Interview mit Becker und Schmickler„Lust am Untergang ist stärker geworden“

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Wilfried Schmickler und Jürgen Becker

Wilfried Schmickler und Jürgen Becker

  • Jürgen Becker und Wilfried Schmickler über das Jubiläum der „Mitternachtsspitzen“ und die neue Lage fürs Kabarett.

Herr Becker, Herr Schmickler, die „Mitternachtsspitzen“ feiern 30. Geburtstag. Keine Kabarettsendung im deutschen Fernsehen ist älter. Warum funktioniert die Sendung immer noch?

Jürgen Becker: Wir meiden beide den Hype und lieben den Flow.

Wilfried Schmickler: Weil die Sendung grundehrlich ist. Wir haben es nicht nötig, uns hinter Trends oder Zeitgeisterscheinungen zu verstecken oder uns künstlich aufzublasen. Das alte Konzept von Jürgen „Der blaue Bock fürs Kabarett“ – die Älteren erinnern sich – funktioniert. Das ist natürlich und unverkrampft.

Becker: Und es hilft auch, wenn eine gewisse Lust am Leben mitspielt. Man muss auch politisch konstatieren, dass die Entwicklung des Menschen aufwärts strebt. Es gibt weniger Kriege, prozentual weniger Hunger. Die schlechten Nachrichten täuschen darüber weg, dass es grundsätzlich Grund zum Optimismus gibt.

Jubiläum im WDR

„Die Mitternachtsspitzen“ wird seit 1988 fast ausnahmslos aus dem Alten Wartesaal in Köln gesendet. Anfangs war Richard Rogler der Gastgeber, seit 1992 sind es Jürgen Becker und Wilfried Schmickler.

Die Jubiläumssendung läuft an diesem Samstag um 21.45 Uhr im WDR-Fernsehen. Zuvor gibt es um 20.15 Uhr einen Rückblick auf die ersten 30 Jahre.

Sie haben Recht, es geht Deutschland eigentlich sehr gut. Aber die gesellschaftliche Grundstimmung ist ja eine ganz andere.

Schmickler: Das allgemeine Klima in der Gesellschaft hat sich in den letzten 30 Jahren sehr ins Negative verändert. Es ist nicht mehr die Lust am Leben, die die Menschen antreibt, sondern die Kritik am Leben. Viele sind ständig unzufrieden, auch mit sich selbst. Neid spielt eine Rolle. Solidarität ist für viele mittlerweile ein Fremdwort. Obwohl es eben auch so ist, dass sich immer noch Millionen Menschen ehrenamtlich betätigen. Nur die sieht man nicht. Wir sehen die, die laut krakeelend auf dem Marktplatz stehen und Parolen brüllen. Die von mir so geliebten Gutmenschen, die ihre Arbeit im Stillen tun, haben halt nicht die Öffentlichkeit. Die Lust am Negativen, am Untergang ist stärker geworden.

Was bedeutet das für die Arbeit eines Kabarettisten?

Becker: Das macht es für das Kabarett nicht leicht. Früher war man damit beschäftigt, Politiker zu kritisieren. Es konnte gar nicht hart genug sein, manchmal auch unverschämt. Dadurch sind wir ja auch groß geworden. Heute müssen wir uns davon verabschieden, gegen die Gesellschaft zu sein. Heute müssen wir sie verteidigen. Das ist im Kabarett gar nicht so einfach.

Schmickler: Das stimmt. Ich erwische mich manchmal, gerade wenn ich lauter werde, dabei, dass ich denke: Den Spruch hättest du jetzt auch in Leipzig oder Dresden bei einer Pegida-Kundgebung sagen können. Man muss sehr vorsichtig sein, mit dem, was man sagt. Und man muss seine Haltung ändern, weil man sich auf einmal in der Rolle wiederfindet, Politiker bei aller Distanz zu verteidigen. Es sind nicht alle Verbrecher, Lügner und Betrüger.

Becker: Wir müssen aufpassen, einen Ton zu treffen, der Politik interessant macht, damit die Leute nicht abschalten und nur noch draufhauen, sondern auch anerkennen, dass es Leute gibt, die gestalten wollen. Gerade in der Kommunalpolitik, die wirklich für ein bisschen Sitzungsgeld viel Gutes leisten. Die kann man nicht einfach in die Wüste schicken.

Schmickler: Wobei wir in den 30 Jahren von den Vertretern der extremen Linken immer kritisiert worden sind für unseren versöhnlichen Kurs. Wir waren nie das Kabarett der radikalen Linken. Wir haben immer versucht, möglichst viele anzusprechen, Brücken zu bauen.

Hat sich der Ton Ihrer Beiträge also verändert?

Schmickler: Wir haben eine gesunde Erdung und einen gesunden Menschenverstand, der uns leitet. Jürgen, Uwe Lyko und ich sind grundsätzlich alle lebensbejahend. Wir haben Spaß am Leben und wollen das anderen auch vermitteln. Das hat sich nicht verändert in den letzten 30 Jahren. Die Wahrnehmung hat sich verändert, wir nicht. Bei uns gab es immer eine Mischung aus berechtigter Kritik und hanebüchenem Blödsinn.

Becker: Wir haben uns immer das Recht auf Albernheit genommen. Mein Motto ist: Kabarett schön und gut. Aber man muss auch mal einen Witz machen.

Ein alter Vorwurf ans Kabarett ist, dass dahin sowieso nur die Leute kommen, die ihre Meinung bestätigt sehen wollen. Stimmt das?

Schmickler: Die Zeiten sind lange vorbei. Unsere Zuschauer sind ganz normale Leute, die einfach neugierig sind auf das, was wir zu sagen haben. Da sind auch Menschen dabei, die politisch eine völlig andere Einstellung haben. Die, die sich nur bestätigen lassen wollen, kommen gar nicht mehr. Die wollen nicht verunsichert werden.

Becker: Man merkt, dass die Gesellschaft pluralistischer geworden ist. Das halten viele Leute nicht aus. Deshalb kommt ja jetzt auch bei vielen der autoritäre Traum wieder hoch, dass einer sagen muss, wo es lang geht.

Wie begegnen Sie solchen Entwicklungen? Wie sollte man etwa mit der AfD als Kabarettist umgehen?

Becker: Ich würde es immer argumentativ machen. Ernst nehmen, hinschauen, Zahlen nennen. Falls sie mal recht haben, es auch zugeben. Und nie den Kontakt abbrechen zu Leuten, die anderer Meinung sind.

Aber es gibt ja auch die, die ihre eigenen Wahrheiten haben, die Fakten als Argument nicht akzeptieren.

Schmickler: Wenn einer glaubt, die Erde ist eine Scheibe, dann soll er es glauben. Da kann ich auch nichts mehr machen. Es gibt Fälle, darum muss ich mich nicht kümmern, mit denen muss ich auch nicht reden. Wichtig ist aber, auf der sprachlichen Ebene dagegenzuhalten. Wir dürfen uns bestimme Begriffe nicht nehmen lassen, etwa alternativ. Man muss sagen, was die AfD anbietet, ist keine Alternative. Die einzige Antwort auf die Lüge ist die Wahrheit. Und wer diesen Kampf gewinnt, ist noch lange nicht ausgemacht. Die Lüge hat noch nicht die Macht übernommen.

Macht es Sie manchmal wütend, wie die Debatten, etwa über die Flüchtlingspolitik, geführt werden?

Schmickler: Das Problem ist vor allem die ungeheure Pauschalisierung. Es ist ja schon ein Verbrechen, wenn man immer von den Flüchtlingen spricht, nicht mehr differenziert. Bestes Beispiel waren die Diskussionen nach der Silvesternacht in Köln. Die haben die Debatte um Jahre zurückgeworfen. Es ist unfassbar, dass viele immer noch nicht kapiert haben, dass es um jeden einzelnen Menschen mit seiner eigenen Geschichte geht. Sie haben alle das Recht auf Würde und Respekt. Nach Pauschalisierungen kommen die Schuldzuweisungen, dann kommt der Hass, dann kommen die Übergriffe.

Sie halten es jetzt seit fast 30 Jahren miteinander aus. Was schätzen Sie am anderen, was nervt Sie?

Schmickler: Jürgen hat die Fähigkeit, die Herzen der Menschen zu öffnen. Er bringt sie zum Zuhören, auch die, die seine Positionen nicht teilen. Was mich nervt ist, dass er manchmal gedanklich komplett woanders ist.

Becker: Was ich an Wilfried sehr schätze, ist seine enorme Kreativität und Meinungsfreudigkeit. Weil ich für gute Laune sorgen muss, nervt mich manchmal seine schlechte Laune. Das macht mir die Sache schwerer. Aber das war früher schlimmer.

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