Kölner PhilharmoniePintscher und Aimard brillieren in der Kölner Philharmonie

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Pi­erre-Lau­rent Aimard

Pi­erre-Lau­rent Aimard

Köln – Üblicherweise erhält der Dirigent am Ende des Konzerts den Blumenstrauß der Veranstalter – er rückt nicht selbst mit einem solchen, ja sogar mit einem kompletten Blumenkorb an. Genau dies aber geschah im Kölner philharmonischen Konzert der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen unter dem illustren Komponisten-Dirigenten Matthias Pintscher.

Der Grund war die kürzliche Pensionierung der Philharmonie-Dramaturgin Annette Wolde, die das Präsent dann auch sichtlich erfreut auf dem Podium entgegennahm. „Wenn die Kammerphilharmonie und ich selbst die Kölner Philharmonie sozusagen als zweite Heimat empfinden, dann ist das“, stellte Pintscher fest, „ganz wesentlich das Verdienst von Annette Wolde.“ Es folgte, dieser zu Ehren, das Finale aus Beethovens erster Sinfonie: messerscharf, knackig, dramatisch, in seiner Explosivität schlicht überwältigend – wie man es aus dem Bonner Beethoven-Zyklus des Orchesters unter Paavo Järvi kennt.

Musikalisches Abschiedsgeschenk für Annette Wolde

Überhaupt hätte sich Annette Wolde kein schöneres musikalisches Abschiedsgeschenk als dieses Konzert wünschen können. Freilich: Die überragende Spielkultur der Bremer, die Glut der einzelnen Instrumentalfarben, diese die Aufmerksamkeit des Zuhörers in jedem Augenblick bannende Dringlichkeit der Darstellung – sie macht auch ungeduldig bis unduldsam gegen das Gestaltarme, Behäbige, nicht ganz Durchgearbeitete, lediglich brav Absolvierte, das man in Kölns Musentempel halt auch hören muss.

So oder so kommt es indes stark auf die solistischen und dirigentischen Partner der Formation an – die allerdings diesmal über jeden Zweifel erhaben waren, ja deren Performance noch befeuerten. Neben Pintscher am Pult also agierte am Flügel mit Dvoráks selten zu hörendem, dabei außerordentlich erfindungsreichem Klavierkonzert der Kölner Klavierprofessor Pierre-Laurent Aimard (der Wolde seinerseits mit einem zugegebenem Klavierstück von György Kurtág ehrte). Hier widmeten sich also zwei Künstler einen Werk der Hochromantik, die eine massive Neue Musik-Connection teilen – Pintscher leitet derzeit das Ensemble Intercontemporain, dessen Pianist Aimard über viele Jahre war. Merkt man das? Ein bisschen vielleicht an der betont „strukturalistischen“ Auffächerung des weitläufigen Dvorák’schen Motivarsenals, an der Herausstellung der rhythmischen Effekte und der kammermusikalischen Verschränkungen zwischen Klavier und Orchester.

Romantik pur

Doch blieb Aimard trotz eines konzis-unsentimentalen Anschlags den Gefühlswelten des Konzerts zwischen Chopin-naher Eleganz, mit Nachdruck intonierter Choralfeierlichkeit und böhmischem Tanzvergnügen kaum etwas schuldig. Nach der Pause dirigierte Pintscher zunächst seine eigene Komposition „ex nihilo“ – die das ist, was ihr Titel sagt: Erst ganz am Schluss entringen sich einem Fragment-Kosmos aus einzelnen Tönen, Geräuschen, Schlägen größere Zusammenhänge. Tatsächlich das musikalische Analogon einer Weltentstehung, das auch ein tendenziell avantgarde-abgewandtes Publikum zu beeindrucken vermag.

Es folgte eine wiederum außerordentlich schlüssige, eindringliche, „natur-dramatische“, die einzelnen Klangfarben genau disponierende, große Zerklüftungen und Gefälle überlegen zur Einheit zwingende Interpretation von Mendelssohns Schottischer Sinfonie. Ein Beispiel: Die Wiederholung der Exposition im ersten Satz kann man genauso spielen lassen – als Eins-zu-eins-Wiederholung. Viele seiner Kollegen machen das so, Pintscher nicht: Verhalten, zögernd setzt das Da Capo ein, man hört auch die Klarinette stärker als zu Beginn – tastende Erinnerung an ein lange zurückliegendes Ereignis, die sich erst allmählich auffüllt. Wenn das nicht Romantik pur ist!

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