Afrikanische Priester in ItalienDraußen auf Mission

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Jean Baptiste Sano stammt aus dem Norden Ruandas und lebt seit 15 Jahren in Monteleone.

Jean Baptiste Sano stammt aus dem Norden Ruandas und lebt seit 15 Jahren in Monteleone.

Rom – Die Kälte kriecht an diesem Dezembertag unerbittlich aus dem Steinfußboden des kleinen Pfarrbüros von Monteleone Sabino. Jean Bapiste Sano ist in eine dicke graue Fleecejacke eingemummelt, den Kragen hat er bis zum schwarzen Vollbart hochgezogen. Er ist daran gewöhnt, ohne Heizung am Schreibtisch zu lesen, in den theologischen Büchern, die sich hinter ihm kreuz und quer im Regal stapeln. „Wenn ich kalte Füße kriege, drehe ich eine Runde auf der Piazza“, sagt er und lächelt hinter seiner Pilotenbrille. Wenn die Kälte unerträglich wird, heizt er einen kleinen Pellet-Ofen an.

Jean Baptiste Sano stammt aus Afrika, aus dem Norden Ruandas. Aber an südeuropäische Winter ist er inzwischen gewöhnt. Seit 15 Jahren lebt er in Monteleone, einem Dorf in den Sabiner Bergen nordöstlich von Rom, wo es ab und an auch schneit. Er ist einer von rund 650 afrikanischen Gemeindepfarrern in Italien. Die meisten kommen zum Theologie-Studium an eine der Päpstlichen Universitäten in Rom und kümmern sich danach um das Seelenheil einer einheimischen Gemeinde. Denn nicht nur im säkularisierten Nordeuropa fehlt der Priesternachwuchs.

Auch im Mutterland des Katholizismus fühlen sich nur noch wenige junge Männer berufen. Das Durchschnittsalter italienischer Pfarrer liegt bei 60 Jahren. Jeder dritte, der ausscheidet, wird nicht ersetzt. Immer häufiger übernehmen Geistliche aus Afrika, Asien oder Lateinamerika die Seelsorge. Sie kommen von dort, wo die Kirche keine Nachwuchsprobleme hat und sind in gewisser Weise auf Mission in umgekehrter Richtung. Allein in den vergangenen fünf Jahren hat sich die Zahl der ausländischen Priester in Italien auf knapp 2500 verdoppelt. Sehr viele stammen aus Indien und vom schwarzen Kontinent. In der italienischen Bischofskonferenz sieht man das zwar als Bereicherung, aber auch mit Sorge – wegen der Probleme, die entstehen können, wenn unterschiedliche Kulturen aufeinandertreffen.

Der heute 50 Jahre alte Jean Baptiste Sano erinnert sich genau an das Datum seiner Ankunft in Europa: Es war der 13. September 1993. Er war von seinem ruandischen Bischof zum Studium nach Rom geschickt worden. Anschließend sollte er zurück nach Afrika. Aber dann brach in Ruanda der Krieg zwischen Hutu und Tutsi aus. Die Kirche bot ihm an, in Italien zu bleiben. Bedingung war, dass er eine Pfarrei in der etwas abgelegenen Provinz Rieti nordöstlich von Rom übernimmt. So trat er 1997 seinen Dienst in dem mehr als 1000 Meter hoch gelegenen Nest Accumuli an, zwei Jahre später wurde er nach Monteleone Sabino versetzt.

Das mittelalterliche Dorf thront wie eine Festung auf einer Bergspitze. Man erreicht es über die Serpentinen einer schmalen Landstraße. Früher lebten die Leute hier ausschließlich von Olivenanbau und Landwirtschaft. Heute arbeiten viele in der Provinzstadt Rieti oder in Rom und haben nebenbei noch ein paar Felder und Tiere.

Jean Baptiste Sano wohnt direkt an der Piazza neben dem Pfarrkirchlein aus dem 16. Jahrhundert. Wie schwer es für ihn anfangs gewesen sein muss in der fremden Welt des italienischen Apennin, kann man nur erahnen. In Afrika lebte er gemeinsam mit anderen Priestern in einer Pfarrei mit 20000 Mitgliedern. In Monteleone hat er 900 Schäfchen, in Accumuli waren es nur 200. Im Pfarrhaus ist er allein, auch kochen muss er selbst. „Es war eine Überraschung für sie und für mich“, sagt der Ruander über seine Ankunft. Einen schwarzen Pfarrer hatten die Leute noch nie gesehen. „Die haben die Augen aufgerissen und besorgt gefragt, ob ich Italienisch spreche“, erinnert er sich. Er spricht die Sprache perfekt. Viele seien enttäuscht gewesen, weil sie einen Italiener wollten.

Aber aus Jean Baptiste Sano wurde dann doch recht schnell Don Giovanni, wie er als Geistlicher im Ort genannt wird. Scheu und Skepsis verwandelten sich in Neugier. „Sie haben mir eine Chance gegeben“, sagt er. Zwei Jahre dauerte es allerdings, bis auch die Skeptischen wieder zur Messe kamen.

Auf dem Weg zur „Bar dei Leoni“ gleich gegenüber vom Pfarrhaus wird Jean Baptiste Sano an diesem Vormittag von einer Gruppe Hausfrauen herzlich mit den üblichen Wangenküsschen begrüßt: „Ciao Don Giovanni!“ Und als er an der Theke der Bar ein Glas heiße Milch bestellt, nimmt ihn ein Mann beiseite und fragt leise: „Hast du nachher kurz Zeit? Ich möchte über etwas reden.“ Alle duzen sich hier, das ist in einer so kleinen Gemeinde normal. Inzwischen gehört der afrikanische Pfarrer ganz selbstverständlich zu Monteleone. Am zweiten Sonntag im Mai, dem Tag der Heiligen Märtyrerin Vittoria, der Schutzheiligen, führt er alljährlich die große Prozession an und ist beim dreitägigen Dorffest dabei. Rassismus habe er nie erlebt, sagt Jean Baptiste Sano. Grenzen der Toleranz gibt es jedoch. Eigentlich liebe er ja farbenfrohe afrikanische Kleidung. „Aber als ich mich einmal so bunt angezogen habe, waren die Leute schockiert.“ Also trägt er nur noch grau und schwarz, wie die Priester in Italien.

Er weiß von anderen afrikanischen Pfarrern, die unter Einsamkeit leiden, sagt Jean Baptiste Sano. Ihm helfe, dass er ein offener und fröhlicher Mensch sei. Außerdem lese er viel. Und mindestens einmal im Monat trifft er sich mit sechs oder sieben afrikanischen Kollegen aus der Gegend.

Einer von denen ist Don Valerio Shango Mutombo. Vor 24 Jahren schon wurde der Mann aus dem kongolesischen Kinshasa Pfarrer von Monte San Giovanni in Sabina, eine Autostunde weiter nördlich. Als er damals von Haus zu Haus ging, um sich vorzustellen, winkte eine Frau schon von weitem ab. „»Nein, hier nicht«, schrie sie mir vom Balkon zu. Sie hielt mich für einen Vucumpra“, erzählt er lachend. Vucumpra, so werden die illegal eingewanderten afrikanischen Straßenhändler genannt – eine Verballhornung von „Willst du kaufen“. „»Jetzt werden die auch schon Pfarrer“, sagten damals einige im Ort«.“

Dabei sieht Don Valerio mit seinem blütenweißen Kollar und der feinen randlosen Brille wirklich nicht danach aus. Er hat es der Frau nicht übel genommen. „Als ihr klar wurde, dass sie den neuen Pfarrer vor sich hat, kniete sie nieder“, erzählt er. „Und ich sagte zu ihr: ,Siehst du, Afrika kommt jetzt nach Italien, um es zu evangelisieren.“

Valerio Shango Mutombo versteht sich ausdrücklich als Missionar. Er hat das Selbstbewusstsein eines Afrikaners, der den säkularisierten Westen wieder auf den richtigen Weg bringen will. Erziehen will er die bäuerlich geprägten Dorfbewohner. „Ich versuche, mich auf das Niveau der Leute hier zu begeben, um sie auf ein höheres Niveau mitnehmen zu können“, sagt er. Sein Bruder unterrichtet an der Pariser Sorbonne, er, der zehn Sprachen spricht, gibt Katechismus-Unterricht in Monte San Giovanni. „Es ist eine Gnade, dass wir einen so gebildeten Mann wie Don Valerio als Pfarrer haben“, sagt die Rentnerin Lavinia, die unentgeltlich als Gemeindehelferin arbeitet. „Er ist ein großer Lehrer und weckt unsere Köpfe auf.“

Und während seine italienischen Vorgänger enge Beziehungen zum jeweiligen Bürgermeister hielten, legt sich Don Valerio mit den Kommunalpolitikern an. Von der Kanzel wettert er gegen die ihre Unsitte, Wählerstimmen gegen Vergünstigungen zu kaufen. Als Direktor des Büros für soziale Fragen und Arbeit der Diözese Rieti kämpft er gegen die Ausbeutung von Migranten und Flüchtlingen, gegen Billigarbeit und Entlassungen. Viele Probleme der katholischen Kirche beträfen ausschließlich die industrialisierten Länder, betont Don Valerio. Dazu gehöre, dass sich immer mehr Menschen vom Glauben abwendeten. Auch die Krise der Familie sei etwas durch und durch Westliches.

Auch Jean Baptiste Sano sagt, einer der größten Unterschiede zwischen Afrika und Europa sei die Rolle der Familie. Wenn es Probleme etwa mit dem Ehepartner gibt, bespreche man das in Afrika mit Verwandten. In Italien seien die Leute aber selbst in den Familien einsam, auch in einem Dorf wie Monteleone. „Man arbeitet, kommt müde nach Hause, redet nicht miteinander. Und statt den Psychologen zu bezahlen, spricht man mit dem Pfarrer.“ Anfangs habe ihn diese unbedingte Offenherzigkeit geängstigt, weil er dachte, er müsse den Leuten Lösungen für ihre Probleme anbieten. Inzwischen weiß er, dass es genügt, einfach zuzuhören.

Jean Baptiste Sano hat vor einigen Jahren die italienische Staatsbürgerschaft angenommen. Er wird wohl nicht nach Ruanda zurückkehren. Don Valerio Shango verweigert diesen Schritt. Zwar hat er persönlich keine schlechten Erfahrungen gemacht hat. Aber in einem Land, in dem Gruppierungen wie die Lega Nord Migranten und Menschen mit anderer Hautfarbe beleidigen, wolle er nicht für immer bleiben, sagt er.

Auf Italiens Pfarrgemeinden kommen laut einer Untersuchung der Agnelli-Stiftung und der Bischofskonferenz schwere Zeiten zu. Das Durchschnittsalter der 33000 Priester im Land liegt bei 60 Jahren, 13 Prozent sind sogar älter als als 80. In Umbrien und in Latium ist bereits jeder zweite Priester Ausländer, in der Toskana jeder dritte. Die meisten kommen aus Osteuropa und Afrika. 68 Prozent aller befragten ausländischen Priester fühlten sich einsam.

Das Bistum Saluzzo in Norditalien reagiert kreativ auf den Priestermangel. Dabei geht es um die in Italien traditionellen Haussegnungen. In einem Modellversuch gibt das Bistum die nötigen Utensilien direkt an die Gläubigen ab – kostenlos. Im Paket sind ein Bild der Heiligen Familie, Gebetstexte und ein Fläschchen Weihwasser.

In Deutschland mangelt es laut Wochenzeitung „Christ & Welt“ nicht nur an Geistlichen, sondern auch an Gläubigen. Das Blatt macht folgende Rechnung auf: „Nur noch 13 Prozent der Katholiken besuchen regelmäßig die Messe – 1950 gingen noch 50 Prozent der Katholiken in die Kirche. Damals kamen statistisch auf einen Priester am Altar 539 Kirchgänger. Heute sind es 219. Die Masse der aktiven Gemeindeglieder schrumpft also schneller als die Anzahl der Geistlichen.“ (ksta)

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