Graphic Novel über Nick CaveHöchste Intensität und tiefstes Schwarz

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Der junge Nick Cave, gezeichnet von Reinhard Kleist

Köln – Dass er ein musikalisches Heldenleben ins stumme Medium Comic zu übersetzen weiß, hat Reinhard Kleist bereits vor mehr als zehn Jahren bewiesen, mit seiner gezeichneten Biografie „Cash – I See a Darkness“. Den fatalistischen „Folsom Prison Blues“ – bekanntlich erschießt hier der Protagonist in Reno einen Menschen nur, um ihn sterben zu sehen – des Mannes in Schwarz zitiert Kleist auch in seiner neuen Musikerbiografie: „Nick Cave. Mercy on Me“ entfernt sich dabei sogar noch weiter von der reinen Lebensbeschreibung. Kleist stürzt den Leser in einen reißenden Strudel, in dem Leben und Werk immer enger, immer rasanter ineinander fließen.

Gottessucher und Mythenmacher

Was für Musik Kleist wohl sonst privat noch gerne hört? Egal – ein Comic über Daft Punk, die Beatles oder Madonna aus seiner Feder würde wohl kaum so gut funktionieren. Es sind Gottessucher, Höllenausloter und Mythenmacher wie Johnny Cash oder Nick Cave, die seinem dynamisch-düsterem, von kargen Kontrasten lebenden Zeichenstil perfekt entsprechen. Oder andersherum.

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Jedenfalls findet Kleist in Caves gleichnishaften Liedern Vorlagen für bittergallige grafische Kurzgeschichten, die nicht nur die Lebenserzählung durchbrechen, sondern diese immer wieder auf Anfang setzen, das bereits Erzählte noch einmal aus anderer Perspektive zeigen.

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Der Effekt, der sich beim Leser einstellt, ist der eines ununterbrochenen Kreislaufes von Sänger zum Song, vom Leben zum Werk. Aber natürlich geht dieser Kreis niemals völlig auf, er windet sich in Spiralen, dreht sich auf- oder abwärts. Auch ist letztlich eine Frage der Perspektive, ob man das Drogenopfer sieht oder den genialischen Schamanen.

Sehnsucht nach einer Gegenwelt

Bis dahin muss der junge Cave jedoch noch einen weiten Weg zurücklegen. Ein mürrischer Teenager in einem australischen Provinznest namens Warracknabeal, dem sein Vater nicht altersgemäße Klassiker vorliest, Nabokov, Dostojewski, Shakespeare, und auf diese Weise in dem Jungen die Sehnsucht nach einer Gegenwelt weckt, in dem es um Leben und Tod, um Errettung und Verdammnis geht.

Zuerst ist dieses Anderssein reine Behauptung, wie bei so vielen Pubertierenden. Er will auf die Bühne, um den größtmöglichen Krawall zu veranstalten, wenn dann das Publikum geschockt ist, Skinheads die Bühne stürmen, die Polizei den Saal räumt, heißt es am Ende „Was für eine Show“.

Aber so schlecht ist seine Band, The Birthday Party, gar nicht. Für Australien. Als die jungen Draufgänger nach London ziehen, müssen sie sich von einem Clubbesitzer fragen lassen, ob sie irgendwas mit Didgeridoos machen, und eine Dame mit Blumenhut kommentiert ihren Anblick mit dem vernichtenden Ausspruch: „Diese Punker, ich dachte, das wäre mal vorbei!“.

„Hand hoch, wer sterben möchte“

Dennoch, die Intensität der Auftritte steigt, wenn Cave jetzt seine Zeilen ins Mikrofon spuckt, zeichnet Kleist sie wie Klingen, die den Zuhörern die Köpfe spalten. Und als einfach nichts mehr geht, die negative Energie am Anschlag steht – „Hand hoch, wer sterben möchte“ begrüßt Cave sein Publikum – bleibt nur der graue Hafen aller verlorenen Seelen der Nachkriegszeit: West-Berlin.

Kleist zeichnet Cave als Raumfahrer im Stil von Calvin & Hobbes, auch als untoten Fregattenkapitän in expressionistisch verzogener Kajüte, ein Fliegender Holländer auf den Wellen des Heroinrausches.

In der Mauerstadt – es regnet und schneit wie in Will Eisners Brooklyn – ereilt ihn ein Erweckungserlebnis beim Besuch eines Konzertes der Einstürzenden Neubauten: „Da lauern Monster! Mit der Musik können wir sie hervorlocken!“, schwärmt Cave.

Sie sehen aus wie echte Comic-Helden

Mit Neubauten-Sänger Blixa Bargeld als Mitglied der Bad Seeds findet der Sänger endlich zu seiner Musik. Und sehen sie nun auch nicht aus wie echte Comic-Helden? Cave erinnert an Garth Ennis’ „Preacher“, besessen von Engeln ebenso wie von Dämonen, und Bargeld selbstredend an Neil Gaimans Sandman, den bleichen Herrn über Träume und Alpträume.

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Kleist löst sich nun zunehmend von den biografischen Fakten, verzichtet etwa darauf, den Unfalltod von Caves 15-jährigem Sohn als Künstlertragödie auszuschlachten. Stattdessen verliert sich sein Held immer mehr in der eigenen Schöpfung. Die vielen Figuren, die er in seinen Mörderballaden über die Klinge springen ließ, wollen sich rächen, er nimmt den Bluessänger Robert Johnson an der Wegkreuzung auf und rast mit ihm durch den Teilchenbeschleuniger des CERN (tatsächlich hat Cave ein entsprechendes Stück namens „Higgs Boson Blues“ aufgenommen).

Am Ende fallen höchste Intensität und tiefstes Schwarz in eins – und aus einem Schwarzen Loch unterm Genfer See wird der Sänger und Menschenbeschwörer Nick Cave geboren. Eine Faust-Geschichte für unsere Zeit – und was für ein toller Trip!

„Nick Cave. Mercy on Me“, Carlsen Verlag, 328 Seiten, 24,99 Euro

Buchvorstellung in Köln

Reinhard Kleist (c) Carlsen Verlag by Wolf-Dieter Tabbert

Reinhard Kleist

Reinhard Kleist, 1970 in Hürth geboren, veröffentlichte bereits als Student an der Fachhochschule für Grafik und Design in Münster seine ersten Comics. Zog dann nach Berlin, veröffentlichte unter anderem „Cash – I see a Darkness“, „Der Boxer“ und „Der Traum von Olympia“ und gewann zahlreiche Preise.

Sein neues Werk „Nick Cave“ stellt Kleist am 28. September im Kölner Club Blue Shell vor, 20 Uhr, 10 Euro.

Nick Cave spielt am 12. Oktober in der Mitsubishi Electric Halle in Düsseldorf. Das Konzert ist allerdings bereits ausverkauft.

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