Böse Überraschung beim TierarztWenn der Bandscheibenvorfall des Hundes 5000 Euro kostet

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Ein Rhodesian Ridgeback blickt in die Kamera

Eine dreijährige Rhodesian Ridgeback Hündin wird an einer Tierklinik untersucht.

Während der Pandemie haben sich viele ein Haustier angeschafft. Nun drohen hohe Arztkosten. Die Folge: Tierversicherungen erleben einen Boom. 

Was genau der Auslöser war, wissen Sina und Ron* nicht. Am Sonntagmorgen flitzt ihr Beagle Charlie beim Einsteigen in den Kofferraum plötzlich auf die Aachener Straße in Köln – und wird von einem vorbeifahrenden Auto erfasst. „Ein Alptraum für jeden Hundebesitzer“, sagt Tierärztin Doktor Dominique Tordy, als sie den Fall schildert. Das Tier liegt verletzt auf der Straße und winselt. Immerhin: Charly lebt – aber er muss sofort behandelt werden.

Sina und Ron sind vor ein paar Monaten zusammengezogen und haben jetzt einen Hund adoptiert. Das junge Paar hatte Charly im Tierheim entdeckt und sich spontan entschieden, dem etwas schreckhaften Tier ein zu Hause zu bieten. Mit einem medizinischen Notfall hatten sie nicht gerechnet, da ihr neuer Mitbewohner kerngesund war. Kurz nach dem Unfall treffen sie mit Charly in der Tierklinik ein. Sie haben den Schock kaum verdaut, als sie erneut eine böse Überraschung erleben. Zunächst wird eine Anzahlung verlangt. „Da man im Notfall meist nicht zu seinem Haustierarzt gehen kann, sondern den Notdienst in Anspruch nehmen muss, können die Tiere dort oft erst umfassend versorgt werden, wenn die Bezahlung gesichert ist“, sagt Tierärztin Tordy, die in der Kölner Tierarztpraxis Unna und Holland arbeitet, gegenüber dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. In dem Fall heißt das: Sina muss 1000 Euro überweisen.

Dominique Tordy mit einem Hund vor dem Kölner Dom

Tierärztin Dominique Tordy arbeitet in der Kölner Tierarztpraxis Unna und Holland.

In der Behandlung von Haustieren hat der Fortschritt ebenso Einzug gehalten wie in der Humanmedizin. Wenn schwere Verletzungen oder Erkrankungen diagnostiziert werden, kommen oft Röntgen-, Ultraschallgeräte und Computertomografen zum Einsatz. Das rettet viele Tierleben - die Halter werden allerdings bisweilen von den hohen Behandlungskosten überrascht. Für die CT-Untersuchung des werden je nach Körperteil bei einer Narkose mindestens 600 Euro fällig, für eine Kernspintomographie (MRT) sogar 700 Euro und mehr.

Alles zum Thema Aachener Straße (Köln)

Neue Gebührenordnung seit 2022

Seit dem Herbst 2022 ist in Deutschland eine neue Gebührenordnung für Tierärzte (GOT) in Kraft getreten. Danach können die Veterinäre in komplizierten Fällen den dreifachen, bei Notfalldiensten außerhalb der üblichen Sprechzeiten den vierfachen Satz abrechnen. Für bestimmte Leistungen erhöhten sich die Tierarztkosten um mehr als 200 Prozent. Die durchschnittlichen OP-Kosten liegen bei 708 Euro. Umfassende Behandlungen können aber auf bis zu 5.000 Euro für einen Bandscheibenvorfall bei Hunden ansteigen. Bei Katzen sind oft die Zähne ein Problem. Spezielles Zahn-Röntgen in Narkose und die Extraktion erkrankter Zähne können zusammen bis zu 1500 Euro kosten.

Unfälle im Straßenverkehr gehören zu den dramatischsten Ursachen, die bei Hunden zu Operationen führen und plötzlich hohe Behandlungskosten verursachen. „Durch den Zusammenstoß mit dem Auto hatte Charly einen Milzriss und der Oberschenkel war gebrochen“, erinnert sich Tierärztin Tordy, die nach der Entlassung die Nachbehandlung übernahm. Die Rechnung der Klinik belief sich am Ende auf rund 3.300 Euro.

Eine unschöne Erfahrung machte auch Katzenbesitzerin Hanna mit ihrem neuen Mitbewohner. Wie viele Menschen glaubte sie, Stubentiger seien von Natur aus Balance-Künstler. So war die Kölnerin unbesorgt, als Kater Banjo auf den Blumenkästen ihres Balkons einem Schmetterling hinterherjagte. Das Fangmanöver missglückte jedoch. Banjo verlor das Gleichgewicht - und stürzte zwei Etagen in die Tiefe auf einen Zaun. „Äußerlich wirkte das Tier nach dem Aufprall unversehrt, aber um innere Verletzungen abzuklären, waren Röntgenaufnahmen und eine Ultraschalluntersuchung nötig“, so Tierärztin Tordy. Kosten: Rund 350 Euro. 

Früher gab es in der Regel nur einen Tierarzt, den man um Hilfe bitten konnte
Sven Isenberg, Tierversicherer

Anders als Unfallverletzungen sind Krankheiten nicht immer leicht zu diagnostizieren. Oft führt ein verändertes Fressverhalten, oder Erbrechen und Durchfall bei den Haltern zu Besorgnis. Oft sind die Gründe harmlos, aber manchmal steckt Schlimmeres dahinter. Eine mögliche Ursache kann die Infektionskrankheit Leptospirose sein. „Oft kommen die Bakterien in den Körper, wenn Hunde Pfützenwasser trinken“, warnt Dominique Tordy. Bei schweren Verläufen könne ein stationärer Klinikaufenthalt mit intensivmedizinischer Betreuung notwendig werden. Dann ist eine vierstellige Rechnung garantiert.

Mit der Corona-Pandemie hat die Zahl der Haustiere in Deutschland zugenommen. In Deutschland gibt es 16 Millionen Katzen und zehn Millionen Hunde. Dank der besseren medizinischen Versorgung werden die Haustiere immer älter. Was sich bei Menschen bewährt hat, soll auch den Tieren zugutekommen. So hat Tordy das Portal „Pet Royalz“ entwickelt, dass die Erstinformation bei Notfällen verbessern soll: „Die Hunde tragen eine digitale Krankenkarte am Halsband. So ist die Versorgung gesichert, auch wenn Tier und Halter aus irgendeinem Grund getrennt werden.“

Sven Isenberg, Geschäftsführer der Tierversicherung "Smart Paws"

Sven Isenberg, Geschäftsführer der Tierversicherung "Smart Paws"

Einst war es üblich, bei Krankheiten oder Verletzungen von Haustieren einfach den nächstgelegenen Tierarzt aufzusuchen. Doch heute hat sich dies geändert, erklärt Sven Isenberg, Geschäftsführer der Tierversicherung Smart Paws, im Gespräch mit unserer Zeitung. „Früher gab es in der Regel nur einen Tierarzt, den man um Hilfe bitten konnte", sagt Isenberg. „Heutzutage werden Meinungen hinterfragt und mehrere Tierärzte konsultiert. Viele Haustiere werden nicht mehr nur als Mitbewohner betrachtet, sondern als echte Familienmitglieder."

Ein Wandel, der den Tierversicherungen in den letzten Jahren gute Geschäfte beschert hat. Laut einer Sprecherin konnte Marktführer Agila seine Prämieneinnahmen zwischen 2020 und 2023 von 79 Millionen Euro auf 140 Millionen Euro steigern, während Smart Paws sein Geschäft seit 2022 verdoppelt hat. 

Trotz des Wachstums sind jedoch immer noch weniger als vier Prozent der Haustiere in Deutschland versichert. Dies hat zur Folge, dass viele Tiere oft nicht die bestmögliche medizinische Versorgung erhalten, da sich ihre Besitzer dies nicht leisten können. Versicherungsexperte Isenberg betont: „Die meisten Tierbesitzer haben keine Vorstellung davon, wie hoch die Kosten einer Behandlung sein können.“

Tierheime vor Überlastung schützen

Das stellt auch in NRW regelmäßig Senioren mit geringen Altersbezügen vor Probleme, für die das Haustier oft ein zentraler Bezugspunkt sind. Dietmar Brockes, Sprecher für Verbraucherschutz der FDP-Landtagsfraktion, rät Tierhaltern dazu, die Optionen individuell zu prüfen. „Eine Tierkrankenversicherung kann durchaus sinnvoll sein, um zukünftige Kostenrisiken bei sehr aufwändigen Tierarztbehandlungen zu vermeiden. Vor Abschluss einer solchen Versicherung sollten Tierhalter jedoch genau überlegen, welche Risiken sie eigentlich versichern möchten“, so der Liberale auf Anfrage unserer Zeitung. Wer die Vollversicherung nicht brauche, fahre mit der Absicherung von Operationskosten meist besser.

René Schneider, Sprecher der SPD, appelliert an die Vernunft der Tierfreunde. „Jeder sollte sich genau überlegen, ob er auch die finanzielle Verantwortung für ein Tier tragen kann. Denn bereits ohne Tierarztkosten bezahlt man laut Schätzungen beispielsweise 20.000 Euro über die Lebenszeit eines Hundes. Das ist viel Geld und dafür müssen wir das Bewusstsein schärfen“, so Schneider. Damit würden auch die Tierheime vor noch dramatischeren Kapazitätsengpässen geschützt, ist sich der SPD-Politier sicher: „Denn viele unüberlegt gekaufte Hunde und Katzen landen genau dort.“


Hunderassen, die besonders häufig erkranken und somit besonders hohe Tierarztkosten verursachen: Französische Bulldogge, Labrador Retriever, Chihuahua, Golden Retriever, Dackel, Australian Shepherd, Old-Englisch-Bulldog, Mops, Englische Bulldogge, Havaneser.


NRW-Verbraucherschutzministerin Silke Gorißen empfiehlt Tierfreunden, sich vor der Anschaffung eines Haustiers über die Folgekosten bewusst zu werden. „Wer sich ein Tier anschafft, sollte sich darüber im Klaren sein, Verantwortung auch im Krankheitsfall zu tragen. Dazu gehört, Tierarztkosten einkalkulieren zu müssen“, sagte die CDU-Politikerin dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Eine unabhängige Orientierung zur Frage, ob sich eine Tierkrankenversicherung rechne, würden Haustierbesitzer zum Beispiel bei der Verbraucherzentrale NRW erhalten.

*Namen geändert

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