Wilfried HolbergBürgermeister von Bergneustadt über die Ditib-Spitzeleien

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Wilfried Holberg

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Herr Holberg, Bergneustadt wird zunehmend zur interessanten Stadt der Region: hohe Grundsteuer-B, Ditib-Bespitzelung, ein fliehender Imam, Drogengeschäfte und Rocker: Wie fühlt man sich als Bürgermeister einer solchen Stadt?

„Interessant“ ist eine wirklich bemerkenswerte Beschreibung für die angesprochenen Tatbestände. Diese Merkmale wünscht sich keine Stadt, dennoch müssen wir damit umgehen. Bergneustadt hat viel mehr zu bieten und wird deshalb hierdurch auch nicht stigmatisiert werden.

Und für mich als Bürgermeister gilt: nicht wegducken, Rücken gerade und die schwierigen Zeiten mit der Bevölkerung gemeinsam durchstehen.

Zur Person

Wilfried Holberg ist seit 2014 Bürgermeister in Bergneustadt, er wurde als parteiloser Kandidat von den Bürgern der 19 400 Einwohner zählenden Stadt im Oberbergischen gewählt.

In Bergneustadt leben viele türkisch-stämmige Menschen. Hat sich die Stimmung verändert, nachdem rausgekommen war, dass Leute aus dem Moscheeverein Gülen-Anhänger bespitzelt haben?

Ich stehe so tief nicht in Kontakt mit der türkischen Gemeinde, dass mit mir darüber gesprochen wurde. Es ist aber nicht sichtbar, dass sich etwas verschärft hat. Eine deutlichere Spannung herrschte nach dem gescheiterten Putschversuch im letzten Jahr in der Türkei, das hat sich aber nivelliert.

Gab es denn eine Entschuldigung der Ditib-Leute gegenüber den Gülen-Anhängern oder Ihnen gegenüber?

In Bezug auf das Verhalten des Imam in Bergneustadt ist mit mir kein Gespräch gesucht worden. Wir haben lediglich mit dem Moscheeverein darüber gesprochen, dass das spontane Verhalten nach dem Putschversuch nicht angemeldet war und insofern formal nicht in Ordnung war.

Türkische Flaggen wurden auf dem Sparkassen-Gebäude gehisst und auch das Gelände der Gülen-Anhänger betreten.

Das ist richtig. Man kann emotional für diese Bekundungen noch Verständnis haben, aber rein im ordnungsrechtlichen Sinn ist es nicht zulässig, öffentliche Gebäude mit Nationalfahnen zu beflaggen. Auch das Eigentumsrecht hat einen hohen Stellenwert in unserer Gesellschaftsordnung. Insofern ist der Bruch des Eigentumsrechtes nicht gutzuheißen.

Will sich der nächste Imam bei Ihnen persönlich vorstellen?

Wenn sich der nächste Imam bei mir vorstellt, würde ich das als sehr freundlich und zugewandt beachten. Bisher war ich es, der den Kontakt gesucht hat, um zu sehen, wie der Austausch zwischen Bergneustädtern mit und ohne Migrationshintergrund funktioniert. Ich würde jeden neuen Imam hier herzlich willkommen heißen.

Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass eine so große türkische Gemeinschaft wie in Bergneustadt auch einen Ort und Betreuer braucht, um ihren Glauben auszuüben. Die Funktion eines Imam ist es, im Glauben zu unterrichten und weniger, politische Werte ins Tagesgeschäft zu mischen.

Wird in Bergneustadt ein solcher Ort zur Glaubensausübung gefunden?

Die Gemeinde sucht einen neuen Ort, um aus ihrem alten Areal, das in einem Industriegebiet liegt, herauszukommen. Es hat Gespräche mit dem Architekten des Moscheevereins gegeben. Zwei Objekte werden diskutiert. Ich betone aber ausdrücklich, dass der Wunsch der türkischen Gemeinde, sich möglichst zentral in der Mitte der Stadt niederzulassen, politisch zurzeit schwer zu vermitteln sein wird.

Es leben über 19 000 Menschen in ihrer Stadt, rund 4000 mit Migrationshintergrund. Wie ist das Zusammenleben?

Es ist vollkommen unauffällig. Wir haben weder besondere Indikationen, was Gewalt oder Kriminalität im Besonderen angeht, noch fußend auf besonderen Ethnien, die zusammenleben. Da ist Bergneustadt völlig unauffällig. Die Tatsache, dass wir einen hohen Bevölkerungsanteil mit Migrationshintergrund besitzen, lässt nicht automatisch den Schluss zu, dass sich daraus Konflikt-Potenziale entwickeln. Das Gleiche gilt sinngemäß für Flüchtlinge und Asylsuchende, die wir haben aufnehmen müssen.

Also leben Deutsche und Deutsch-Türken konfliktarm miteinander?

Bergneustadt bietet Lebensraum für Menschen unterschiedlicher Kulturen aus anderen Ländern seit rund fünfzig Jahren. Wir sind es gewohnt, mit Menschen anderer Herkunft zusammenzuleben. Die Vermutung, dass sich Integration in der zweiten oder dritten Generation sozusagen verselbstständigt, wird häufig dadurch konterkariert, dass selbst die hier Geborenen über Heirat Menschen aus der Türkei hierher holen. Das ganze Prozedere wiederholt sich dann. Die Sprache muss erlernt werden, Kinder lernen nicht eindeutig Deutsch, sie werden Türkisch erzogen. Es ist tatsächlich nicht so, dass man über Generationen eine homogene Gesellschaft hinbekommt.

Es bleibt das Aufeinandertreffen von verschiedenen Kulturen auf einer Fläche. Anzunehmen, dass wir das zu einer Tiefe, die Herkunftsunterschiede nicht mehr spürbar macht, hinbekommen, diese Hoffnung habe ich aufgegeben.

Das Gespräch führte Michael Hesse

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