Schleyer-EntführungBundespräsident Steinmeier gedenkt in Köln der RAF-Opfer

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Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier legte am Mahnmal und am Gedenkkreuz an der Friedrich-Schmidt-Straße gegenüber vom früheren Tatort der Entführung einen Kranz nieder.

Köln – Wo auf den Tag genau vor 40 Jahren 119 Schüsse durch den Stadtwald peitschten, herrscht an diesem Dienstagnachmittag bedrückende Stille. Es ist 15.15 Uhr, als die Kolonne von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vom Militärring auf die gesperrte Friedrich-Schmidt-Straße einbiegt. Die letzten Meter bis zum Mahnmal und zum Gedenkkreuz legen Steinmeier, NRW-Staatssekretär Jürgen Mathies und Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker zu Fuß zurück.

Ihnen voran gehen Angehörige der Opfer des RAF-Terrors, unter ihnen Hanns-Eberhard Schleyer, der Sohn des 1977 ermordeten Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer. Niemand spricht ein Wort. Auf den Balkonen schauen Anwohner zu, etwa 100 Menschen stehen schweigend hinter der Absperrung, manche filmen mit ihrem Handy.

Hohe Sicherheitsstufe in Braunsfeld

Hier, an der Einmündung zur Vincenz-Statz-Straße, haben vier Terroristen der Rote Armee Fraktion (RAF) am 5. September 1977 Hanns Martin Schleyer entführt. Bei dem Angriff erschossen sie seinen Fahrer sowie seine drei Leibwächter von der Polizei. „Die, die hier waren, um Leben zu schützen, haben ihr Leben verloren“, sagt Steinmeier. „Was hier geschehen ist, ist nicht Geschichte – nicht für die Angehörigen der Opfer und nicht für uns. Darum gedenken wir heute gemeinsam.“

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Seit dem frühen Morgen herrscht eine hohe Sicherheitsstufe in Braunsfeld. Entlang der Friedrich-Schmidt-Straße gilt ein Parkverbot, um 13 Uhr wird die Straße komplett gesperrt. Polizisten mit Sprengstoffspürhunden haben die Gegend nach verdächtigen Gegenständen abgesucht.

Es gibt immer noch offene Fragen

Bevor der Bundespräsident sich am Gedenkkreuz aufstellt, treten die Angehörigen vor, zuerst Ute T., die Tochter des erschossenen Schleyer-Chauffeurs Heinz Marcisz. Sie wird von der Schwester eines der erschossenen Leibwächters gestützt, einer Nonne. Als sie auf das verblichene Schwarz-Weiß-Foto ihres Vaters am Gedenkkreuz blickt, schießen Ute T. die Tränen in die Augen.

„Die Anschläge der RAF sind der Inbegriff für ideologische Verblendung, Zynismus und menschenverachtende Gewalt“, sagt Steinmeier später vor Journalisten. Noch immer gebe es offene Fragen, weil die Täter bis heute schwiegen. „Der RAF-Terror hat den Staat ins Wanken gebracht“, sagt Steinmeier, „aber er ist nicht gekippt, diese Kraft brauchen wir auch heute wieder.“ Er verbinde das Gedenken mit einer Botschaft „an all diejenigen, die unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung angreifen. Wir wissen, warum wir sie wollen, und wir wissen, warum wir sie verteidigen.“

Ehemalige Sekretärin legt Rosen nieder

Unter den Zuschauern ist auch Sigrid Hoerter, Schleyers ehemalige Sekretärin. Sie hat Rosen mitgebracht, die sie am Mahnmal niederlegt. Dann umarmt sie Hanns-Eberhard Schleyer, den Sohn ihres alten Chefs.  Ein paar Meter weiter hinten beobachtet Bruno Schneider, pensionierter Polizist aus Stuttgart, das Geschehen. Er ist am Morgen mit ein paar Kollegen mit dem Zug angereist. Schneider war mit Reinhold Brändle befreundet, dem ältesten der drei erschossenen Leibwächter. Er musste Stunden nach dem Mord Brändles Leiche in der Kölner Rechtsmedizin identifizieren.

„Reinhold war erst vier oder fünf Wochen beim Personenschutz“, erzählt Schneider. „Er war mit Leib und Seele dabei. Ausgerechnet an jenem Tag war er für einen Kollegen eingesprungen, der nicht konnte.“ Bis heute fragt Schneider sich, warum Brändle und seine Kollegen Schleyer durch die Vincenz-Statz-Straße zu dessen Wohnung in der Raschdorffstraße bringen wollten. Die Raschdorffstraße war eine Einbahnstraße. „Aber bei der herrschenden Gefahrenlage hätten sie doch einfach die paar Meter entgegen der Fahrtrichtung fahren können.“ Dann, so glaubt Schneider, „wäre das vielleicht alles nicht passiert“.

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