Rechtsextremismus-Experte Fabian Virchow„Aus Straßengewalt kann Terrorismus wachsen“

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Demo Nazi

eilnehmer der Demonstration des Vereins "Gemeinsam-Stark Deutschland" ziehen mit Fahnen durch Magdeburg. (Symbolbild)

Berlin – Im sächsischen Freital wurden bislang acht Neonazis festgenommen – wegen des Verdachts, in einer terroristischen Vereinigung zu sein. Drei Sprengstoffanschläge sollen sie bereits begangen, weitere geplant haben. Für den Düsseldorfer Politikprofessor und Experte für Rechtsterrorismus, Fabian Virchow, kommt die Aufdeckung nicht überraschend. Politik und Behörden müssten künftig umdenken, sagt er im Interview.

F: Professor Virchow, musste man nach dem NSU und den vielen Anschlägen auf Flüchtlingsheime mit einer solchen neuen Terrorzelle rechnen?

Im Kern ist es keine Überraschung. Anfang des Jahres sind bereits führende Mitglieder der neonazistischen „Old School Society“ von der Bundesanwaltschaft angeklagt worden, die ebenfalls Anschläge auf Moscheen und Flüchtlingsheime geplant haben sollen. Die Freital-Gruppe ist also nicht der erste Fall seit Aufdeckung des NSU.

Zuletzt hieß es aber vom Bundesinnenministerium, die meisten ermittelten Täter hinter Anschlägen auf Asylheime hatten vorher keinen Kontakt zur Neonazi-Szene. 

Es gibt beides. Es sind Personen wegen solcher Anschläge verurteilt worden, die zuvor nichts mit rechten Strukturen zu tun hatten – jedenfalls nicht erkennbar. Das sind Leute, die sich im Licht der Flüchtlingsdebatte selbst ermächtigen und ein Heim  ihrer Nachbarschaft verhindern wollen. Aber ein Großteil der Täter kommt eben auch aus dem breiten, politisch und oft auch in klandestiner Tätigkeit erfahrenen neonazistischen Milieu. Wenn sich die Anklage bestätigt, war das auch bei der Gruppe Freital der Fall.

Finden sich im letzteren Fall ein paar Einzeltäter zusammen – oder gibt es in der Regel größere Netzwerke?

Das muss man sich nicht besonders spektakulär vorstellen. Da kennen sich Leute aus politischen Zusammenhängen, von Demos oder weil sie gemeinsam zu Neonazi-Konzerten gefahren sind. Im Gespräch über die aktuelle Lage und darüber, was aus neonazistischer Sicht zu tun ist, hecken sie dann solche Pläne aus, fahren über die nahe Grenze nach Tschechien oder Polen und kaufen sich diese Sprengmittel, die dort ja leicht zu beschaffen sind.

Besteht also keine klare Trennung zwischen Schlägertrupps aus der Kameradschaftsszene, die nach Demos Asylheime anzünden, und solchen Terrorzellen, die ihre Taten so ideologisch sehen wie einst die RAF?

Es ist ein Kontinuum. An einem Ende stehen  Täter, die etwa den 'Ausländer' attackieren, dem sie auf der Straße begegnen.  Am anderen Ende schließen sich Leute gezielt zusammen und halten sich danach aus legalen Neonazi-Aktivitäten heraus, um Polizei und Verfassungsschutz nicht aufzufallen. Aber dazwischen gibt es jede erdenkliche Mischung. Also können aus Leuten, die auf der Straße gewalttätig werden, aber in anderen Zusammenhängen geplant vorgehen, auch Terrorzellen erwachsen: Man verabredet sich zur Arbeitsteilung, bestimmt gemeinsam Ziele ... Ob es auch in Freital so war, muss die Anklage nachweisen, um eine terroristische Vereinigung zu belegen. Die Beschaffung von Sprengstoff in dieser Menge ist aber ein starkes Indiz.

Verbindungen zu der NPD

Die Terrorzellen gehen also aus den Schlägertrupps hervor, die oft enge Kontakte zur NPD pflegen. Gibt es da Duldung oder gar Kooperation?

Nein, nicht im Sinne von Absprachen oder gemeinsamer Planungen. Dass es am Ende im Gesamtbild so wirkt, liegt an der gemeinsamen Ideologie und der darauf basierenden Interpretation – die sich gerade im  letzten Jahr durch die große Flüchtlingszahl in Deutschland zugespitzt und ausgebreitet hat. Darüber besteht in dem Milieu die Vorstellung: „Wenn wir jetzt nichts tun, geht es mit dem deutschen Volk zu Ende.“ Denn der Blick auf Einwanderung und die Geflüchteten ist ein rassistischer: Wenn die hier sind, gibt es schleichende Übernahme oder 'Rassenmischung', und dann ist der Kern des deutschen Volkes nicht mehr zu retten – als müsse man handeln.

Und dazu gehört für die gesamte rechtsextreme Szene auch Gewalt?

Nicht unbedingt, sie selbst auzuüben. Aber diese apokalyptische Sicht auf Zuwanderung teilen viele, und unter denen gibt es einige wenige, die bereit zu solchen Gewalttaten sind – und einen weit größeren Anteil, der damit sympathisiert. Um solche Täter herum besteht ein sympathisierendes Umfeld, aus dem bei Gelegenheit Einzelne angesprochen und hereingezogen werden, oder aus dem Unterstützung kommt. Das hat sich ja bereits beim NSU so gezeigt.

Ist also die gewaltbereite Szene in den Regionen am gefährlichsten, wo die Sympathisantenszene groß ist?

In der Bereitschaft zur Gewalt gibt es keine großen regionalen Unterschiede. Bei dichten neonazistischen Strukturen, sticht aber gerade Sachsen durchaus heraus. Dort gibt es Vorläuferstrukturen für ein Milieu, das solche Anschläge trägt, etwa die „Skinheads Sächsische Schweiz“. Die wurden auch wegen ihrer Gewalttätigkeit und entsprechender Planung verboten. In diesem Maß gibt es das in großen Flächenländern wie etwa Nordrhein-Westfalen nicht. Aber auch dort gibt es gewaltbereite Strukturen, denen solche Taten zuzutrauen sind.

Sie haben darüber geschrieben, dass Rechtsterrorismus in der alten Bundesrepublik oft kleingeredet wurde. Wie ist das heute?

Gerade in der Politik wird im Westen wie im Osten oft noch unterschätzt, dass Neonazi-Strukturen mit solchen Gewaltakten nicht mehr völlig isoliert sind. Sie stoßen auf immer größere Sympathie oder zumindest ein gewisses Verständnis in den Teilen der Bevölkerung, die nicht unmittelbar mit Neonazis zu tun haben. Das wirft die Frage auf, wie solche Milieus im Sinne der Gefahrenabwehr in den Blick genommen werden können, aus denen solche Anschlagspläne hervorgehen können. Die Kluft  zwischen langjährigen Nazis und Unauffälligen droht sich aufzulösen.

Zur Person

Fabian Virchow ist Soziologe und Politikwissenschaftler. Er forscht seit Jahren über Rechtsradikalismus und Gewalt. Er war  Sachverständiger vor Gericht sowie die Politik und ist Autor zahlreicher Bücher zum Thema.

Er leitet heute den Forschungsschwerpunkt Rechtsextremismus an der Fachhochschule Düsseldorf. Er promovierte an der FU Berlin und forschte und lehrte unter anderem in Kiel, Lüneburg, Köln, Salzburg und Marburg.

Die „Gruppe Freital“, die am Dienstag festgenommen wurde, sei gesellschaftlich nicht mehr so isoliert ist wie frühere Rechtsterroristen, warnt Virchow.

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