Interview zum Attentat vom 20. JuliDer Tag, der Hitlers letzter sein sollte

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Josef Wirmer

Am 8. September 1944  wurde Josef Wirmer zum Tode verurteilt.

Herr Wirmer, am 20. Juli jährt sich das Attentat auf Hitler, an dessen Planung Ihr Vater, Josef Wirmer, maßgeblich beteiligt war. Was für ein Mensch war Ihr Vater? Was waren seine Motive für den Widerstand?

Unser Vater war ein sehr politischer Mensch, der sich schon früh für das Zentrum engagiert hat und von Anfang an dem Regime kritisch gegenüberstand. Ausschlaggebend für seine Beteiligung am Widerstand gegen Hitler waren vor allem die schrecklichen Verbrechen an den Juden und Anders- denkenden sowie die fast vollständige Zerschlagung des Rechtsstaates.

Welche Rolle übernahm Ihr Vater bei der Planung des Attentats?

Er hatte Kontakte zu verschiedenen Widerstandskreisen in Berlin, aber auch im Rheinland und dort vor allem zur Verbandszentrale der KAB (Katholische-Arbeitnehmer-Bewegung) in Köln. Auch Vertreter der damaligen Gewerkschaften waren an diesen Treffen beteiligt. Unser Vater war überzeugt, dass für einen erfolgreichen Umsturz die volle Einbindung der Arbeiterschaft erforderlich war. Als die Zusammenarbeit mit dem militärischen Widerstand begann, war für Stauffenberg eine enge Abstimmung aller Maßnahmen mit dem zivilen Teil des Widerstandes wesentlich. Ziel war daher die Bildung einer Einheitsfront der Opposition mit einem möglichst breiten politischen Spektrum. Bei diesen  Bemühungen kam unserem Vater teilweise die Rolle eines Vermittlers zwischen den verschiedenen Widerstandskreisen zu. Viele Treffen fanden in unserem Berliner Haus statt.

Hat Deutschland aus der Geschichte gelernt? Sind wir weniger anfällig für rechtes Gedankengut als die Menschen damals?

Unsere heutige Situation ist mit der nach dem Ersten Weltkrieg nicht vergleichbar. Damals gab es große soziale Gegensätze und auf Grund hoher Arbeitslosigkeit einen guten Nährboden für rechte Ideologien. Heute leben wir in einer gefestigten Demokratie mit einem erfreulich hohen Beschäftigungsstand. Dennoch dürfen wir die Gefahren, die von rechten Parolen ausgehen, nicht verharmlosen. Auch bei uns gibt es mittlerweile viel rechte Gewalt. Dagegen muss der Rechtsstaat mit allen Mitteln vorgehen.

Also kann die Zunahme rechter Tendenzen ein Weckruf für eine Gesellschaft sein?

Es kann dadurch das Bewusstsein dafür gestärkt werden, dass eine freiheitliche Gesellschaft, in der wir leben, keine Selbstverständlichkeit ist und dass wir daher etwas für den Erhalt unserer Freiheit tun müssen. Von daher ist es auch notwendig, die Erinnerung an diejenigen, die in der Nazizeit gegen Unfreiheit und Unterdrückung unter Lebensgefahr aufbegehrt haben, lebendig zu erhalten. Dieses Erbe darf  nicht verloren gehen.

Denken Sie, dass der Widerstand gegen den Nationalsozialismus im Bewusstsein der Deutschen heute noch ausreichend präsent ist?

Das kann ich schwer beurteilen. Ich habe allerdings den Eindruck, dass in den Schulen mehr in diesem Sinne getan werden könnte. Es wäre fatal, wenn nur die Verbrechen der damaligen Zeit im nationalen Gedächtnis verblieben, aber nicht, dass viele Menschen im Land anders gedacht und gehandelt und dabei teilweise ihr Leben verloren haben.

Ihr Vater hat die sogenannte Flagge des Widerstandes entworfen. Sie sollte als neue Nationalflagge Deutschlands eingesetzt werden. Welche Gedanken hatte er bei diesem Entwurf?

Der Flaggenentwurf sollte deutlich machen, wofür der Widerstand steht, nämlich für eine freiheitliche und tolerante Gesellschaft. Die Farben Schwarz-Rot- Gold waren die Farben des demokratischen Aufbruchs in Deutschland und auch der Weimarer Republik. Die Kreuzesform – angelehnt an skandinavische Vorbilder – sollte einen Kontrapunkt gegen das damals allgegenwärtige Hakenkreuz bilden. Totalitäre Tendenzen und Fremdenfeindlichkeit waren mit diesen Zielen nicht vereinbar. Der jüngere Bruder meines Vaters, Ernst Wirmer, hat den Entwurf für die CDU in die Beratungen des parlamentarischen Rates eingebracht. Nach intensiven Diskussionen hat er sich allerdings für die heutige Nationalflagge entschieden.

Welche Gefühle haben Sie, wenn bei Pegida-Demonstrationen die „Wirmer-Flagge“ geschwungen wird?

Wir waren darüber entsetzt. Es gibt in der Tat Versuche rechter Kreise, nicht nur den Flaggenentwurf, sondern auch andere Bereiche des Widerstandes zu verfälschen und für ihre eigene politische Agitation zu vereinnahmen. Die Ziele der Nazi-Gegner werden dabei in ihr Gegenteil verkehrt. Auch die Geschwister Scholl sind davon teilweise betroffen.

Die „Wirmer-Flagge“ (Mitte) bei einer Pegida-Demonstration.

Die „Wirmer-Flagge“ (Mitte) bei einer Pegida-Demonstration.

Wollen Sie juristisch dagegen vorgehen ?

Über das Urheberrecht ist dies schwer möglich, da die dort vorgesehene Frist von 70 Jahren mittlerweile abgelaufen ist. Die Auseinandersetzung mit rechten Tendenzen in der Gesellschaft kann nicht in erster Linie juristisch, sondern muss politisch geführt werden, und zwar auf allen Ebenen der Gesellschaft und Politik. Auch die Stiftung 20. Juli 1944 hat beim Gedenken des letzten Jahres mit klaren Worten gegen diese Verfälschungsversuche Stellung bezogen.

In den Geschichtsbüchern dominieren die Geschwister Scholl oder Graf von Stauffenberg, wenn es um den Widerstand geht. Finden Sie es  ungerecht, dass Ihr Vater oder auch andere Frauen und Männer des Widerstandes weniger Aufmerksamkeit bekommen?

Nein, es ist verständlich, dass im Vordergrund der öffentlichen Aufmerksamkeit vor allem das Geschehen am 20. Juli selbst steht. An diesem Tag hat sich der Umsturzversuch zugespitzt und entschieden. Der Dramatik diesen Tages kann sich keiner entziehen. Darüber darf allerdings nicht in Vergessenheit geraten, dass es neben dem militärischen auch einen breiten zivilen Widerstand gegen das Regime gegeben hat, und zwar in allen  gesellschaftlichen Gruppen und Schichten.

Zur Person – Anton Wirmer

Josef Wirmer war Widerstandskämpfer und neben Graf von Stauffenberg maßgeblich am gescheiterten Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 beteiligt. 1901 geboren, wurde er Rechtsanwalt in Berlin, war Zentrumspolitiker und arbeitete eng mit anderen Widerstandskreisen wie dem der Gewerkschaften zusammen. Er entwarf die nach ihm benannte Flagge, die als neue Nationalflagge im Fall eines erfolgreichen Attentats gedient hätte. Am 4. August 1944 wurde er verhaftet, am 8. September desselben Jahres verurteilt und im Anschluss in Berlin-Plötzensee hingerichtet.

Anton Wirmer ist das jüngste der drei Kinder Josef Wirmers. Er wurde 1940 in Berlin geboren, zog 1944 nach dem Tod seines Vaters nach Oldenburg und später nach Bonn. Nach seinem Studium der Theologie und Rechtswissenschaft wurde  er politischer Beamter im Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung und war zu Zeiten Helmut Kohls im Bundeskanzleramt tätig. Er lebt im Rheinland.

Die „Stiftung 20. Juli 1944" ist aus der Stiftung „Hilfswerk 20. Juli 1944“ hervorgegangen. Diese ist 1949 auf Initiative Überlebender und Hinterbliebener des deutschen Widerstandes und des damaligen Bundespräsidenten  Theodor Heuss entstanden.

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