Flutkatastrophe 2021Ermittlungen gegen Ex-Landrat wegen fahrlässiger Tötung eingestellt

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Meterhoch türmen sich Wohnwagen, Gastanks, Bäume und Schrott an einer Brücke über der Ahr in Altenahr (Luftaufnahme mit einer Drohne).

Juli 2021: Meterhoch türmen sich Wohnwagen, Gastanks, Bäume und Schrott an einer Brücke über der Ahr in Altenahr.

Auch der Chef der technischen Einsatzleitung wird nicht angeklagt. Die Staatsanwaltschaft fand nicht genügend Beweise.

Mario Mannweiler wirkt anfangs betroffen. Die Stimme schwimmt ein wenig, als der Chef der Koblenzer Staatsanwaltschaft am Donnerstagmittag auf einer Pressekonferenz über die 135 Todesopfer im Ahrtal während der Flutwelle Mitte Juli 2021 spricht. „Uns ist bewusst, dass die Ahr-Flut unsägliches Leid über die Menschen gebracht hat.“ Mitfühlende Worte, die nach Verständnis heischen. Schließlich muss der Leitende Oberstaatsanwalt mitteilen, dass man zweieinhalb Jahre nach dem Beginn die Ermittlungen zur Hochwasser-Katastrophe gegen den damaligen Landrat von Ahrweiler Jürgen Pföhler und den Chef der technischen Einsatzleitung (TEL), Michael Z., mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt hat.

Der Anfangsverdacht der fahrlässigen Tötung wegen Unterlassens stand im Raum, weil die Bevölkerung im mittleren und unteren Ahrtal zu spät vor der tödlichen Flutwelle gewarnt wurde. Nach der Beweislage sei eine Verurteilung nicht wahrscheinlich, bekundet Mannweiler. Für eine Anklage müsse sichergestellt werden, dass mit „an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ mehr Menschen gerettet worden wären, wenn die Beschuldigten anders gehandelt hätten, so der Chefankläger. „Da stoßen wir bei den Ermittlungen an Grenzen, weil die Katastrophe so extrem und außergewöhnlich war.“

Die Staatsanwaltschaft hat offenbar nicht genügend Belege dafür gefunden, dass die Beschuldigten anders hätten vorgehen können, um die Zahl der Todesopfer zu minimieren. Zu diffus scheint die Informationslage am 14. Juli bis in den späten Abend und in der Nacht auf den 15. Juli gewesen zu sein. Insofern wurde auch nicht frühzeitig eine umfassende Evakuierung der Anwohner an der mittleren und unteren Ahr angeordnet. Die Starkregenwarnungen des Deutschen Wetterdienstes waren demnach zu unkonkret, um entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Zu dem Schluss kommt ein knapp 500-seitiger Ermittlungsbericht.

Landrat ging nach Hause und rettete seinen Porsche

Den Ausführungen Mannweilers zufolge übernahm eine überforderte Krisencrew im Keller der Kreisverwaltung Ahrweiler die Technische Einsatzleitung (TEL). Ein ehrenamtlicher Katastrophenschutzinspekteur versuchte, sich zusammen mit seinem Team gegen die Naturgewalten zu stemmen. In dem personell unterbesetzten Krisenstabkeller funktionierte fast nichts: Fundierte Lagebilder über Kommunen, in denen die ersten Häuser im Wasser untergingen, fehlten. Die Kommunikation nach außen klappte nicht. Rettungshubschrauber waren kaum verfügbar, die Retter vor Ort auf sich allein gestellt. Pegelstände, die durch das Landesumweltamt durchgegeben wurden, waren teilweise falsch. Der wichtigste Messstand in Altenahr fiel aus.

Infolgedessen schien der Schaden überschaubar. So geschah es, dass die höchste Alarmstufe fünf erst kurz nach 23 Uhr ausgerufen wurde. Da aber rauschte die Flutwelle bereits mit rasantem Tempo die Ahr hinab. Der Abschlussbericht zitiert auch einen Gutachter, wonach die TEL alles gegeben habe. Allerdings habe „das Führungssystem“ nicht mehr zugelassen.

Landrat Pföhler verschwand nach einem kurzen Besuch mit dem damaligen rheinland-pfälzischen Innenminister Roger Lewentz (SPD) kurz nach 19 Uhr am 14. Juli nach Hause und wurde bis zum nächsten Tag nicht mehr gesehen. Anstatt in die Einsatzzentrale zu gehen, rettete er seinen Porsche. Laut der Staatsanwaltschaft habe Pföhler nur sporadisch über Dritte Kontakt zum Krisenstab gehalten. Demnach sei er völlig überfordert und einzig um seine Besitztümer besorgt gewesen.

Behördenchef Mannweiler kritisierte das Verhalten des Ex-CDU-Politikers: Das Ganze wirke, als habe Pföhler „den Landratsmantel an der Garderobe abgegeben, wenn’s brenzlig wird.“ Laut dem Abschlussreport hat Pföhler pflichtwidrig gehandelt. Da er aber als gewählter Politiker über keine Erfahrungen im Katastrophenschutz verfügte, hätte er auch nichts besser machen können, um den Tod vieler Flutopfer zu verhindern, lautet das Resümee.

CDU: Schwerwiegende Versäumnisse in Dreyers Kabinett

Ein strafrechtliches Vergehen der für den landesweiten Katastrophenschutz zuständigen Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) schloss die Staatsanwaltschaft aus. Genauso wie für die damalige Umweltministerin Anne Spiegel (Grüne). Auch Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) und ihrem Landesinnenminister Lewentz, der wegen seines Versagens während der Flutnacht zurücktrat, sei kein Vorwurf zu machen. Zu keinem Zeitpunkt hätte die Landesregierung die Katastrophe verhindern können, so der Tenor. Dabei hatten Dreyers Kabinett in der Flutnacht ein denkbar schlechtes Krisenmanagement an den Tag gelegt: Es agierte wie im Blindflug. Erst am Tag nach der Flut erreichten die Regierenden erste Informationen über das wahre Ausmaß.

Nach wie vor durchleuchtet ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss in Mainz das Versagen der Landesregierung. „Der Staatsanwaltschaft ging es um eine rein strafrechtliche Bewertung. Daneben tritt die politische Verantwortung, die durch schwerwiegende Versäumnisse während und nach der Flut ein unermessliches Leid über die Menschen im Ahrtal brachte“, sagt CDU-Landesparteichef Christian Baldauf. „Behörden und Landesregierung unterschätzten trotz dramatischer Warnungen den Ernst der Lage. Gerade in Krisen müssen sich Menschen darauf verlassen können, bestmöglich geschützt zu werden. Das war am Flutabend nicht der Fall.“

Der Verteidiger des einstigen Landrates, Olaf Langhanki, sieht sich bestätigt, dass „Herr Dr. Pföhler sich keiner strafbaren Handlung schuldig gemacht hat“. Zur Kritik des Leitenden Oberstaatsanwalts am Verhalten seines Mandanten in der Flutnacht erwidert der Anwalt: „Das sind Äußerungen, über die die Verteidigung nur schmunzeln kann. Wir haben von Anfang darauf hingewiesen, dass bei solchen außergewöhnlichen Katastrophen nicht der Landrat, sondern die Landeskatastrophenbehörde ADD hätte übernehmen müssen.“

Christoph Arnold, Verteidiger des Krisenstabsleiters, begrüßte zwar den Beschluss gegen seinen Mandanten. „Die Einstellung gegen den ehemaligen Landrat ist aber nicht nachvollziehbar. Vor allen Dingen dann nicht, wenn dieser am Flutabend nach dem Pressetermin abtaucht. Es kann nicht angehen, dass bei gescheiterten Einsätzen stets die Behördenleiter sich nie einer strafrechtlichen Verantwortung stellen müssen.“

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