Wols bei Karsten GreveDiese Bilder waren nach dem Weltkrieg eine Offenbarung

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Eine Landschaft mit Stadt in durchscheinenden hellen Farben.

Die Gouache „Ville arabe - Ville promenade No. II“ von Wols ist derzeit in der Kölner Galerie Karsten Greven zu sehen.

Die Kölner Galerie Karsten Greve zeigt eine kleine Retrospektive des deutsch-französischen Künstlers Wols - eine Seltenheit, nicht nur in Köln.

Als der deutsche Fotograf, Maler und Zeichner Wolfgang Schulze 1947 in Paris aus den Wirren des Weltkriegs auftauchte, wurde sein Werk begrüßt wie eine Offenbarung. Georges Mathieu sah lauter Meisterwerke, „jedes zerschmetternder, aufwühlender, blutiger als das andere, ohne Zweifel das Wichtigste seit van Gogh“; Jean-Paul Sartre fand, Schulze sei Mensch und Marsbewohner zugleich, und der Historiker Carl Jakob Burckhardt erkannte in dessen Bildern ein untrügliches Zeichen der Zeit.

Auf den Gemälden, die damals Furore machten, war die Welt in ein Chaos aus zittrigen Strichen und hauchzarten Linien zerfallen. Manchmal konnte man noch Landschaften oder Städte erahnen, aber sie wirkten weniger gesehen als erspürt. Es war, als hätten sich die Erschütterungen des Weltkriegs auf Papiere und Leinwände gedrückt, als sei ihr Schöpfer ein Medium und Seismograph – so sahen es jedenfalls seine Zeitgenossen und nach ihnen auch die Kunsthistoriker der Nachkriegszeit.

Armut, Krankheit und Alkohol hatten Wols derart zugesetzt, dass er im Grunde gegen den Tod anmalte

An das kurze Leben und eindringliche Werk von Wolfgang Schulze, besser bekannt unter seinem Künstlernamen Wols, erinnert jetzt die Kölner Galerie Karsten Greve mit einer Ausstellung, die nicht weniger als eine Retrospektive im Kleinen ist. Sie beginnt mit Fotografien, die der junge, 1913 in Berlin geborene und 1932 aus Deutschland emigrierte Schulze in Paris machte, setzt sich mit einigen schmalen Tuscharbeiten fort, die er während der Kriegsjahre in Asylen und Internierungslagern schuf und endet in der kurzen Aufbruchsphase nach 1945. Armut, Krankheit und Alkohol hatten Wols damals bereits derart zugesetzt, dass er im Grunde gegen den Tod anmalte. Er starb 1951 an den Folgen einer Lebensmittelvergiftung – im Alter von nur 38 Jahren.

Schulze scheint ein vielfach begabtes Wunderkind gewesen zu sein. Als Jugendlicher spielte er Geige auf professionellem Niveau, das Handwerk als bildender Künstler brachte er sich weitgehend selbst bei. Seine Reise nach Paris trat er mit einem Empfehlungsschreiben des Bauhaus-Lehrers László Moholy-Nagy an, doch blieb der Erfolg lange aus. Schulze versuchte sich als Auftragsfotograf, seine schönsten Bilder entstanden gleichwohl auf eigene Rechnung. Bei Greve sind zwei wunderbare Straßenszenen zu sehen, in denen sich der sachliche Blick auf das Großstadtleben mit dem poetischen Realismus des französischen Films verbündet.

1937 benannte sich Schulze in Wols um, angeblich, weil eine Telefonistin seinen Namen darauf verkürzte

1937 benannte sich Schulze in Wols um, angeblich, weil eine französische Telefonistin seinen deutschen Namen darauf verkürzte; nach 1939 begann seine Leidenszeit. Er wurde als „unerwünschter Ausländer“ interniert, den deutschen Besatzern galt er später als „Fahnenflüchtling“. Während dieser Jahre entstanden seine handtellergroßen Aquarelle, die ihn als leichtes Gepäck auf seiner erzwungenen Wanderschaft begleiteten. Sie waren teilweise noch vom Surrealismus inspiriert, nahmen aber das spontane Kritzeln von informeller Malerei und Tachismus bereits vorweg. Wols‘ Kompositionen sind verblüffend virtuos und mit geradezu traumhafter Sicherheit gezeichnet; wie unter einem Mikroskop zeigen sich unter der chaotischen Oberfläche verborgene Welten.

Gemessen an den Zahlen bilden diese Aquarelle den Kern von Wols‘ Werk, und sie sind auch bei Greve am zahlreichsten vertreten. Zeitweilig kamen sie in Verruf, weil die Witwe des Künstlers etliche posthume „Nachschöpfungen“ anfertigte. Aber dieses Kapitel, so versichert man bei Greve, sei von der Forschung aufgearbeitet, die Originale von den Fälschungen eindeutig geschieden. Berühmt wurde Wols allerdings mit den etwa 80 Gemälden, die er mithilfe seines Galeristen in den Jahren nach 1945 schuf, und in denen er die gegenständliche Malerei immer weiter hinter sich ließ. Einige dieser Großformate besitzt auch Greve. Man versteht sofort, warum Mathieu, der Maler des abstrakten Unbewussten, in ihnen die „Kreuzigung“ des alten Menschenbildes sah.

Eines dieser späten Meisterwerke, das fantastische „Blaue Phantom“, gehört zur Sammlung des Kölner Museum Ludwig. 1979 kaufte es dessen Gründungsdirektor Karl Ruhrberg an, und wenn man nachliest, was Ruhrberg zu Lebzeiten über Wols schrieb, hätte er sicherlich gerne eine große Wols-Retrospektive nach Köln geholt. Jetzt gibt es immerhin eine kleine bei Karsten Greve, und deren Werke kann man möglicherweise sogar mit nach Hause nehmen.


„Wols“, Galerie Karsten Greve, Drususgasse 1-5, Köln, Di.-Fr. 10-18.30 Uhr, Sa. 10-18 Uhr, bis 29. Juni

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