Coltan im KongoDer schmutzige Schatz im Handy

Lesezeit 8 Minuten

Die jungen Männer arbeiten ohne Schutzhelme, ohne Arbeitshandschuhe, in Gummistiefeln statt professionellen Arbeitsschuhen. Rötlich brauner Schlamm verkrustet die Hände der Bergarbeiter in den Minen im Osten des Kongo. Im Licht von Stirnlampen schürfen sie in oft schlecht gesicherten Stollen Coltan, Wolfram, Kassiterit oder Gold. Über Tage ist die Arbeit kaum weniger hart. Wäscher stehen mit Pfannen aus Aluminiumblech mal bis zu den Knien, mal bis zur Hüfte in Tümpeln voll mit gelb-braunem Wasser und trennen Gold-Körnchen von Schlamm und Gestein. Kassiterit-Brocken oder Gestein mit hohem Anteil an Coltan werden in Säcke aus Kunststoff-Fasern verstaut. Träger wuchten sich die 40, 50 oder 60 Kilogramm schweren Säcke in der feuchten Hitze auf die Schultern und transportieren sie oft viele Kilometer über Urwald-Pfade bis zur nächsten Landepiste. Dort warten sie auf kleine Propeller-Maschinen, die das Material bis zum Flughafen Goma am Kivu-See direkt an der Grenze nach Ruanda fliegen. Von Goma oder auch Bukavu am Südende des Kivu-Sees aus wird das Material nach Ruanda geschmuggelt. Von dort gelangen die Rohstoffe auf die internationalen Märkte.

David van Reybrouck: „Kongo: Eine Geschichte“, Suhrkamp, 783 Seiten, 29,95 Euro.

Dominic Johnson: „Kongo. Kriege, Korruption und die Kunst des Überlebens“, Brandes & Apsel, 264 Seiten, 24,90 Euro.

Lara Jüssen: „Kriegsökonomie in der Demokratischen Republik Kongo“, Tectum, 114 Seiten, 24,90 Euro.

Rebellengruppen im Osten des Kongo finanzieren mit diesem Geschäft ihre Milizen. Aber auch in Minen, die nicht von bewaffneten Gruppen kontrolliert werden, fehlt es oft an einfachsten Sicherheitsvorkehrungen für die Arbeiter. Trotz vielfältiger Versuche, den Schmuggel zu unterbinden, den ungeregelten Abbau in den Griff zu bekommen, hat sich in den vergangenen 15 Jahren an dieser Situation nur wenig geändert. Das bestätigt Justin Nkunzi. Der Geistliche ist Direktor der „Justice and Peace“-Kommission des Erzbistums Bukavu. Im Jahr 2000 stieg der Preis von Coltan infolge des Booms der Handyindustrie enorm an. Wer neben den Rebellen in der von jahrelangen Kriegen und internen Konflikten destabilisierten Region am illegalen Abbau und an der illegalen Ausfuhr von Bodenschätzen nach Ruanda und Uganda mitverdient? Zum Beispiel Soldaten der kongolesischen Armee, die oft keinen Sold vom Staat erhalten. Gedeckt wird das von korrupten Politikern und Verwaltungsbeamten. Und internationale Unternehmen prüfen in vielen Fällen weiterhin nicht nachdrücklich genug, ob unter den Rohstoffen für die Produktion ihrer Handys keine Konflikt-Mineralien sind. Wenn sie es überhaupt tun. Das jedenfalls ist Nkunzis Einschätzung.

Wirtschaftszweig Bergbau

Die Leidtragenden sind die Menschen in seiner Region, sagt er. Nkunzi will, dass sich ihre Arbeits- und Lebensbedingungen verbessern. Allein in seiner Region arbeiten einer Statistik aus dem Jahr 2011 zufolge 59 000 Kleinschürfer. In der Zwischenzeit dürften es eher noch mehr geworden sein. Denn der Bergbau ist neben der Landwirtschaft der wichtigste Wirtschaftszweig in der Region wie im ganzen Land. Schätzungen zufolge arbeiten bis zu einem Viertel aller 50 Millionen Kongolesen im Bergbau. „Die Lösung ist deshalb nicht, die Ausfuhr von Bodenschätzen aus dem Osten des Kongo komplett zu stoppen“, sagt Nkunzi im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. „Die Unternehmen müssen aufhören, mit Rebellen zusammenzuarbeiten, die die Menschen ausbeuten.“

Vor zwei Jahren machte Justin Nkunzi im Gespräch mit Repräsentanten von Nokia und anderen Handy-Herstellern die Erfahrung, dass das Problembewusstsein in den betreffenden Unternehmen sehr unterentwickelt war. „Die stereotype Antwort damals war: Wir sind am Ende der Wertschöpfungskette. Wir können daran nichts ändern.“ Die Einsicht, dass das nicht stimmt, scheint sich nun langsam auch bei den Handy-Produzenten durchzusetzen. Apple jedenfalls erklärte im Februar 2014, ausschließlich auf „konfliktfreie“ Mineralien zu setzen, und veröffentlichte eine Liste aller Erzminen, aus denen die Rohstoffe für Apple-Produkte kommen.

Einer der Gründe für die Unternehmen, ihre Haltung in dieser Frage zu ändern, vielleicht sogar der wichtigste, ist ein amerikanisches Gesetz, der nach ihren Autoren benannte Dodd-Frank-Act. Das Gesetz aus dem Jahr 2010 benennt konkret Coltan, Zinnstein oder Kassiterit, Gold und Wolfram als „conflict minerals“ und fordert alle US-Unternehmen, die diese Rohstoffe verwenden, auf, deren Herkunft nachzuweisen. Mittlerweile besitzen tatsächlich einige Minen die nötigen Zertifikate für den legalen Export.

Zertifizierte Minen

Auch die deutsche Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) in Hannover zertifizierte im Rahmen eines Pilotprojektes bislang zwei Minen. Sie machte sich bei ihrem Ansatz zunutze, dass die betroffenen Rohstoffe eine Art geologischen Fußabdruck besitzen. Je nach Herkunft ist ihre Zusammensetzung und Beschaffenheit in kleinen Details verschieden, so dass sie bis zu der Grube, aus der sie stammen, zurückverfolgt werden können. Die Minen durchlaufen für die Zertifizierung eine umfangreiche Prüfung. Unter anderem muss geklärt sein, dass deren Eigentümer keine kriminellen Banden oder illegalen politischen Organisationen unterstützen, dass in den Minen keine Kinder arbeiten, faire Löhne gezahlt und die Sicherheitsbestimmungen für die Arbeiter eingehalten werden.

Die von der BGR zertifizierte Kassiterit-Mine liegt in der Provinz Süd-Kivu, im Ort Kalimbi. Mitte Juni stattete ihr sogar die Bundestags-Vizepräsidentin Claudia Roth einen Besuch ab und forderte anschließend zum Kauf fairer Handys auf.

Doch trotz Dodd-Frank-Gesetz, trotz Richtlinien der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, trotz Leitsätzen der Vereinten Nationen zum Thema: Der illegale Abbau von Rohstoffen ist im Osten des Kongo weiterhin die Regel, nicht die Ausnahme.

OECD-Richtlinien sind freiwillig

„Das Problem ist: Die Richtlinien sind alle nur Empfehlungen. Die Unternehmen verpflichten sich freiwillig, die OECD-Guidelines einzuhalten. Tun sie es nicht, hat niemand, weder eine Nichtregierungsorganisation noch ein Minenarbeiter die Möglichkeit, gegen die Nichteinhaltung zu klagen“, sagt Friedel Hütz-Adams, Experte für Rohstoffe und Wertschöpfungsketten bei Südwind, einem Bonner Forschungsinstitut, das sich für eine gerechtere Weltwirtschaft einsetzt.

Nichtregierungsorganisationen versuchen seit einiger Zeit, Gesetze auf den Weg zu bringen, die etwa die OECD-Richtlinien berücksichtigen, doch die deutsche Politik ist zurückhaltend. Die Gründe liegen für Hütz-Adams auf der Hand: „Wenn wir bei den Rohstoffen anfangen, Unternehmenshaftung stärker durchzusetzen, dann werden andere Branchen ebenfalls unter Beschuss geraten. Telekommunikation etwa oder Bauunternehmen“, sagt Hütz-Adams. „Natürlich ist man da von Unternehmerseite nicht gerade begeistert.“

Alexander Mihm vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) wehrt sich gegen die Unterstellung, es bestehe von Unternehmerseite kein ernsthaftes Interesse an verantwortungsbewusstem Handeln in Hinblick auf Menschenrechte. Der BDI begrüße das Vorhaben, die Transparenz der Rohstoffgewinnung zu verbessern. Ein dem Dodd-Frank-Act entsprechendes Gesetz auf EU-Ebene sei aber der falsche Weg. „Durch den Dodd-Frank-Act hat sich die Situation in den Konfliktregionen nicht messbar verbessert“, sagt Mihm. „Die Rohstoffkette bis zum allerletzten Glied nachzuverfolgen, ist in einigen Fällen schlicht nicht möglich, dafür sind die Lieferketten zu komplex.“ Die Verantwortung werde allein auf die Unternehmen abgewälzt. Stattdessen müssten lokale Initiativen in den Krisenregionen unterstützt werden. „Die Schaffung der organisatorischen und strukturellen Voraussetzungen für die Umsetzung der Initiativen in den Herkunftsländern fällt in die Verantwortung der Politik“, betont der BDI.

Billiges Coltan im Kongo

Laut einer Studie des Südwind-Instituts konnten im Jahr 2009 rund 5000 Tonnen Coltan aus dem Kongo exportiert werden – das ist ein Drittel der weltweiten Produktion. Zwar fördern auch andere Staaten, wie etwa Australien, das seltene Tantalerz. Allerdings kostet es dort das Doppelte. Unter anderem, weil dort den Minenarbeitern angemessene Löhne gezahlt werden.

Doch wie viel Coltan wird eigentlich nach Deutschland importiert? Die zurückhaltende Informationspolitik Beteiligter zeigt, dass es sich um ein extrem sensibles Thema handelt. Bei H. C. Starck in München, nach eigenen Angaben einziger deutscher Hersteller von Tantal-Pulvern, möchte man zu Importmengen nichts sagen. Geschäftsgeheimnis. Auch bei der BGR in Hannover gibt es zu dem Thema keine Angaben, trotz des Modellprojekts im Kongo. Die Wirtschaftsvereinigung Metalle winkt ebenfalls ab.

Im Bundesamt für Statistik gibt es dagegen Daten, jedenfalls für die Jahre 2000 bis 2008. Demnach wurden in diesen Jahren bis zu 85 390 Tonnen Niobium-, Tantal- und Vanadiumerze eingeführt, bei starken jährlichen Schwankungen. Doch weder kann man daraus den Anteil an Tantalerz erkennen, noch weiß man, aus welchen Ländern die Erze eingeführt wurden. Denn auf Antrag werden Exportstaaten nicht einzeln genannt. Sie firmieren nur als „vertrauliche Länder“. Für die Zeit nach 2008 fehlen Angaben komplett.

Wenig Handynutzer sind kritisch

So absichtsvoll nebulös gehandelte Mengen an Coltan bleiben, so wenig klar ist vielen deutschen Handynutzern der Zusammenhang zwischen ihrem Smartphone und der Arbeit und dem Leben der Minenarbeiter im 6200 Kilometer entfernten Kongo. Die Elektroindustrie und Unternehmen wie Mobilfunkanbieter bemühen sich, dem Verbraucher zu suggerieren, nur das neueste Modell sei den aktuellen Standards gewachsen. Eine Strategie, die gerade bei den jüngeren Konsumenten gut funktioniert. Mehr als 95 Prozent der Jugendlichen in Deutschland besitzen inzwischen ein Handy. „Wenn ich bei Infoveranstaltungen in Schulklassen frage: »Wer von euch hat ein Handy, das älter ist als ein Jahr?«, dann melden sich nur sehr wenige“, sagt Hütz-Adams.

Ob diese Handys mit Rohstoffen hergestellt wurden, die unter fairen Arbeitsbedingungen gefördert wurden, ist bislang eine Frage, die sich offenbar nur wenige Handynutzer stellen. Menschen wie Justin Nkunzi wollen das ändern. Er berichtet von den Leuten aus seiner Region: „Die Menschen dort arbeiten ohne jede Aufsicht durch Behörden. Sie sind auch selbst nicht in Kooperativen organisiert. Es gibt zwar Vorschriften für die Arbeitszeiten von Schürfern, aber im kongolesischen Minengesetz fehlen entsprechende Regelungen für Wäscher in Goldminen oder für die Träger, die die Rohstoffe transportieren.“

Und trotz der enorm harten Arbeit ist es Nkunzi zufolge für die Schürfer schwierig, mit dem Coltan- oder Kassiterit-Abbau eine Familie zu ernähren. „Auf dem lokalen Markt bekommen sie für ein Kilogramm Coltan 1,50 US-Dollar.“ Der Weltmarktpreis für Coltan lag Mitte Juli bei 207 US-Dollar pro Kilogramm.

KStA abonnieren