafür mit vielen expressiven Portamenti gespielt, während insgesamt die auf 435 Hertz heruntergefahrene Stimmung im vokalen wie instrumentalen Bereich zu einer wahrnehmbaren Entspannung führt. Der Gesamtsound ist nicht mehr „brillant“, sondern eher gedeckt. Das Blech fährt nicht aggressiv einher – beim Walkürenritt dachte wohl niemand mehr an „Apocalypse Now“ –, während eine genaue kammermusikalische Profilierung der Register den sinfonischen Breitwandklang ersetzt. Gelegentlich erinnert die melodische Emphase übrigens deutlich an Mendelssohn – was man in diesem Kontext so gar nicht erwartet.

Kent Naganos Dirigat führt das Orchester in den Triumph

Wenn nach knapp fünfstündiger Brutto-Dauer ein nicht enden wollender Jubel in der Philharmonie ausbrach, dann hatte das selbstredend nicht nur mit der Freude angesichts des ungewohnten Klangbildes zu tun. Neues muss nicht allein deshalb überzeugen, weil es neu ist. Der Schlüssel zum Erfolg, um nicht zu sagen: zum Triumph, lag vielmehr ganz eindeutig in der Qualität von Naganos Dirigat.

Üblicherweise erfreuen sich konzertante Opernauführungen nicht der allergrößten Beliebtheit – weil zur Oper eben essenziell die Szene gehört. Im besten Fall hingegen – und diese „Walküre“ gehört dazu – gewinnt die musikalische Interpretation eine gestische Präsenz, Kraft und Eindringlichkeit, die das Fehlen nicht nur vergessen macht, sondern vielmehr in sein Gegenteil verkehrt. Die Opernbühne stellt sich dann, vermittelt über den dramatischen Kommentar – besser: das quasi-szenische Mitagieren des Orchesters –, unweigerlich im Kopf des Zuhörers her. Ein Beispiel dafür war jetzt der Dialog zwischen Wotan und Brünnhilde im dritten Aufzug, das zum erschütternden, von Schuld, Ohnmacht und emotionaler Erpressung gesteuerten Psychodrama mit allen Spielarten des Changierens zwischen Rache und Vergebung wurde.

Derek Welton ist als Wotan unübertrefflich

Großartig agierte die Sängercrew, die einige der derzeit international favorisierten Besetzungen der jeweiligen Partien vereinigte. Allesamt waren da keine den Rand der Selbsterschöpfung aufsuchende Brüllstimmen am Werk, sondern solche, die gleichsam mit dem vokalen Florett fochten. Und dabei mit einer derart verständlichen Artikulation aufwarteten, dass es der Übertitel kaum bedurft hätte. Schwer übertrefflich in düsterer Größe ist Derek Welton als Wotan, ihm ebenbürtig in der subtilen Charakterdarstellung Christiane Libor als Brünnhilde. In seiner dumpfen Brutalität als Hunding überzeugte Patrick Zielke genauso wie in seiner entflammten Erotik das geschwisterliche Liebespaar Siegmund (Ric Furman) und Sieglinde (Sarah Wegener). Claude Eichenberger schließlich lieh Frickas bösartiger Verbitterung intensive vokale Farben.

Wenn Nagano so weitermacht, wird dieser „Ring“ Epoche machen. Es wird dann Wagner vor und nach Nagano geben. Und viele werden vielleicht nur noch den Nagano-Wagner hören wollen.

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