Campino im Interview„Dann machen sich die ganzen Böhmermänner wieder lustig“

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Campino von den Toten Hosen 2

Campino, Sänger der Band Die Toten Hosen.

Köln – Andreas Frege, Künstlername: Campino, wurde am 22. Juni 1962 in Düsseldorf geboren. Sein Vater ist Deutscher, seine Mutter Engländerin, weswegen Campino zweisprachig aufwuchs. 1982 gründete er mit den Gitarristen Andreas von Holst und Michael Breitkopf, dem Bassisten Andreas Meurer und dem Schlagzeuger Trini Trimpop „Die Toten Hosen“.

Campino, viele Songs auf dem Album „Laune der Natur“ sind melancholisch-retrospektiv geraten. Je ein Stück erinnert an Ihren ehemaligen Schlagzeuger  Wölli Rohde und Ihren Manager Jochen Hülder, die 2015 und 2016   gestorben sind. Und:  Sie selber sind mittlerweile Mitte Fünfzig. Spüren Sie, wie es so schön heißt, dass die Einschläge näher kommen?

Auf jeden Fall. Ich versuche aber, diese Gedanken in Schach zu halten. Wir dürfen unsere Zuhörer nicht mit unseren Befindlichkeiten volljammern. Der Auftrag ist immer noch der, dass am Ende eines Albums feststeht: „Jawohl! Das Leben macht immer noch Spaß.“  Ehrlich: Ich weiß nicht, ob uns das dieses Mal gelungen ist. Natürlich ist mir, nicht zuletzt wegen der beiden Todesfälle, klar, dass es in eine gewisse Richtung gedriftet ist, die ich aber auch nicht verhindern will, weil das Leben in den vergangenen fünf Jahren einfach so war. Trotz allem sind wir bemüht, eine gewisse Lebensfreude zu vermitteln. Anders gesagt: Die Grundthemen in Songtexten sind zwar gesetzt. Da gibt es ja nicht so endlos viele: Liebe, Älterwerden, Tod. Das ist ja bei allen Musikern so. Aber entscheidend ist der Blickwinkel. Die Art, wie du darüber erzählst.

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Sie singen auf „Laune der Natur“ auch über spießig gewordene Geburtstagspartys im Kreise Ihrer Band-Familie …

Das ist der Lauf der Dinge. Am Ende achten wir dann doch wie alle anderen aufs Bio-Essen. Das haben wir uns früher mal anders vorgestellt!

Es gibt junge Künstler, nehmen Sie Jake Bugg, die mit Anfang 20 singen: „I’ve Seen It All“ – „Ich habe schon alles gesehen“. Was denken Sie als Etablierter darüber?

Wenn junge Musiker so etwas singen, dann ist das völlig in Ordnung – weil es in diesem Moment für sie einfach zutrifft. Außerdem ist es doch schön, wenn diese jungen Menschen dann irgendwann erkennen, dass sie eben doch noch nicht alles gesehen haben. Für jemanden wie Jake Bugg wird das sicherlich ein schönes Geschenk sein. Letztlich ist nur eines wichtig: Dass man einem Künstler das, was er singt, auch abkauft. Das Alter spielt da keine Rolle.  

Wie bleibt man als Künstler  glaubwürdig? 

Ich persönlich bin bemüht, mein Leben in die Texte mit einfließen zu lassen und nicht zu vergessen, wo ich gerade stehe. Ich kann heutzutage nicht mehr so tun, als sei ich Anfang 30 und wollte draußen noch einen Baum ausreißen. So eine Art des Selbstbescheißens und des Bescheißens von anderen liegt mir nicht. Da ist auch nichts hinter – und das merkt man sofort. Wir versuchen daher, das Problem zu umgehen und trotzdem eine gewisse Power an den Tag zu legen. Damit sind wir ja nicht alleine auf weiter Flur. Da draußen laufen immer noch Leute herum wie etwa Metallica oder die Red Hot Chili Peppers. Man kann ja über die denken, was man will. Aber Fakt ist: Sie stehen nach all den Jahren noch immer stark da. Sie sind keine Persiflage ihrer selbst geworden. Und wenn man das jetzt eine Runde weiterdreht, dann kommen wir zu Iggy Pop, der trotz hohen Alters immer noch toll ist auf der Bühne. Oder zu den Rolling Stones: Die sind über 70. Aber   trotzdem sind sie es, die mit einem Konzert in Havanna in aller Munde sind – und kein anderer. Oder nehmen Sie Nick Cave: Bei dem ist es doch vollkommen egal, wie alt er ist, denn er ist einfach nach wie vor ein großartiger Geschichtenerzähler, der einem immer noch jederzeit einen tollen Abend bescheren kann. Das ist Glaubwürdigkeit.

Wie schwer ist es, nicht zur Persiflage seiner selbst zu werden?

Das ist manchmal nicht leicht. Man braucht gute Freunde, die einem Bescheid sagen, wenn es peinlich wird.

Campino über Freundschaft, Vergleiche mit Johnny Cash und einen Song, der gar nicht ins neue Album sollte

Campino von den Toten Hosen 1

Campino von den Toten Hosen bei einem Konzert in Köln.

Haben Sie gute Freunde?

 Wir haben sogar das Glück, viele gute Freunde zu haben. Freunde, die nicht aus Ehrfurcht vor uns mit ihrer Meinung hinterm Berg halten. Darauf sind wir angewiesen. Wobei man das mit der Peinlichkeit ja auch anders sehen kann …

Nämlich?

Selbst wenn du peinlich bist: Solange du Spaß daran hast, ist das doch egal. Dann ist es eben die Freifahrkarte für ein Endlosleben in der Peinlichkeit. Das kenne ich von mir auch. Ich fahre immer noch zu Festivals nach Blackpool, um mir die alten Punkbands dort anzuschauen. Da gibt es viele Momente, in denen es mir vorkommt, als ob mir jemand ins Gesicht schreit: „Wach auf! „Das hier ist nicht mehr 1977!“ Und dann wache ich auch auf und sehe ein total lahmarschiges Publikum und Künstler, die es nicht mehr bringen. Aber Spaß macht es trotzdem.

Wünschen Sie sich eigentlich insgeheim, einmal eines Ihrer eigenen Konzerte als Fan sehen zu können?

Um Gottes willen! Nein! Danach wäre ich wahrscheinlich total blockiert! Ich glaube, das Selbstbild, das man von sich hat, und das Bild, das die anderen von einem haben, gehen doch weit auseinander. Ich halte mich lieber an die Maxime: „Solange die Sache klappt, fummel’ nicht dran rum.“ Und in diesem Moment würde ich garantiert damit anfangen, daran rumzufummeln, weil ich wahrscheinlich denken würde: „Der Typ hat ’ne Meise!“ Und dann würde ich Komplexe bekommen.  

„Kein Grund zur Traurigkeit“ erinnert stark an Johnny Cashs „We’ll Meet Again“ auf seinen altersweisen „American Recordings“, die er  aufnahm, als er seinen eigenen Tod schon vor Augen hatte. 

Dieser Vergleich gefällt mir.  Denn Cashs „American Recordings“ sind bombastische, wegweisende Werke. Ich persönlich habe Cash überhaupt erst mit diesen späten Alben verstanden! Vorher habe ich ihn so gar nicht begriffen. Aber als ich diese Songs dann gehört hatte, habe ich mich erst richtig reingewühlt in seine Musik – Wahnsinn! Für das, was er da mit Cash gemacht hat, muss man Rick Rubin (Anmerkung der Red.: der Produzent)  wirklich danken!        

Wäre es nicht ein Traum für Die Toten Hosen, auch mal mit dieser Produzenten-Legende aufzunehmen? 

Ich weiß nicht. Auch Rubin hat sicherlich totale Flops gemacht. Das bekommen wir als Außenstehende nur nicht mit. Ich hätte zudem Angst, dass er uns als Amerikaner gar nicht begreifen würde. Unsere Existenzberechtigung sind einfach die deutschen Texte. Ich glaube, das war in den achtiger Jahren  auch unser Vorteil: Wir konnten unser Lebensgefühl auf Deutsch ausdrücken. Alles andere haben die internationalen, die englischsprachigen Bands besser gemacht. Und das ist bis heute so. Ein amerikanischer Produzent wäre für uns einfach nicht richtig. Derjenige, der bei uns am Pult sitzt, der muss das Lied verstehen, das er da gerade aufnimmt. Ich würde unseren Produzenten Vincent Sorg daher niemals für Rick Rubin tauschen.

Der Song „Pop & Politik“ dreht sich sarkastisch um Ihr politisches Engagement und dass Sie dafür öfter harsch angegangen werden. Wie sehr ärgern Sie sich  über die Kritik ?

Ganz ehrlich: Dieser Song sollte zuerst gar nicht aufs Album. Den Titel fanden zwar alle gut. Aber die Jungs meinten auch: „Willst Du auf dieses Thema wirklich noch mal eingehen? Das will doch keiner hören.“ Der Song sollte dann nur als Bonussong auf eine der Singles. Aber dann hat uns „Pop & Politik“ doch so einen großen Spaß gemacht, auch weil das Lied so rau ist und da reichlich geschrien und gerotzt wird, dass wir es in letzter Sekunde doch noch auf die Platte packten. Das musste ja auch mal gesagt werden. Für uns selber. Wir mussten mal auf all diese Klischees, mit denen man da so angegangen wird, und auf dieses Phänomen der Shitstorms eingehen. Das hat heutzutage ja eine neue Qualität: Die Leute haben zwar schon vor 30 Jahren dieselbe Scheiße gedacht. Aber man hat es nicht zur Kenntnis nehmen können, weil es kein Internet gab.

Campino über politisches Engagement und Häme von „Böhmermännern“

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Campino von den Toten Hosen bei einem Konzert in Köln.

Manch einer spricht in diesem Zusammenhang auch gerne von den asozialen Medien ...

Verständlich. Und heute betrifft es ja nicht nur uns, sondern auch alle anderen, die sich politisch äußern. Nehmen Sie Jennifer Rostock: Wie die angegangen und was da für Drohszenarien aufgebaut werden, wenn sie irgendetwas gegen Rechts singen – das ist schon unglaublich! Es ist schlimm, wie Stimmen in den sozialen Netzwerken versuchen, Musiker und andere Personen der Öffentlichkeit unter Druck zu setzen, um ihnen den Schneid abzukaufen. Ich nenne Ihnen da gerne noch ein Beispiel: Wir haben für die Band-Aid-Aktion vor zwei Jahren, anlässlich der Ebola-Epidemie in Westafrika, wirklich viel Dresche bekommen. Aber das war nicht alles. Vielmehr war es damals bereits im Vorfeld so, dass ich ein, zwei Künstler, deren Namen ich jetzt nicht nennen werde, angerufen habe. Menschen, die wirklich in Ordnung sind und von denen ich dachte: „Die helfen uns auf jeden Fall!“ Aber als ich sie fragte, ob sie mitmachen wollten, war die Antwort: „Nein, sorry! Lass uns da mal raus. Das könnte Ärger geben.“ Da stellt sich doch die Frage: Was hatten die für Ängste? Die Antwort ist ganz einfach: Sie hatten die Befürchtung, ihre Coolness zu verlieren. Viele haben uns damals ausgelacht und ihre Witze über uns gemacht. Dabei muss man aber mal sehen, was nach ein paar Jahren aus diesem Projekt geworden ist: Es hat über fünf Millionen Euro eingespielt! Von diesem Geld sind unter anderem Schulen gebaut und Krankenhäuser unterstützt worden. Wir haben das auch auf Facebook bekannt gegeben. Aber denken Sie, das hätte jemanden interessiert? Denken Sie, irgendein Medium hätte mal ein Foto gebracht und dazu geschrieben: „Hier gehen jetzt 300 Kinder zur Schule, die Vollwaisen sind, weil ihre Eltern an Ebola gestorben sind“? Pustekuchen. So etwas ist keine Meldung.

Weil schlechte Nachrichten in den Medien erregten mehr Aufsehen als gute? 

 Das liegt in der Natur der Sache. Ich will das jetzt auch gar nicht weiter ausführen. Es geht vielmehr darum:  Künstler sollten keine Angst haben, sich politisch einzubringen. In Wien beispielsweise gab es 2015, als die Zahl der Flüchtlinge rasant stieg, ein Riesen-Stadtfest und Livemusik, eine Kundgebung, um die Willkommenskultur zu unterstützen. So etwas war auch in Berlin geplant. Aber was passierte? Es scheiterte. Und zwar daran, dass viele Künstler sagten: „Wir machen nicht mit.“ Die hatten in Erinnerung: „Das kann Ärger geben. Wenn wir da einsteigen, dann machen die wieder Witze über uns. Dann machen sich die ganzen Böhmermänner wieder lustig.“ Leute wie er können es sich auf die Fahnen schreiben, dem Geist der Hilfsbereitschaft in die Eier getreten zu haben. Wenn das ein Verdienst ist, dann herzlichen Glückwunsch!

Manchmal hat man den Eindruck, Sie würden ständig um Ihre Einschätzung der politischen Situation gebeten. Wir häufig klingelt bei Ihnen das Telefon?

 Also, ohne mich hier wichtig machen zu wollen: Das Telefon klingelt bei mir tatsächlich dauernd – was aber nicht daran liegt, dass ich so ein toller Typ bin. Das liegt eher an der mauen Situation deutscher Talkshows. Die brauchen immer neue Gäste und rufen dann offenbar jeden B-Promi alle 14 Tage an, um ihn einzuladen. Das ist problematisch, weil es eigentlich nichts zu sagen gibt.

Wie bitte? Trump, Erdogan, AfD, Flüchtlingskrise  ...

Klar, große Themen. Aber bei der ganzen Schreierei da draußen  braucht man nicht noch einen, der sagt: „Trump ist doof. Erdogan auch. Frau Merkel macht einen schweren Job.“ Und ich muss jetzt auch nicht noch mal sagen, wie bescheuert die AfD ist. Das ist doch alles bekannt. Sicherlich: Die Zeiten sind sehr ungemütlich, sehr fragil. Es ist durchaus möglich, dass diese Vision von Europa, die wir einmal hatten, in naher Zukunft auseinanderbröselt. Und das finde ich nicht schön. Aber diese Problematik ist ja klar. Die muss ich nicht auch noch äußern.

Das Gespräch führte Frank Weiffen

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