GalerieSchräges für eine schräge Stadt

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Christian Nagel

Christian Nagel

Köln – Seine erste Art Cologne wäre beinahe auch schon seine letzte gewesen: Christian Nagel, gerade aus München nach Köln gekommen, hatte seinen Messestand ein bisschen wie ein gewöhnliches Wohnzimmer eingerichtet. Es gab Pflanzen von Mark Dion, ein Regal von Renée Green und andere Kunstwerke, denen man nicht unbedingt ansah, das sie welche sind. Und da Nagel auch keine Preisschilder neben die Stücke hing, bekam er von der Messejury erst einen Eintrag ins Klassenbuch und dann den guten Rat, sich die Bewerbung fürs nächste Jahr zu sparen.

„Ich dachte“, so Christian Nagel, „etwas, das nicht wie Kunst aussieht, ist vielleicht der nächste Schritt in der Kunst.“ Mit dieser Hoffnung stand der junge Galerist Anfang der 90er Jahre noch relativ alleine da – dafür sind die Ausstellungen der von Nagel vertretenen (Nicht-)Künstler heute legendär. Mit Cosima von Bonin eröffnete Nagel vor 25 Jahren seine Kölner Galerie, Michael Krebber legte gewöhnliche Bücher in Vitrinen aus und Andrea Fraser spielte Martin Kippenberger nach. „Mein Gott, dachte ich, das wird entweder super oder ganz schlecht.“

Dass die Kölner Kunstszene der 90er Jahre mittlerweile museumsreif ist, liegt nicht zuletzt an Galeristen wie Nagel, Monika Sprüth und Gisela Capitain, die dem Kunstmarkt nach den fetten 80er Jahren eine intellektuelle Entschlackungskur verordnen wollten. „Wir dachten“, so Nagel, „wir müssten etwas dagegen tun, dass die Kunst immer mehr zur Trophäe verkommt.“ Heute gibt es dafür das Etikett „Institutionskritik“: Statt Kunst für den Kunstmarkt zu produzieren, grübeln Künstler darüber nach, was es bedeutet, sich an Galerien und Museen zu verkaufen. Wie man daraus ein Geschäft macht, war auch Nagel nicht ganz klar: „Wenn man zehn bis 15 Jahre übersteht, müsste man eigentlich durch sein“, so lautete sein Plan. Allerdings stürzte dann der erste Golfkrieg den Kunstmarkt in die Krise – und plötzlich hieß die globale Maxime: „Stay alive till 95.“

Nagels Galerie überlebte, und nach zehn bis 15 Jahren hat sich die Arbeit tatsächlich ausgezahlt. „Es ist schön“, sagt Nagel, „dass man nicht mehr jeden Pfennig dreimal umdrehen muss oder der Spediteur am Morgen mit der Mahnung vor der Tür steht.“ Seine Skepsis gegenüber dem Kunstmarkt ist deswegen aber nicht verflogen. An den 90er Jahren gefällt ihm vor allem, dass damals nicht so viel Geld im Spiel war. „Als Kippenberger starb“, so Nagel, „hat ein Bild 30000 Mark gekostet. Das ist fast gar nichts, wenn man es mit heute vergleicht.“ Auch der Zusammenhalt unter den Galeristen sei größer gewesen, weil man gemeinsam so etwas wie eine neue Kunst schaffen wollte. Sein Resümee dieser Aufbruchsjahre fällt trotzdem verblüffend wenig nostalgisch aus: „Klar, es war irgendwo okay.“

Zum großen Marktplatz Art Cologne hatte Nagel lange ein gespaltenes Verhältnis. 1992 gründete er gemeinsam mit Tanja Grunert und Michael Jansen in den Ehrenfelder Balloni-Hallen eine Gegenmesse, in deren genialem Namen Unfair der Protest gegen seine Nicht-Zulassung nachklingt. Zwar war die Unfair in finanzieller Hinsicht kein Erfolg, nervte die Art Cologne aber so sehr, dass sie die kleine Konkurrenz aufkaufte und sich vorübergehend einverleibte. Nagel beteiligte sich da schon an der nächsten Sezession: dem Art Forum in Berlin. 2002 gründete er in der Hauptstadt eine Filiale, die heute der Hauptsitz der mittlerweile unter Nagel/Draxler firmierenden Galerie ist.

Das Verhältnis Köln-Berlin kennt Nagel aus erster Hand: „Köln ist aktiv“, sagt er, „wenn es ein Ereignis gibt, übers Jahr verteilt jedoch ein bisschen träg.“ Seine Berliner Galerie sei immer geöffnet, „weil da auch im August jemand kommt und sogar was kauft“. Aber auch Berlin sei nicht mehr so wie quirlig wie früher, sondern beinahe schon gesetzt und solide geworden.

Christian Nagel (61) wurde in München geboren und kam 1990 nach Köln. Er gehörte zu den Gründern der „Unfair“, einer Gegenmesse zur Art Cologne, und mischte die Kölner Kunstszene auch sonst gehörig auf. Heute vertritt die Galerie Nagel/Draxler Künstler wie Mark Dion, Andrea Fraser und Heimo Zobernig. (KoM)

Seinem Büro im Belgischen Viertel ist Nagel treu geblieben, und auch in der Kölner Kulturpolitik hat er sich engagiert. Etwa für den Erhalt der Kunsthalle – was ihm allerdings so mancher Illusion beraubte. „Im Kölner Stadtrat weht so ein kulturfeindliches Lüftchen“ sagt er, und findet, dass die Ratspolitiker zu Lösungen neigen, „die eher im mittleren bis unteren Bereich des Ästhetischen anzusiedeln sind“. Die Pilze am Dom hätte Nagel nicht abgerissen: „Jetzt beschönigt man das alles ein bisschen, macht das alles ein wenig klassizistischer. Aber Köln ist keine Stadt für den Klassizismus, sondern eher immer für eine schräge Geschichte gut.“

Eine schräge Geschichte ist auch die Galerie von Christian Nagel – und eine erfolgreiche dazu. Und auch mit der Art Cologne hat sich der hartnäckige Sezessionist mittlerweile ausgesöhnt. Die sei in den letzten Jahren „von einer fast toten Messe zu einer der besten fünf bis sieben Messen weltweit geworden“, so Nagel. „Das hätte auch keiner geglaubt.“

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