BundestagDebatte über Sterbehilfe geht über Politik hinaus

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Der Suizid der todkranken US-Bürgerin Brittany Maynard (2.v.r.) sorgte weltweit für Aufsehen.

Der Suizid der todkranken US-Bürgerin Brittany Maynard (2.v.r.) sorgte weltweit für Aufsehen.

Köln – Der Tod ist Privatsache. Doch der Tod betrifft zugleich auch Staat und Gesellschaft. Wenn Menschen selbstbestimmt sterben wollen, wirft dies eine Reihe von Fragen auf. Darum geht es am heutigen Donnerstag im Bundestag. Die Abgeordneten debattieren darüber, wie Sterbehilfe in Deutschland künftig gesetzlich geregelt werden soll. Die Debatte geht weit über die Politik hinaus. Sie zielt ins Zentrum des menschlichen Selbstverständnisses. Wie wollen wir sterben? Was ist ein würdevoller Tod, was ein lebenswertes Leben? Wenn sich Menschen das Leben nehmen, wollen sie von einem Arzt begleitet oder unterstützt werden können.

Dem Bundestag liegen derzeit fünf Vorschläge für den künftigen Umgang mit dem Todeswunsch kranker Menschen vor. Dass eine Neuregelung notwendig ist, ist bei vielen unbestritten – wie sie aussehen wird, ist noch völlig offen.

Positionspapiere von fünf Parlamentariergruppen liegen dem Bundestag vor. Grüne und Linke-Abgeordnete legten nun ihre Position dar, wonach Sterbehilfevereine weiterhin zugelassen werden sollen. „Wir setzen uns dafür ein, die von Angehörigen, Nahestehenden, Ärzten und Sterbehilfevereinen geleistete Beihilfe zum Freitod weiterhin straflos zu lassen“, heißt es in dem Papier von Renate Künast (Grüne), Petra Sitte (Linke) und Kai Gehring (Grüne).

Die Mehrheit der Unionsfraktion legte ein Papier vor, in dem eine Verbesserung der Palliativ- und Hospizangebote im Mittelpunkt steht. Es geht um die pflegerische und medizinische Versorgung sterbenskranker Menschen. Die Gruppe will jegliche organisierte Sterbehilfe verbieten – auch eine organisierte Form des ärztlich begleiteten Suizids.

Eine andere Gruppe um den SPD-Politiker Karl Lauterbach und Bundestagsvizepräsident Peter Hintze (CDU) spricht sich für die Möglichkeit ärztlicher Hilfe bei der Selbsttötung aus. Bislang wird dies Medizinern durch das Standesrecht untersagt.

Weitere Positionspapiere haben eine Gruppe um die SPD-Abgeordneten Eva Högl und Kerstin Griese vorgelegt sowie um die Grünen-Abgeordneten Elisabeth Scharfenberg und Harald Terpe. (dpa)

Sie soll nach dem Vorschlag von Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) und anderen Parlamentariern im kommenden Jahr zu einem gesetzlichen Verbot von Suizidbegleitung führen – für Ärzte wie für Sterbehilfe-Organisationen. Dagegen befürwortet eine Gruppe um Peter Hintze (CDU) und Carola Reimann (SPD) die Herstellung von Rechtssicherheit für ärztliche Suizidhilfe innerhalb klarer Grenzen. Am Ende sollen die Abgeordneten nach ihrem Gewissen entscheiden. Geplant ist dies Mitte 2015.

Aktive Sterbehilfe ist in Belgien und den Niederlanden legal. In Deutschland ist sie auch aus historischen Gründen tabu. Nur wenn der Sterbewillige unheilbar krank ist, zudem noch unter starken Schmerzen leidet und nur noch kurze Zeit zu leben hat, wird die Sterbehilfe akzeptiert. Allerdings zeigen Umfragen, dass zwei Drittel der Deutschen auch aktive Sterbehilfe befürworten. Rechtspolitisch steht aktive Sterbehilfe jedoch gar nicht zur Diskussion, auch wenn Politiker gerade reihenweise verlauten lassen, sie seien dagegen. Nur die Hilfe zur Selbsttötung, nicht aber die anderen möglichen Formen von Sterbehilfe stehen zur Debatte. Kritiker sehen in einer Legalisierung des ärztlich assistierten Suizids einen Dammbruch. Dabei gibt es Staaten, in denen dies bereits praktiziert wird. Erfahrungen aus den USA zeigen: Vielen Menschen ist schon geholfen, wenn sie den Wunsch nach Suizidhilfe aussprechen dürfen. Vielen kann der Arzt im Gespräch die Angst vor einem unwürdigen Tod nehmen, glaubt etwa der Palliativmediziner Gian Domenico Borasio. Allein das verhindere manchen Suizid. Dass mit einer klaren Regelung die Zahl der Fälle zunimmt, ist seiner Meinung nach nicht zu befürchten. Borasio war einer der vier Wissenschaftler, welche die Position um Hintze formuliert haben.

Die Sterbehilfe-Gegner sagen: Wenn man einmal beginnt, das Tötungsverbot zu lockern, werden sich die Grenzen immer weiter verschieben. Am Ende steht eine Gesellschaft, in der jeder jeden umbringen darf, der irgendwann einen Sterbewunsch äußert.

Wenn ein sterbenskranker Mensch bewusst um Hilfe zum Sterben bittet und der Arzt sie gewährt indem er etwa ein muskelentspannendes Medikament und ein Schlafmittel verabreicht. In Deutschland ist solche aktive Sterbehilfe als „Tötung auf Verlangen“ nach Paragraf 216 des Strafgesetzbuchs grundsätzlich verboten.

Lebensverlängernde Maßnahmen (zum Beispiel künstliche Beatmung) werden unterlassen. Dies ist nach dem Urteil des BGH vom Juni 2010 unter Umständen erlaubt.

In diesem Fall stellt der Arzt dem Patienten lediglich die Medikamente bereit, einnehmen muss dieser sie selbst. In den Niederlanden zum Beispiel wählt nur ein Zehntel der Sterbewilligen ärztlich assistierten Suizid, die anderen ziehen direkte Sterbehilfe vor.

Das Strafgesetzbuch verbietet Beihilfe zur Selbsttötung nicht, allerdings tut dies die dahingehend 2011 geänderte Berufsordnung der Ärzte. (ksta)

Ärztevertretungen lehnen die Tötung auf Verlangen daher rigoros ab. Auch die Bischöfe der katholischen Kirche fordern vehement ein Verbot der Sterbehilfe. Und auch die Evangelische Kirche lehnt Selbsttötung und die Hilfe zum Suizid ab und befürwortet stattdessen den Ausbau der Palliativmedizin. Vor der Parlamentsdebatte ist sind die Lager positioniert wie im Jahr 2001, als es um die Forschung an embryonalen Stammzellen in Deutschland ging.

Was folgte, war eine Debatte, die später als Sternstunde des Bundestags bezeichnet wurde. Vielleicht, so hoffen manche, wird sich das ja wiederholen. Sterben ist immer noch ein Tabuthema, sagt Borasio. Auch deshalb sei es mit so vielen Ängsten verbunden. Es gebe eine konkrete, weit verbreitete Angst vor einem qualvollen Sterbeverlauf und auch die Angst vor dem Ausgeliefertsein an lebensverlängernde medizintechnische Maßnahmen, die – ohne dass man selbst die Chance zum Eingreifen hätte – den Sterbeprozess unnötig in die Länge ziehen. In Deutschland gibt es 10 000 Suizide im Jahr. Die Mehrzahl von ihnen erfolgen durch Affekt, unter Drogen oder bei psychischen Erkrankungen.

„In Ländern mit einer akzeptierten und transparenten Praxis der Suizidhilfe bleibe der Anteil der herbeigeführten Tode an der Gesamtzahl der jährlich Sterbenden gleich oder steigt nur geringfügig an“, sagt die Münsteraner Ethikerin Bettina Schöne-Seifert. „Entgegen früheren Kassandrarufen haben sich gerade in Holland die Melderaten deutlich und die Zahl unzulässiger Fälle ganz massiv verringert“, sagt sie. „Wer anderes behauptet, kennt die genauen Verhältnisse nicht.“

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