Jürgen Todenhöfer über die AfD„Das ist Volksverdummung“

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  • Jürgen Todenhöfer spricht im Interview über die Anti-Islam-Beschlüsse der AfD, deutsche Muslime und Demokratie.
  • Todenhöfer war Bundestagsabgeordneter der CDU und danach Manager eines Medienkonzerns.
  • 2015 veröffentlichte der Nahostkenner das Buch „Inside IS – 10 Tage im »Islamischen Staat«“.

Herr Todenhöfer, Sie gelten als Verteidiger des Islam. Was sagen Sie zu dem Anti-Islam-Kurs der AfD?

Viele AfD-Leute sind bemerkenswert ignorant. Sie bezweifeln lautstark die Demokratie-Fähigkeit des Islam und der Muslime. Doch hierzu gibt es wissenschaftliche Untersuchungen, die zu ganz anderen Ergebnissen kommen.

Welche Untersuchungen sind das?

Es gibt Studien des angesehenen „European Social Survey“, die alle zwei Jahre durchgeführt  werden. Ein Ergebnis lautet: In Deutschland ist die Zufriedenheit mit der Demokratie bei Muslimen höher als bei Christen. Das ist eine Ohrfeige gegenüber einer Partei, die demagogisch den Eindruck zu erwecken sucht, der Islam passe nicht zu unserem Land, er sei grundgesetzfeindlich. Das Gegenteil ist der Fall. Die überwältigende Mehrheit der Muslime ist wahrscheinlich demokratiefreundlicher als viele AfD-Mitglieder.

Die AfD möchte auch die Minarette und den Ruf des Muezzins verbieten.

Das ist Volksverdummung. Weil es in Deutschland nur drei Städte gibt, Rendsburg, Neumünster und Gladbeck, in denen der Muezzin zum Gebet ruft. Ganze drei Städte! Bei der AfD ist das trotzdem wichtiger Bestandteil eines Parteitags. Und keiner sagt: „Hallo! Es gibt doch nur drei.“ Es hat auch keiner den Mut zu sagen: In muslimischen Ländern gibt es Tausende christliche Kirchen, in denen fröhlich die Glocken läuten. Von Kirchtürmen, die letztlich so etwas wie unsere Minarette sind. Aber das wird von der AfD ausgeblendet. Es passt nicht in ihr Feindbild.

Der Islam zählt nicht zu Deutschland, sagt die AfD. Wie ist es aber mit  Christentum und anderen Religionen, wenn unser Staat  säkular ist? Gehören die dann auch nicht dazu?

Mit ihrer Aussage, der Islam sei mit unserem Grundgesetz nicht vereinbar, stellt sich die AfD in direkten Widerspruch zu unserer Verfassung, die Religionsfreiheit ja ausdrücklich garantiert. Die Aussagen der AfD zum Islam sind schlicht verfassungsfeindlich. Wenn die AfD  gesagt hätte, der Islam gefällt uns nicht, hätte sie das mit Meinungsfreiheit begründen können. Aber mit dem Grundgesetz zu argumentieren, das ist ein Frontalangriff auf Buchstaben und Geist unserer Verfassung. Der Vorsitzende der AfD Meuthen sagt ja noch zusätzlich, »dem Islam wohne als Religion eine Gefahr inne, die andere Religionen so nicht hätten«. Damit will er offenbar sagen, dass Menschen, die entsprechend dem Islam leben, besonders gefährlich seien. Statistiken über die Opfer der westlichen Anti-TerrorKriege und über die Opfer des islamistischen Terrorismus besagen das Gegenteil.

Lesen Sie auf der nächsten Seite Todenhöfers Einschätzung zum muslimischen Frauenbild und warum Muslime in Europa eine Vorlieber für Demokratie haben.

Inwiefern?

George W. Bush hat mit seinem ausdrücklich christlich begründeten »Kreuzzug« gegen den Terror laut der Organisation »Ärzte gegen den Atomkrieg« den Tod von 1,3 Millionen Menschen zu verantworten. Im Irak, in Afghanistan und in Pakistan. Die Mörder von Al-Kaida und die Terroristen des „IS“, die islamistisch argumentieren, haben einschließlich der Terroranschläge vom 11. September 2001 im Westen 3750 Menschen ermordet. Das hindert Herrn Meuthen  nicht daran, zu behaupten, dem Islam wohne eine Gefahr inne, die von anderen Religionen nicht ausginge. Das ist eine totale Verdrehung der Realitäten. Die Wahrheit ist, Bushs mit Lügen begründeter Angriffskrieg gegen den Irak war unchristlich, so wie der Terror von Al-Kaida oder des IS unislamisch ist. 

Das muslimische Frauenbild ist ein starker Kritikpunkt. Es gilt als rückständig und als nicht im Einklang mit einer modernen Gesellschaft stehend.

Das sehe ich ähnlich. Ich sehe die Muslime in der Verantwortung, die Quellen ihrer Religion richtig zu lesen und im Gesamtkontext zu interpretieren. Die Frauen sind das große ungehobene Potenzial der muslimischen Welt. Da gibt es einen erheblichen gesellschaftlichen Nachholbedarf.

Warum haben Muslime in Europa eine Vorliebe für die Demokratie?

Ich glaube, dass viele Menschen, die zugewandert sind, glücklich sind, dass sie in einer Demokratie leben können. Und dass sie demonstrativ ihre Zugehörigkeit zu ihrer neuen Heimat zeigen wollen. Es ist eine tolle Sache, dass es bei deutschen Muslimen diese Demokratieliebe gibt.

Warum sind dennoch viele junge Muslime ansprechbar für Terrorismus?

Sind sie das wirklich? Bei uns gibt es doch viel mehr rechtsradikale Gewalttäter als islamistische Gewalttäter. In Deutschland ist seit der Wiedervereinigung kein einziger Deutscher durch islamistische Terroristen ermordet worden. Aber über 180 Menschen sind durch Rechtsradikale getötet worden. Das wird in der Öffentlichkeit einfach nicht wahrgenommen. Und von der AfD natürlich unterschlagen. Der Islam ist nicht unser Feind. Der wahre Feind steht rechts.

Dass die AfD mit den Menschen, die zum Islam gehören, nun eine ganze Gruppe ausschließt, ist das angesichts der deutschen Vergangenheit nicht zutiefst verunsichernd?

Mich stößt das ab, und es deprimiert mich. Ich habe den Zweiten Weltkrieg noch als Kind miterlebt. Damals waren die Juden das Feindbild. Stellen Sie sich vor, was los wäre, wenn heute einer sagen würde, das Judentum sei mit dem Grundgesetz nicht vereinbar. Wenn jemand sagen würde, dass alle Synagogen, die aus Israel finanziert würden, geschlossen werden müssten. Er würde zu Recht gesellschaftlich geächtet. Die AfD macht es mit einer anderen Bevölkerungs- und Religionsgruppe. Aber das ist dieselbe rassistische Geisteshaltung. Und genauso  undemokratisch und faschistoid.

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