Jesidin Düzen TekkalDarum müssen die Deutschen ihre Werte verteidigen

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Journalistin Düzen Tekkal

Journalistin Düzen Tekkal

  • Düzen Tekkal fordert in ihrem Buch die Migranten zum Engagement für die Demokratie auf.
  • Die Jesidin ist in Deutschland aufgewachsen. Ihr Eltern flohen aus dem muslimischen Anatolien.

Köln – „Ich spüre die Angst überall“ schreibt Düzen Tekkal. Angst schaffe Unruhe und verbreite Unsicherheit, Angst lähme uns und nehme uns unsere Freiheit. Die Autorin kommt zu dem Schluss: „Das Fundament unseres Zusammenlebens ist bedroht.“ Anders gesagt: „Deutschland ist bedroht.“ Das ist dann auch der Titel ihres Buches, das soeben erschienen ist. Geschrieben wurde es unter dem Eindruck des islamistischen Terrors im Irak und in Paris – und man liest es jetzt vor dem Hintergrund der Brüsseler Anschläge mit gesteigerter Aufmerksamkeit.

Aus Anatolien geflohen

Düzen Tekkal ist eine Jesidin, die in Deutschland aufgewachsen ist und deren Eltern einst aus dem muslimischen Anatolien geflohen sind. Die Verfolgung der Jesiden durch den sogenannten IS („Islamischer Staat“) hatte die Journalistin 2014 bewogen, in den Nordirak zu fliegen und den Horror im TV-Film „Hawar – Meine Reise in den Genozid“ zu dokumentieren. Was sie dort mit eigenen Augen gesehen hat, habe ihr, schreibt sie, „Mut gemacht“. Ein Mut aus dem Schrecken: Von den etwa eine Millionen Menschen, die zur Religionsgemeinschaft der Jesiden gehört, ist etwa die Hälfte auf der Flucht. Tausende befinden sich in der Gefangenschaft des „IS“. „Jesidin zu sein“, heißt es an anderer Stelle lapidar, „ist nichts für schwache Nerven.“

Tekkals zentrale Erkenntnis für Deutschland lautet: „Wenn wir als Bürger dieses Landes meinen, wir würden sicherer leben, wenn wir uns aus den Konflikten heraushalten, dann unterliegen wir einem fatalen Irrtum.“ Das Böse, das im Irak wütet, habe eben sehr viel mit dem Bösen zu tun, das nun Zentraleuropa in Schrecken versetzt. Konkret leitet sie diese Erkenntnis daraus ab, das Terroristen von West nach Ost und von Ost nach West ziehen – dass „Kämpfer“ in Europa für den Einsatz in Syrien rekrutiert und dass umgekehrt Terroristen nach Europa eingeschleust werden.

Dass die islamistischen Fundamentalisten auch die Wege der Flüchtlinge nutzen, um in in Deutschland unterzutauchen, ist laut Tekkal gewiss. Was für sie, deren Eltern einst selber Flüchtlingen waren, selbstverständlich kein Grund ist, den Schutzbedürftigen die Zuflucht zu verweigern.

Ein Appell, die Ordnung zu schützen

Tekkal legt sich mit Verve ins Zeug für die demokratische Verfasstheit der Bundesrepublik. Ihr Buch ist ein lebhafter Appell, diese Ordnung aktiv zu schützen. Das sei ein Erbe ihres Vaters, der stets gesagt habe: „Verteidigt die Werte dieser Gesellschaft! Wenn jemand die Deutschen schlecht macht, dann steht auf!“ Und Tekkal selbst sagt heute: „Wir sollten dankbar sein, dass wir in einem Rechtsstaat leben, in dem die Menschenrechte nicht mit Füßen getreten werden, in einem Staat, in dem wir alle Möglichkeiten haben, zu partizipieren und zu gestalten.“

Ihr Appell richtet sich an alle im Lande: „Wir müssen uns als neue und als alte Deutsche gemeinsam neu definieren.“ Es gelte, Entschlossenheit zu zeigen „gegenüber den bösen Zwillingen, den rechtsextremen wie den islamistischen Feinden der Demokratie.“ Es genüge nicht, sich über die Politiker zu beklagen, sondern es sei Bürgerpflicht, sich politisch einzubringen und die Demokratie zu verteidigen.

Ausdrücklich wendet sie sich an die Migranten: „Integration heißt für mich nicht, die Gesetze dieses Landes zu achten, weil man sich nicht straffällig machen will, sondern weil man sie verinnerlicht hat.“ Dass dazu auch das Recht der Frauen auf Selbstbestimmung zählt, ist ihr nach den Übergriffen der „Kölner Silvesternacht“ eine besondere Erwähnung wert. Gelungene Integration entspringe dem Gefühl und Bewusstsein eines „Wir“. Gerade „die neuen Deutschen, die beide Welten kennen“, sollten den Flüchtlingen und Zuwanderern die Hand reichen und sagen: „Ich bin dir vielleicht nicht so fremd wie die Deutschen, aber ich bin auch ein Teil von ihnen.“

„Das ist auch unser Versagen“

Dass der „IS“ manchen muslimischen Jugendlichen verlockender erscheine als die Demokratie, ist für Tekkal „schockierend“. Sie nennt ein Beispiel: „Gut hundert Mädchen wurden durch das Mädchennetzwerk des IS, das in Deutschland tätig ist, nach Syrien gelockt.“ Dort betreibe der „IS“ ein Frauenhaus, aus dem Mädchen an heiratswillige „IS-Kämpfer“ vermittelt würden. „Das ist auch unser Versagen“, meint Tekkal: „Wenn 13-jährige Mädchen in den Heiligen Krieg ziehen, wären sie auch für unsere Angebote empfänglich gewesen.“

Tekkal hat auf ihrer riskanten Reise in den Nordirak einen Jesiden getroffen, der aus Deutschland gekommen war, um sein Volk zu verteidigen. Der Bäcker habe eine Deutschland-Fahne aus der Tasche gezogen und gesagt: „Wenn ich sterbe, könnt ihr diese Fahne auf mein Grab legen.“ Tekkal bezeichnet solchen Patriotismus als typisch für die deutschen Jesiden: „Sie haben Deutschland als ein Land erfahren, in dem sie erstmals frei und ohne Unterdrückung leben können.“

Diese Freiheit gelte es zu verteidigen. Die meisten Deutschen haben sich gedacht, was in Syrien und im Irak geschehe, gehe sie nicht sonderlich viel an. Getreu den Versen in Goethes „Faust“:

„Nichts Besseres weiß ich mir an Sonn- und Feiertagen/ Als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei,/ Wenn hinten, weit, in der Türkei,/ Die Völker aufeinander schlagen./ Man steht am Fenster, trinkt sein Gläschen aus/ Und sieht den Fluss hinab die bunten Schiffe gleiten;/ Dann kehrt man abends froh nach Haus,/ Und segnet Fried und Friedenszeiten.“

Diese Haltung konnte sich der brave Bürger vielleicht vor 200 Jahren leisten. Doch damit ist es vorbei.

Zur Person und zum Buch

Düzen Tekkal, 1978 in Hannover geboren, ist eine deutsche Fernseh-Journalistin. 2010 wurde sie mit dem Bayerischen Fernsehpreis ausgezeichnet. Sie ist eine Jesidin mit kurdischen Wurzeln.

Die Glaubensgemeinschaft der Jesiden hat ihr oberstes Heiligtum bei Mossul im Irak. Dieser Religion kann man nicht beitreten, sondern nur hineingeboren werden. Die Heiratsregeln gelten als sehr streng. Jesiden werden massiv verfolgt von den „IS“-Terroristen.

Das Buch „Deutschland ist bedroht – Warum wir unsere Werte jetzt verteidigen müssen“ erscheint im Berlin Verlag, 224 Seiten, 16,99 Euro. E-Book: 12,99 Euro.

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