Zwei Jahre nach der Flut dauert die seelische Belastung an„Wenn es regnet, kommt die Angst zurück"

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Dieses Foto wurde zum Symbol der Tragödie: Die Kiesgrube in Erftstadt-Blessem stürzte 2021 unter dem Druck der Wassermassen ein.

Dieses Foto wurde zum Symbol der Tragödie: Die Kiesgrube in Erftstadt-Blessem stürzte 2021 unter dem Druck der Wassermassen ein.

Die Schäden der Flut vom Sommer 2021 sind weitgehend beseitigt, die psychische Belastung der Opfer bleibt. Dennoch steht die Weiterfinanzierung von Behandlungsangeboten auf der Kippe.

„Immer, wenn es nachts anfängt zu regnen, kommt die Angst zurück. Ich liege dann wach, und wenn ich doch mal einnicke, kommt der Albtraum aus der Flutnacht zurück“, sagt Franz Schockert. Der 72-Jährige lebt mit seiner Frau Heike in der Fußgängerzone des Eifelörtchens Gemünd, 100 Meter vom Ufer der Urft entfernt. „Als das Wasser wie aus dem Nichts anstieg, habe ich vom Fenster aus gesehen, dass ein Körper in unsere Einfahrt gespült wurde“, berichtet der ehemalige Uhrmacher im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. „Da ist mir ein Schock in die Glieder gefahren - ich dachte, das sei eine Leiche.“

Die Schäden der Sommer-Flut im Juli 2021 sind auch in Gemünd weitgehend behoben, aber die Bilder aus der Nacht verfolgen Franz Schockert bis heute. „Zum Glück hat sich herausgestellt, dass es sich bei dem Körper nur um eine Schaufensterpuppe handelte“, erzählt er. Die seelischen Belastungen durch die Erlebnisse in der Flutnacht wögen dennoch schwer. „Innerhalb von kurzer Zeit stand das Erdgeschoss unter Wasser.“ Der Laden - sein Lebenswerk - war zerstört. „Sowas wird man ja nicht einfach los wie einen Schnupfen. Das kann Jahre dauern“, so der Senior.

Förderung auf zwei Jahre begrenzt

Experten schätzen, dass rund 20 bis 30 Prozent der vom Hochwasser direkt betroffenen Menschen ernsthaft psychisch erkrankt sind. Eine Erhebung für den Kreis Euskirchen geht von 5000 bis 8000 Menschen mit seelischer Belastung aus. Im Jahr 2022 hatte die Landesregierung Mittel bereitgestellt, um das Beratungsangebot zu erweitern. Allerdings wurde die Förderung auf zwei Jahre begrenzt.

Alles zum Thema Karl-Josef Laumann

Die SPD im Düsseldorfer Landtag kritisiert, dass die Hilfen im nächsten Jahr auslaufen sollen. „Die Landesregierung darf sich bei der Finanzierung der dringen benötigten Unterstützung keinen schlanken Fuß machen“, sagt Vize-Fraktionschefin Lisa Kristin Kapteinat. Die Folgen für die Angehörigen, die Überlebenden und die Retter würden bis heute andauern. „Hier sind langfristige Strategien gefragt, ein Übergehen zur Tagesordnung darf es da nicht geben. Die psychotherapeutische Versorgung in den Flutgebieten muss deshalb dauerhafter etabliert werden“, so Kapteinat.

In einem Plenarantrag fordert die SPD jetzt eine Entfristung der Mittel und eine Studie, die den Bedarf an psychologischer Betreuung in den Flutgebieten ermitteln soll.  Die schwarz-grüne Landesregierung wird aufgefordert, gemeinsam mit den Krankenkassen und der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein dauerhaft zusätzliche psychotherapeutische Therapieplätze in den betroffenen Gebieten zu schaffen. „Das sind wir den Menschen vor Ort schuldig", sagt Kapteinat.

Schlafstörungen und Depressionen

Bei dem Hochwasser am 14. und 15. Juli 2021 waren in NRW 49 Menschen ums Leben gekommen. Die Versicherungswirtschaft schätzt die Schadenhöhe auf 5,5 Milliarden Euro. Viele Opfer verloren ihren kompletten Hausrat, Familienfotos und Erinnerungsgegenstände. Arndt Klocke, Sprecher für mentale Gesundheit in der Fraktion der Grünen, wirbt für einen Ausbau der Hilfsangebote. „Die psychosoziale Nachsorge bei Menschen mit Traumata nach Krisenereignissen und Naturkatastrophen wie der Flut im Sommer vor zwei Jahren sind wichtige Aufgaben in der medizinischen Versorgung“, sagte der Landtagsabgeordnete aus Köln unserer Zeitung. „Diese Bedarfe kommen zu der grundsätzlichen langjährigen Unterversorgung an Therapie- und Klinikplätzen im psychiatrischen Sektor hinzu”, so Klocke.

Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten behandeln bei den Flutopfern vor allem Panikstörungen, Angsterkrankungen, Depressionen und Schlafstörungen. Setzt die Behandlung zu spät ein, können die Belastungen chronisch werden. Zum Teil wurden Opfer berufsunfähig oder gingen in Frühberentung.

Das NRW Gesundheitsministerium deutete auf Anfrage Kompromissbereitschaft an. „Damit begonnene Therapien beendet werden können und weiteren Menschen ein Angebot gemacht" werden könne, sei man „aktuell in Gesprächen“ mit den beteiligten Akteuren über „eine mögliche Verlängerung“ der Hilfsangebote, sagte ein Sprecher von NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) unserer Zeitung. Diskutiert werde über eine Anschlussfinanzierung „um weitere zwei Jahre“. 

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