CDU-ParteitagAngela Merkel und die beste Rede ihrer Amtszeit

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Sie ist wieder da. Frisch, selbstbewusst und kämpferisch wie lange nicht mehr weist Angela Merkel ihre Kritiker in die Schranken.

Sie ist wieder da. Frisch, selbstbewusst und kämpferisch wie lange nicht mehr weist Angela Merkel ihre Kritiker in die Schranken.

Karlsruhe – Arnold Vaatz ist zornig. Sehr zornig. Nur wenige Menschen können sich so leidenschaftlich aufregen wie der CDU-Bundestagsabgeordnete. Mit gesenktem Kopf stürmt der kleine Sachse durch den Saal. Keines Blickes würdigt er auf seinem Weg Angela Merkel und ihre Ministerriege auf dem Podium. Kaum hat er das Rednerpult erreicht, legt er auch schon los. Nein, der Antrag, mit dem der Bundesvorstand den Streit über die Flüchtlingspolitik beilegen will, reicht ihm nicht aus. Deswegen hat er dagegen gestimmt.

Die Kanzlerin kommt in seiner kurzen Polemik erst gar nicht vor. Aber Viktor Orban. Der umstrittene Ungar macht seiner Ansicht nach nämlich die beste, um nicht zu sagen, die einzig richtige Flüchtlingspolitik in Europa.

Vaatz, in der DDR einer der streitbarsten Bürgerrechtler, ist es bis heute gewöhnt, in der Minderheit zu sein. Aber so einsam wie an diesem Montagmittag auf dem CDU-Parteitag in Karlsruhe war er wohl selten in seinem wechselvollen politischen Leben.

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Ein wütender Sachse

Nicht, dass es unter den rund 1000 Delegierten niemanden gäbe, der seine Bedenken, seine Befürchtungen teilte. Im Gegenteil. Das wird in der Debatte durchaus deutlich, die noch eine Weile weitergeht, nachdem der wütende Delegierte aus Sachsen längst wieder in der Anonymität der Karlsruher Messehalle verschwunden ist. Aber Vaatz bleibt der Einzige an diesem Tag, der nicht zumindest ein wenig von jenem Zauber angerührt worden ist, den Angela Merkel entfaltet hat.

Angela Merkel, deren Reden normalerweise von Sachlichkeit bis zur Langeweile geprägt sind. Vor gut 15 Jahren, als sie auf einem Parteitag in Essen zur CDU-Vorsitzenden gewählt wurde, hat sie jenes Gedicht von Hermann Hesse zitiert, in dem es heißt, dass jedem Anfang ein Zauber innewohne.

Viel mehr Zauber war seither nicht in Sachen Merkel. Die Herzen der Menschen erreichen, gar die ihrer Parteifreunde, das war nicht ihr Ding. Die promovierte Physikerin hielt es lieber mit den Köpfen. In einem Interview gefragt, was typisch deutsch sei, hat sie einmal geantwortet: dichte Fenster.

Aber seit einiger Zeit ist eine neue Merkel zu erleben. Eine, die nicht einfach nur kühl gegen Fremdenfeindlichkeit argumentiert. Als sie mit ihrer Politik der offenen Arme für Flüchtlinge aus aller Welt unter Druck zu geraten begann, wurde sie in aller Öffentlichkeit emotional. Warum das denn nicht möglich sei, gab sie trotzig zurück: „Dann ist das nicht mehr mein Land.“ Da währte noch nicht lange, was wir uns angewöhnt haben, „Flüchtlingskrise“ zu nennen.

Angela Merkel stehe unter Stress, hieß es damals. Die innenpolitischen Verhandlungen, die quälenden Nachtsitzungen auf europäischer Ebene, die noch wieder nichts oder fast nichts gebracht hätten. Langsam schält sich dann heraus, dass da nicht bloß eine frustrierte, überarbeitete Frau einen kurzen Moment von Verletztheit zeigte. Die aktuelle Lage, so scheint es, zeigt eine neue Angela Merkel oder eröffnet wenigstens den Blick auf eine Seite, die sie bislang selbst nicht so recht zeigen mochte. Sie lässt in ihrer Rede die Herausforderungen Revue passieren, die dieses Jahr gebracht hat, von der Finanz- und Griechenlandkrise bis zu den Terroranschlägen in Paris. Arnold Vaatz ist an diesem Tag so einsam wie nie, weil er keinen Sinn für diese Angela Merkel hat. So emotional, aber auch so in den Grundsätzen der Union wühlend hat noch niemand auf einem Parteitag gesprochen. „Ich möchte, dass Deutschland auch noch in 25 Jahren mein Deutschland ist. Weltoffen und vielfältig“, sagt Angela Merkel. Und auch: „Wir schaffen das, und dort, wo uns etwas im Wege steht, muss es überwunden werden.“

Im CDU-Bundesvorstand haben sie am Abend zuvor versucht, Merkels Politik der weit geöffneten Arme durch ein Pendant gegenüber den eigenen Leuten zu ergänzen. „Karlsruher Erklärung zu Terror und Sicherheit, Flucht und Integration“ heißt das Dokument.

Im nächsten Abschnitt lesen Sie, wie Merkel eine verblüffend einfache Antwort gibt auf die Frage „Wie sollen wir das bloß schaffen?“

Von einer „Obergrenze“ der Belastungsfähigkeit des Landes ist darin nicht die Rede, wie sie viele gefordert hatten. Merkel mag das Wort nicht. Und sie findet den Gedanken einer nationalen Begrenzung auch nicht europatauglich. Aber auf die Sorgen und Bedenken der Menschen eingehen, außerhalb, aber auch innerhalb der eigenen Partei – wie sollte sie sich gegen diesen Gedanken wehren?

Merkel hat ihren Kritikern im Vorstand die Gelegenheit gegeben, ihren Kurs zu korrigieren: Jetzt ist nicht mehr nur von Willkommenskultur die Rede, sondern auch davon, dass der Zustrom gedrosselt werden müsse. Bei dem Empfang, zu dem die CDU-Vorsitzenden am Vorabend eines Parteitags die Journalisten einzuladen pflegen, saß Thomas de Maizière neben ihr – jener Innenminister, der in den vergangenen Wochen gern gegen sie in Stellung gebracht wurde und nicht immer alles Erdenkliche gegen diese feindliche Indienstnahme unternommen hat. Schaut her, lautete das Signal am Abend, wir halten zusammen.

"Denn wir sind ein starkes Land“

In diesem Zusammenhang spielt auch Wolfgang Schäuble eine Rolle. In den Medien, aber auch in der CDU wurde er plötzlich als Alternative zu Merkel gehandelt – wenn sie denn wegen ihrer allzu offenen Flüchtlingspolitik gestürzt würde oder irgendwann sagte: Das ist nicht mehr meine Partei. An diesem Vormittag zitiert sie ihn gleich zwei Mal: Deutschland habe gerade ein Rendezvous mit der Globalisierung, so habe er die aktuelle Krise einmal auf den Begriff gebracht. Das ist noch die alte, die rationale Merkel, die ihren Delegierten nahezubringen versucht: Wir können das nicht aufhalten. Und der Mann, der gegen mich in Stellung gebracht werden soll, sieht das genauso. „Alternativlos“ nennt sie ihre Politik aber doch lieber nicht.

Und dann buchstabiert sie den Satz durch, der so viele gegen sie aufgebracht hat, mehr noch als die nächtliche Grenzöffnung Anfang September: „Wir schaffen das.“ Eine Provokation. Christdemokratische Bürgermeister fragten: „Aber wie denn“, nachdem die letzte freie Turnhalle in ihrem Ort als Aufnahmequartier umgewidmet war. Ihre Antwort ist verblüffend einfach: Weil wir es immer geschafft haben.

Angela Merkel packt die Partei bei ihrem Stolz, bei ihren Grundwerten. Sie moduliert ihre Stimme dabei nicht ins Pathos, sie intoniert wie immer, und dennoch ist es eine neue Vorsitzende, die da ihre aktuelle Politik direkt aus den Grundwerten der Union herleitet: Das christliche Menschenbild hat sie schon gelegentlich bemüht. Aber so intensiv hat sie es bisher nicht getan. Damit ist nicht bloß Mitleid gemeint, sondern vor allem die Aufgabe und die Kraft, sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Sie erinnert an Konrad Adenauer, der im tiefsten Kalten Krieg Anfang der 50er-Jahre auf der Einheit in Freiheit bestand, obwohl er wusste, wie lange das dauern würde. Und sie erinnert an Helmut Kohl, dessen Versprechen von den „blühenden Landschaften“ damals selbst sie in Mecklenburg-Vorpommern nicht immer glauben konnte. Mit anderen Worten: „Wir schaffen das, denn wir sind ein starkes Land.“

Jubel und dann Nüchternheit

Das ist es, weswegen Delegierte auf einen Parteitag fahren. Wenn eine CDU-Veranstaltung auf einmal den Charakter eines weltlichen Gottesdienstes bekommt, aus dem man Kraft schöpfen kann. Plötzlich hören sie Merkels provozierenden Satz am Ende mit anderen Ohren. „Wir schaffen das“, sagt sie und appelliert an das patriotische Selbstbewusstsein der Christdemokraten, „weil wir ein starkes Land sind“.

Dieser Glaube ist es, der sie den Delegierten nahebringt. Die haben noch nicht alle Zweifel daran verloren, dass es möglich wäre, aber sie können es sich vorstellen. Deshalb formulieren viele Redner in der anschließenden Debatte, der Kompromissantrag des Vorstandes sei „ein Schritt in die richtige Richtung“.

Aber vorher ist erst einmal Jubel angesagt. Angela Merkel hat kaum den letzten Satz gesagt, da springen die Delegierten auf, ganz ohne Regie. Sie klatschen sich die Handflächen rot, sie jubeln, als Angela Merkel immer wieder die Bühne auf und ab geht. An die zehn Minuten geht das so und niemand, der versucht, das Spektakel zu beenden. Im Gegenteil. Volker Bouffier, später einer der wichtigsten Werber für die Kanzlerin, feuert sie mit ausholender Geste noch an.

Als Angela Merkel selbst zur Tagesordnung rufen will, kommt sie, der wieder gefundene Star der CDU, erst einmal nicht zu Wort. Am Ende schafft sie dann doch noch Ruhe, mit einem Hinweis, der ganz die alte, nüchterne Angela Merkel zeigt: Der Parteitag habe noch zu arbeiten.

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