Sturm in BergheimVerdachtsfall Tornado

Lesezeit 4 Minuten
nikolas-noonan-fQM8cbGY6iQ-unsplash

Ein Tornado - aufgenommen in Wyoming

Herr Schwanke, starke Winde haben am Sonntagabend in Bergheim einige Häuser abgedeckt. Die Rede ist von einer „Windhose“, also einem Tornado. Tatsächlich? Bei uns in NRW?

Karsten Schwanke: Durchaus! Tornados kann es bei uns in Deutschland und in Nordrhein-Westfalen genauso geben wie in den USA. Es gibt zwei Typen von Tornados, sie entwickeln sich entweder im Sommer unter großen Gewitterwolken oder entlang einer Kaltfront. Letzteres hatten wir am Sonntagabend, die meteorologischen Bedingungen für einen Tornado waren also gegeben - es könnte einer gewesen sein.

2019_KS_337_Varicompbigret (1)

Karsten Schwanke, 52, Meteorologe, als Wetterjournalist und Moderator für verschiedene Medien tätig, unter anderem für die ARD. Zudem Autor mehrerer Bücher, darunter des Bandes „Wetter“ in der Kinderbuchreihe „WAS IST WAS“ des Tesloff-Verlags. Schwanke ist verheiratet, hat zwei Kinder und lebt in Köln

Könnte? Sicher weiß man das nicht?

Schwanke: Das Ereignis wird als Verdachtsfall eingestuft. Um sicher zu gehen, bräuchte es Augenzeugen oder Videoaufnahmen. Oder man müsste sich das Schadensbild angucken. Allein dadurch, dass Dächer abgedeckt wurden, muss es noch keinen Tornado gegeben haben. Gerade bei Kaltfronten gibt es auch den so genannten „downburst“, das sind starke Fallwinde, die sich aus kräftigen Schauern heraus entwickeln, und die auch sehr hohe Windgeschwindigkeiten in Orkanstärke erreichen können. Ein Tornado mit seinem typischen Windrüssel hinterlässt ein typisches Schadensbild. Wenn zum Beispiel Bäume umgestürzt sind, liegen sie nicht alle in eine Richtung, sondern sternförmig. Gibt es einen Unterschied zwischen Windhose und Tornado?

Schwanke: Nein. Und wir empfehlen die Verwendung des Wortes Tornado. Windhose klingt zu verniedlichend. Lange herrschte bei uns die Meinung, starke Tornados gebe es nur in den USA, aber das ist ein Irrtum. Auch bei uns in Deutschland können Tornados so kräftig werden wie in Nordamerika, die schwersten können in ihrer Rotationsgeschwindigkeit 400 bis 500 Stundenkilometer erreichen. Und wie entstehen sie?

Schwanke: Vereinfacht gesagt: Unter großen Gewitterwolken oder entlang einer Kaltfront, wenn es dabei starke Aufwinde in der Atmosphäre gibt und eine Windscherung, also eine Veränderung der Windrichtung mit der Höhe. Dadurch kann es zu Extrem-Rotationen kommen. Wichtig ist noch, einen Tornado nicht mit einem Hurrikane oder Taifun zu vergleichen, diese tropischen Wirbelstürme können Ausmaße von tausend Kilometern haben, bei einem Tornado geht es um einige Dutzend Meter. Manchmal sieht man auch so einen Windrüssel – aber wir reden erst dann von einem Tornado, wenn der Windwirbel den Boden erreicht.

Erst in den Anfängen der Tornadoforschung

Nehmen Tornados mit dem Klimawandel zu?

Schwanke: Die Entstehung eines Tornados ist ein derart komplexes Phänomen, dass wir das bis heute nicht sagen können. Man kann das vermuten, aber es gibt keine gesicherten Erkenntnisse dazu. Wir sind erst in den Anfängen der Tornadoforschung, viele gehen uns wahrscheinlich durch die Lappen, weil sie gar nicht bekannt werden. Daher ist die Datenlage auch sehr dünn. Staubteufel sehen so ähnlich aus, die Kinder rufen dann gern „da, ein Mini-Tornado“. Was ist der Unterschied?

Schwanke: Staubteufel entstehen vor allem an heißen Sommertagen, starke Sonneneinstrahlung, keine Wolken, da erwärmt sich die Erde sehr stark und es gibt eine Thermik, die aufsteigt. Wenn dann auf einer Wiese oder an einer Hausecke ein kleiner Windwirbel entsteht, kann sich ein Staubteufel bilden – der aber in keiner Weise so gefährlich werden kann wie ein Tornado.

Das könnte Sie auch interessieren:

Wie lange dauert ein Tornado?

Schwanke: Die meisten, die beobachtet werden, befinden sich im Bereich von wenige Minuten bis 20, 30 Minuten. Im Juni gab es in Tschechien einen zerstörerischen Tornado, der hat eine Schneise von 20 Kilometern hinterlassen. Man muss allerdings aufpassen: Manchmal heißt es, ein Tornado rase über das Land. Er kann sich mit 50 oder 60 Kilometern pro Stunde fortbewegen, das schon, aber die wirklich hohen Geschwindigkeiten stecken in der Rotation.

Warnung eher vor Sturmböen

Ist ein Tornado vorhersehbar? Kann man sich vor ihm schützen?

Schwanke: Dazu sind Tornados zu selten. In den USA werden Tornado-Warnungen herausgegeben. Wir erkennen inzwischen immer besser Wetterlagen, bei denen ein Tornado möglich ist, auch bei uns in Deutschland. Wenn wir hier bei uns davor warnen würden, würden wir aber zu oft danebenliegen. Deshalb sind wir da sehr vorsichtig. Wir warnen eher vor Sturmböen, vor Gewitter, vor der Front, die da im Anmarsch ist. Wichtig ist aber: Wer einen Tornado sieht, sollte sich in Sicherheit bringen. In einem Haus, am besten in Räumen ohne Fenster. Ein Tornado kann auch bei uns sehr zerstörerisch sein.

Zur Person: Karsten Schwanke, 52, ist Meteorologe und als Wetterjournalist und Moderator für verschiedene Medien tätig, unter anderem für die ARD. Schwanke ist Autor mehrerer Bücher, darunter des Bandes „Wetter“ in der Kinderbuchreihe „WAS IST WAS“ (Tesloff-Verlag). Schwanke ist verheiratet, hat zwei Kinder und lebt in Köln.

KStA abonnieren