Feindbild Taylor Swift?Wie ich zum überzeugten Swiftie wurde – und warum mehr Männer es mir gleichtun sollten

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Taylor Swift beim Super Bowl

Taylor Swift beim Super Bowl

Taylor Swift ist für viele Männer eine Feindin. Doch unser Autor erkannte irgendwann, dass sich viele Männer in der Sängerin irren.

Taylor Swift musste sich bei den Golden Globes auf die Zunge beißen. Sie nahm einen Schluck aus ihrem Glas, um vergeblich ihre Empörung zu verstecken. „Der große Unterschied zwischen den Golden Globes und der NFL?“, fragte Comedian Jo Koy Sekunden zuvor. „Bei den Golden Globes haben wir weniger Kameraaufnahmen von Taylor Swift.“ Über diesen Witz lachte kaum jemand im Publikum, erst recht nicht Swift.

Ich konnte diese unangenehmen Stille erst nicht deuten. Es war an diesem Abend bei Weitem nicht der schlimmste Witz von Koy, der etwa zum „Barbie“-Film einen sexistischen Spruch riss. Der Witz über Swift war zwar auch kein Brüller, aber warum empörte er sie so? Swift lacht doch sonst auch gern mal über sich selbst. Ich fragte meine Verlobte – und als jahrzehntelanger Swiftie hatte sie natürlich eine Antwort. „Seit Jahren erreicht sie mit ihrer Musik Unglaubliches und jetzt kommt so ein Typ, der sie auf einen Fan von irgendeinem Footballer reduziert“, sagte sie.

Taylor Swift bei den Grammy Awards 2024

Taylor Swift bei den Grammy Awards 2024

Das ergab vollkommen Sinn. Klar, Taylor Swift tauchte in den vergangenen Monaten immer mal wieder in Liveübertragungen von NFL-Spielen ihres Freunds Travis Kelce auf – aber ist das wirklich das, worüber wir bei Taylor Swift reden sollten? Der Frau, die reihenweise Grammys, Billboards, VMAs und EMAs gewonnen hat? Als erste Sängerin überhaupt alle Top zehn Plätze der Top Ten der US-Musikcharts besetzt hat? Mit ihrer aktuellen Tournee „The Eras Tour“ Rekorde bricht?

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Jo Koys Spruch war ein Witz, er war aber eben nicht nur ein Witz. Mir wurde in diesem Moment ein weiteres Mal klar, wie sich die Männerwelt immer noch sehr schwer damit tut, Taylor Swifts Erfolg anzuerkennen und sie ernst zu nehmen. Swift kann noch so viele Rekorde brechen und Alben verkaufen: Viele Männer wollen nicht verstehen, was sie auszeichnet. Ich weiß, wovon ich rede. Auch ich war ein Mann, der ihre Musik jahrelang gemieden hat, wenngleich schweren Herzens. Heute bin ich ein stolzer Swiftie und davon überzeugt, dass viele Männer sich in ihr irren: Taylor Swift ist nicht der Feind der Männer, zu dem sie über Jahre gemacht wurde.

Die Scham eines Teenagers

Eigentlich mochte ich schon immer ihre Songs, auch schon als Teenager. Mit 15 ich hörte erstmals einen Song von Swift, ihren preisgekrönten Countrysong „Mean“. Ich war weder Fan von Countrysongs, noch von Swift. Aber dieser Song hat es mir angetan. Ich habe damals noch nicht wirklich tiefgründig über Lieder nachgedacht, also brauche ich nicht so zu tun, als hätte ich bestimmte Textstellen besonders bedeutend gefunden. Ich mochte einfach den Klang des Songs, den einprägsamen Refrain, die Power in ihrer Stimme.

Ich entdeckte daraufhin immer mehr ihrer Songs. „We Are Never Ever Getting Back Together“, den ich auch heute noch auswendig kann. „Safe & Sound“ aus dem Soundtrack zum Film „The Hunger Games“, der wohlgemerkt selbst bei vielen Swifties schon in Vergessenheit geraten ist. Ich fand es beeindruckend, wie vielseitig Swift war. „Mean“ war ein Countrysong, „We Are Never Ever Getting Back Together“ klassischer Pop und „Safe & Sound“ Indie-Folk. Swift wird oft vorgeworfen, dass ihre Songs immer gleich klingen. Alles nur Mainstream, heißt es. Ich erkannte schon damals, dass das nicht stimmt.

Wie bei allen Liedern, die ich mochte, hörte ich ihre Songs wieder und immer wieder. Als vermeintlich cooler Teenagerjunge hätte ich das aber niemals zugegeben. Meine Freunde feierten Eminem, 50 Cent, irgendwelche Deutschrapper. Ich tat oft so, als würde mir all das auch gefallen, aber ich konnte mit dieser Musik nie etwas anfangen. In Wahrheit mochte ich am liebsten emotionale Lieder und Lovesongs, was klassischerweise nicht als besonders männlich gilt. Aus Angst vor Spott hörte ich solche Songs nur heimlich in meinem Zimmer mit Kopfhörern.

Mit 16 flog fast auf, dass ich Swifts Musik gerne hörte. „Du magst den Song echt gern, wa?“, fragte mich ein damaliger Kumpel genervt, als wir zusammen online ein Videospiel zockten. Ich wurde rot. Ich dachte, dass er über mein Headset nur meine Stimme hören könne. Aber „Mean“ spielte wohl so laut über meine Kopfhörer, dass er mitbekam, dass der Song bei mir in Dauerschleife lief. „Ähm, nein, das hört meine Schwester gerade nebenan in ihrem Zimmer“, log ich. „Aha“, sagte er skeptisch. Es herrschte unangenehme Stille. Ich wusste, dass er mit das nicht glaubte. Und, dass er es peinlich fand.

Wenn es einen Moment gab, der mich noch Jahre danach davon abhielt, Taylor Swifts Musik weiter zu hören, dann war es dieser.

Der Trend, Taylor Swift zu hassen

Es war als Junge eine Sache, Musik zu hören, die typischerweise für „girly“ und nicht männlich gehalten wurde. Taylor Swift zu hören, war noch mal eine ganz andere. Denn es war im Trend, Taylor Swift zu hassen. Ihre Musik? Country- und Popblödsinn über Liebe und Jungs. Ihr Erfolgsgeheimnis? Männer daten, um später böse Songs über sie zu schreiben. Ihr wahres Erfolgsgeheimnis? Kanye West, der es ihr bei den MTV Video Music Awards 2009 mal so richtig gezeigt hatte und ihr bei ihrer Danksagung das Mikrofon aus der Hand riss, zu verstehen gab, dass sie den Preis nicht verdient habe – und sie durch diesen aufsehenerregenden Moment erst richtig berühmt gemacht hat.

Swift wusste schon damals ganz genau, woher die männliche Missgunst kam. Sie sang darüber in ihrem nunmehr 15 Jahre alten – wohlgemerkt ironisch gemeinten – „Monologue-Song“ während ihres Auftritts bei der US-amerikanischen Comedyshow „Saturday Night Live“. „Ich mag es, über Deppen Lieder zu schreiben, die mich betrügen“, heißt es da. Und weiter: „Ich mag es, ihre Namen in meinen Songs zu erwähnen, damit sie sich davor schämen, in die Öffentlichkeit zu treten.“ Sie spielte damit bewusst auf das Klischee an, das viele Menschen zu der damaligen Zeit und auch heute noch verbreiten: Taylor Swift möchte Männern eins auswischen, indem sie stellvertretend gemeine Songs für alle betrogenen, verletzten, von Männern schlecht behandelten Frauen schreibt.

Meine Verlobte erinnert mich noch heute immer gern an einen Moment am Anfang unserer Beziehung. Wir waren beide Anfang 20 und ich hörte weiter kaum Taylor-Swift-Songs. Meine Verlobte erzählte mir von ihrem vergangenen Abend, an dem sie mit ihrer Mitbewohnerin die ganze Zeit Swifts Alben abspielte.

„Habe ich etwas falsch gemacht?“, fragte ich scherzhaft. „Hä?“, sagte sie nur. „Na, wenn du schon Taylor Swift hörst, muss ich als Freund ja irgendetwas ganz schön verbockt haben.“ Mir ist dieser Moment im Nachhinein peinlich, denn er hat mich sehr eindrücklich als Vertreter der bei Männern dominierenden Meinung geoutet: Jeder Swift-Song sei ein Angriff gegen Männer, über etwas was anderes kann sie eh nicht singen. Heute weiß ich, dass ich völlig daneben lag.

Taylor Swift mit ihrem Freund Travis Kelce von den Kansas City Chiefs

Taylor Swift mit ihrem FreundTravis Kelce von den Kansas City Chiefs

Klar, Taylor Swift singt regelmäßig über Männer. Manche Songs handeln von ihrem Herzschmerz. „He‘s the reason for the teardrops on my guitar. The only thing that keeps me wishing on a wishing star“, singt sie in „Teardrops on My Guitar“. Andere fühlen sich zunächst wie ein Disstrack an: „If a man talks shit then I owe him nothing“, singt sie in „I Did Something Bad“. Wenn man das so ganz ohne Kontext hört, könnte man natürlich meinen, dass sie es auf Männer abgesehen hat. Aber mir wurde im Laufe der Zeit das wahre Problem klar: Viele Männer achten gar nicht darauf, was sie wirklich zu sagen hat.

Poesie, die kein Geschlecht kennt

Das änderte sich für mich persönlich in der Corona-Pandemie. Meine Verlobte und ich hatten in Zeiten des Lockdowns und der Isolation ein Art abendliches Ritual: Wir spielten Karten oder Brettspiele und hörten dazu Musik. Zu ihrer Freude veröffentlichte Taylor Swift im Corona-Jahr 2020 gleich zwei Alben: „Folklore“ und „Evermore“. Es war das erste Mal, dass ich bewusst zwei ihrer Alben in Gänze durchgehört habe. Und das erste Mal, dass ich auch explizit ihren Worten Aufmerksamkeit schenkte. Oh Mann, war das gut.

Taylor Swift ist poetisch. Sie singt nicht einfach über Liebe, Trennung, Herzschmerz. Sie singt geschickt über konkrete Momente aus ihrem Leben, die symbolisch für all diese Themen stehen. Sie könnte einfach „Du hast mir die Tür geöffnet und gabst mir deine Jacke, damit ich nicht friere“ singen. Stattdessen greift sie in „Champagne Problems“ zu viel ausdrucksvolleren Worten: „Your Midas touch on the Chevy door. November flush and your flannel cure. This dorm was once a madhouse. I made a joke, well, it‘s made for me.“

Taylor Swift macht ihre Gefühlswelt dadurch unheimlich greifbar. Sie singt nicht nur über und für sich selbst, sondern für alle Menschen. Denn sie spricht über Gefühle, die wir alle kennen. „I knew you‘d haunt all of my what-ifs“, ist der Moment, in dem mir plötzlich unter der Dusche kluge Argumente für einen längst vergangenen Streit einfallen. „I‘m still trying everything to get you laughing at me“, sind meine erfolglosen Versuche als Teenie, meinen Schwarm mit Humor zu beeindrucken. „I‘m fine with my spite. And my tears, and my beers and my candles“, sind die Momente, in denen ich stark bleiben will und sage „Mir geht‘s okay“, auch wenn ich gerade am liebsten heulen möchte. Kein Mann, kein Mensch kann mir sagen, dass er dieses Gefühl nicht kennt.

Kein Mann macht Taylor Swift berühmt

Und die vielleicht wichtigste persönliche Erkenntnis für mich als Mann: Taylor Swift führt keinen Krieg gegen Männer. „All too well“ ist keine zehnminütige Hasstirade gegen Männer. Es ist eine Geschichte über eine einst intime Beziehung, die schmerzhaft zerbrach und einen Menschen, der diese Momente der Verletzung nicht vergessen kann. Genauso ist „The Man“ kein stumpfer Disstrack gegen Männer. Sondern die Geschichte einer Frau, oder genauer gesagt etlicher Frauen, die sich in einer noch immer primär von Männern regierten Welt fragen, wie ihr Leben verlaufen würde, wenn sie ein Mann wären.

Swift hat jeden Grund, sich diese Frage zu stellen. Es ist nur schwer vorstellbar, dass ein Mann mit derartigem Erfolg so lang und hart um Anerkennung kämpfen müsste wie Swift. Neuerdings zum Beispiel halten einige auch ihren aktuellen Freund für den Grund, weshalb alle über Taylor Swift reden. „Dank Travis Kelce hat sie jetzt endlich etwas Berühmtheit erlangt“, schrieb etwa ein User unter einem Instagram-Post der „Tagesschau“ zu Taylor Swift. Die Wahrheit ist: Wenn hier irgendjemand jemanden berühmt macht, dann Swift ihren Footballer-Freund Kelce.

Taylor Swift ist die gute Nachricht in einer Welt voller Krisen

Als ich im vergangenen Jahr Konzertkarten im Wert von 120 Euro für die „Eras Tour“ ausgegeben habe, wurde mir das erste Mal so richtig klar: Ich bin ein Swiftie. Und noch viel wichtiger: Ich bin endlich stolz darauf. Ich kenne die Reihenfolge ihrer 44 Songs, die sie während ihrer Konzerte singt. Ich kann auch die Texte größtenteils auswendig, rappe inzwischen sogar den Song „Are you ready for it?“ fleißig mit. Ich fiebere ihrem neuen Album entgegen, als wäre am 19. April Weihnachten. Wenn ich zusammen mit allen anderen Swifties in meinem Dunstkreis zu ihren Songs gröle, blende ich alles um mich herum aus.

Das „Time“-Magazin hat genau die richtigen Worte für das gefunden, was Swift für so viele Menschen bedeutet. „Weil sie eine eigene Welt geschaffen hat, in der so viele einen Platz finden, weil sie ihre Geschichte zu einer globalen Legende gemacht hat, weil sie einer Gesellschaft Freude bereitet, die das dringend braucht, ist Taylor Swift „Times“ Persönlichkeit des Jahres 2023.“

Wie viele andere Millennials, blicke ich aktuell nicht gerade positiv in das Jahr 2024. Die Klimakrise wird uns sicherlich noch mehr schlechte Nachrichten in diesem Jahr bescheren. Die Kriege in der Ukraine und im Gazastreifen haben kein Ende in Sicht. In einer von Krisen und Katastrophen geprägten Welt, sind gute Nachrichten selten geworden. Aber wenn Taylor Swift einen Grammy-Rekord bricht und gleichzeitig ein neues Album ankündigt, verspüre ich ein rar gewordene Gefühle: Aufregung, Vorfreude, Glück.

Taylor Swift ist kein Männerfeind

Taylor Swift braucht diesen Text nicht. Ihr Erfolg ist nicht von mir, einem Ende 20-jährigen Mann abhängig, der anderen erzählt, was sie auszeichnet und wie sehr er ihre Musik mag. Aber ich hoffe, dass dieser Text vielen anderen Menschen – allen voran Männern – helfen kann. Musik ist natürlich immer Geschmackssache: Wer auf Deathmetal steht, wird sich für Taylor Swift wahrscheinlich nicht begeistern können. Was mir aber Sorge bereitet, ist, dass es manchen Männern nicht um sachliche Kritik oder Abneigung gegen ihre Musik geht. Es geht um puren Hass gegen sie als erfolgreiche Frau.

Ich hoffe, dass Swift-Hasser verstehen, dass sie kein Feind ist. Man muss kein Fan von ihrer Musik sein. Aber sie ist ein Mensch, der es verdient hat, ernst genommen zu werden – und für eine überaus erfolgreiche Karriere respektiert zu werden. Und wer ihr zuhört, erfährt, dass ihre Texte nicht pur weiblich oder anti-männlich sind. Sie sind menschlich.

Wenn ich in diesem Sommer zusammen mit Zehntausenden Swifties dreieinviertel Stunden lang ihre „Eras Tour“ feiere, erlebe ich ein Event, dass in jeglicher Hinsicht selbst die Zeiten der Beatlemania übertrifft. Als Mann werde ich deutlich in der Unterzahl sein, aber nicht mehr so allein dastehen wie als Teenager. Aber wen interessiert das schon? Swifties kennen kein Geschlecht. Ich werde wie jede und jeder andere auch auf eine Zeitreise durch Swifts große Karriere, durch ihre vielseitigen Ären gehen. Das einzige, was ich bereue, ist, dass ich nicht jede Ära als Swiftie miterleben konnte.

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