Kölner StudieStand-by-Modus – Warum Jugendliche auf dem Weg ins Leben steckenbleiben

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Ein Jugendlicher sitzt  mit einem Headset vor einem Laptop und spielt ein Online-Computerspiel.

Was hält Jugendliche davon ab, ihr Leben in die Hand zu nehmen?

Der Kölner Psychologe Stephan Grünewald präsentiert die Ergebnisse einer Studie über die „Jugend im Wartestand“.

Viele junge Menschen verharren ohne Ausbildung im Stand-by-Modus: Sie finden keine Wege in Qualifikation oder Arbeit. Laut einer jüngst veröffentlichten Studie der Bertelsmann-Stiftung haben 630.000 Jugendliche unter 25 Jahren weder Ausbildung noch Arbeit, gehen nicht zur Schule und absolvieren auch kein Studium. Aber was sind die Gründe dafür? Und wie lassen sich junge Menschen wieder aus dem Stand-by-Modus bringen?

Eine „rheingold“-Studie hat ergeben, dass die starke Zunahme der Zahl junger Menschen im Wartestand auch äußeren Faktoren geschuldet ist. Vor allem Corona hat die Entwicklungen im Jugendalter massiv behindert: Die Jugendlichen wurden etlicher Selbstwirksamkeits-Erfahrungen beraubt, ihre Tagesstruktur ging verloren, Kontakte wurden reduziert und damit die Möglichkeit, sich mit anderen zu messen. Viele berufsfördernde Maßnahmen in Schulen oder durch Praktika fielen weg. Und oft waren die Eltern mit der Kompensation dieser Ausfälle überfordert.

Die Tiefeninterviews mit jungen Menschen zeigen zudem, dass sowohl Selbstüberschätzung als auch fehlende Selbstwertschätzung den Einstieg in Studium oder Berufsausbildung erschweren können. In diesem Spannungsfeld lassen sich sechs Typen beziehungsweise Muster des Steckenbleibens unterscheiden.

Typus 1: Verharren in der Wohlfühl-Welt

Ein erster Typus verharrt in einer Wohlfühl-Welt. Diese Jugendlichen leben in festen, gesicherten Verhältnissen bei ihren Eltern. Meist haben sie Abitur, verspüren jedoch keinerlei Entwicklungsdruck. Gelegentliches Jobben gibt ihnen das Gefühl finanzieller Unabhängigkeit. Sport und eine feste Tagesstruktur bannen die Gefahr, völlig zu versacken. Reisen, Freizeitaktivitäten und Feiern werden zum Lebenszentrum. Obwohl sie diesen Zustand am liebsten konservieren würden, spüren sie eine wachsende innere Not, sich zu entscheiden und für immer festzulegen. Sie finden jedoch keinen Anfang.

Eltern oder Freunde können diesen jungen Leuten einen Schubs geben und ihnen die Sorge nehmen, dass der erste Schritt eine finale Entscheidung ist. Der Anfang bietet vielmehr die Chance, neue Möglichkeiten zu entdecken.

Typus 2: Self-Made-People

Dem Typus Self-Made-People erscheint eine Ausbildung wie ein Karriere-Absturz und ein finanzielles Desaster, denn der ursprüngliche Nebenjob ist inzwischen zu einer Festanstellung geworden. Diese Jugendlichen verfügen so über ein aktuell ausreichendes Gehalt, das ihnen eine eigene Wohnung oder ein eigenes Auto ermöglicht. Sie fühlen sich daher nicht nur selbstständig, sondern haben auch ein hohes Selbstwirksamkeitserleben, weil sie im Job neue Dinge dazulernen.

Für den Schritt in eine Ausbildung brauchen sie vor allem die Gewissheit, dass die bisherige Leistung wertgeschätzt wird und der Status quo erhalten bleibt oder sogar ein Upgrade erfahren kann.

Typus 3: Überhöhte Selbstwahrnehmung

Der Typus Chef-Einsteiger hat eine überhöhte, meist unrealistische Selbstwahrnehmung. Größen-Fantasien – etwa ein erfolgreicher Youtuber oder Influencer zu werden – verfolgen diese Jugendlichen nur halbherzig oder gar nicht, denn die Realisierung droht hinter den Träumereien her zu hinken. Ausbildungsberufe erscheinen ihnen unattraktiv, denn sie bedeuten, dass man zwar viel arbeiten muss, aber wenig zu sagen hat. Hinter den Chef-Allüren steckt jedoch oft ein latenter Selbstwertmangel.

Daher ist es wichtig, bei diesen Jugendlichen an ihre Stärken, an Hobbys und Interessen anzuknüpfen. Heldengeschichten und Rollenvorbilder können sie ermutigen und aufzeigen, wie das Abenteuer Ausbildung gelingen kann.

Typus 4: Leiden unter mangelnden Abschlüssen

Ein vierter Typus leidet unter schlechten oder fehlenden Abschlüssen. Meist haben diese Jugendlichen wenig Unterstützung von den Eltern erfahren, die oft selbst schon nicht ausgebildet waren. Häufig haben sie nur vage Vorstellungen von einem Traumberuf. Ohne Vorbilder und nur wenig informiert, entwickeln sie lediglich ein geringes Selbstwertgefühl und haben kaum Mut, sich alleine durchzusetzen.

Jugendliche dieses Typs gilt es durch persönliches Coaching zu ermutigen und ihn wertzuschätzen. Sie brauchen zudem Informationen, wie Wege zum Traumberuf oder einer realistischen Alternative aussehen können. Mitunter kann sie das Jobcenter auch in ein bestehendes Programm vermitteln.

Typus 5: Die Schicksalsgeplagten

Der Typus der Schicksalsgeplagten leidet unter ungünstigen familiären Hintergründen, dem Verlust der Heimat oder biografischen Brüchen, die die Weiterentwicklung stören. Diese Jugendlichen erleben sich oft zu früh auf sich allein gestellt, sie leben mitunter in Wohngruppen und ringen um eine eigenverantwortliche Gestaltung ihres Alltags. Die berufliche Entwicklung steht hinten an, da erst einmal andere Geschehnisse aufgeholt und Traumata behandelt werden müssen.

Daher brauchen sie eine therapeutische Lebenshilfe in Form einer nachsichtigen Begleitung und ganzheitlichen Versorgung – ein fürsorgliches An die Hand nehmen unter Berücksichtigung der individuellen Lebenssituation. Diese Begleitung kann durch das Jugendamt, therapeutische Praxen oder auch in Wohngruppen erfolgen.

Typus 6: Die Loser

Der sechste Typus erlebt sich als Loser. Abwertungserfahrungen, Minderwertigkeitsgefühle und eine geringe Frustrationstoleranz führen dazu, dass diese Jugendlichen kaum Eigeninitiative an den Tag legen. Angesichts schlechter Schulabschlüsse und mitunter hilfloser Eltern verkriechen sie sich trotzig und reagieren abweisend auf Hilfsangebote. Einen Rest von Selbstbewusstsein und Tagesstruktur ziehen sie aus ihren Hobbys – zum Beispiel Sport, Gaming, Make-up.

Ein bloßes Drängen zu Ausbildung und Beruf führt bei diesem Typus zur Abwehr. Vielmehr kann Selbstwert aufgebaut werden durch niedrigschwellige Erfolgserlebnisse und Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft (Jugendhäuser oder soziale Einrichtungen). Eine psychosoziale Begleitung und eine gleichzeitige Beratung der Eltern ist oft empfehlenswert, damit diese Jugendlichen etwas aus ihren Stärken machen können.


Zur Studie

Die Studie „Jugend im Stand-by“ wurde durch Sabine Loch und Felix Gering vom „rheingold“-Institut im Auftrag von „Joblinge“ erstellt, einer Initiative, die junge Menschen mit schwierigen Startbedingungen auf ihrem Weg in Ausbildung und Arbeit begleitet. Zu finden ist die komplette Studie hier. (jf)

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