Straftäter pro 100.000 Einwohner„Herr Bliesener, sind Migranten krimineller als andere?“

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Einwanderer werden von vielen Einheimischen oft argwöhnisch wahrgenommen. Da guckt man mit weniger Wohlwollen hin.

Einwanderer werden von vielen Einheimischen oft argwöhnisch wahrgenommen. Da guckt man mit weniger Wohlwollen hin.

Berlin – Migranten sind auch nicht krimineller als Deutsche, nur anders, sagt Thomas Bliesener, Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen. Mit ihm sprach Markus Decker.

Herr Bliesener, sind Migranten krimineller als andere?

Bliesener: Nein. Das Problem ist allerdings, dass wir Kriminalität immer relativ messen, also: Wie viele Tatverdächtige sind es pro 100.000 Einwohner. Das ist die Tatverdächtigen-Belastungsziffer, die wir üblicherweise verwenden. Die können wir bei Ausländern nicht exakt bestimmen, weil wir nicht genau wissen, wie viele Ausländer da sind. Denn dazu zählen ja auch Touristen, Durchreisende, Stationierungskräfte, Studierende und Auszubildende. Das macht den Vergleich schwierig.

Aber es gibt es doch einschlägige Statistiken. Was besagen die?

Bliesener: Die besagen, dass Migranten nicht gravierend auffälliger sind als einheimische Deutsche, geringfügig jedoch schon. Dabei muss man allerdings berücksichtigen, dass sie sich in ihrer Sozialstruktur und in ihrer demografischen Struktur von einheimischen Deutschen unterscheiden. Migranten sind jünger und auch eher männlich. Und wir wissen, dass gerade junge Männer die Hauptgruppe bei den Delinquenten sind, auch unter Deutschen. Wenn Straftaten begangen werden, sind es mit großer Wahrscheinlichkeit junge Menschen. Und wenn Gewaltstraftaten begangen werden, sind es mit großer Wahrscheinlichkeit männliche junge Menschen.

Hinzu kommt, dass Migranten häufig in einer sozial schwächeren Position sind.

Bliesener: Ja, das kommt hinzu, wobei wir bisher kaum Zusammenhänge gefunden haben zwischen Armut und Kriminalität. Das heißt, die Ansprüche bei Ausländern sind gar nicht so hoch. Sie haben natürlich materielle Ziele wie deutsche Jugendliche auch. Doch die Ansprüche sind geringer, so dass der Druck gar nicht so groß ist, diese Ziele durch kriminelle Handlungen zu erreichen.

Sie sagen, die Kriminalität unter Migranten sei geringfügig höher: Was heißt das genau?

Bliesener: Der Anteil liegt um ein oder zwei Prozentpunkte höher. Aber das ist eben darauf zurückzuführen, dass es mehr junge Männer gibt. Wenn man das rausrechnet, sind die Werte identisch.

Nun erklären viele Bürger: Uns interessieren die absoluten Zahlen. Also egal, ob es mehr junge Männer sind – es sind eben Ausländer. Was sagen Sie denen?

Bliesener: Denen sage ich, dass die absolute Zahl für die einzelne Person überhaupt nicht relevant ist, sondern die relative Zahl. Das heißt: Wenn ich pro Tag mit 100 Leuten zu tun habe, habe ich unter den 100, die mir begegnen, nicht mehr Straftäter als sonst.

Gibt es Häufungen bei bestimmten Delikten?

Bliesener: Ja. Flüchtlinge zum Beispiel fallen eher bei Laden- und Taschendiebstählen auf. Wo Migranten auch stärker vertreten sind, ist im Drogenmilieu oder bei KfZ-Diebstählen und -handel. Bei Flüchtlingen kommen noch die Vergehen gegen aufenthaltsrechtliche Bestimmungen hinzu, die ein Deutscher gar nicht begehen kann.

Wie sieht es bei sexueller Gewalt wie überhaupt bei Gewaltdelikten aus?

Bliesener: Da gibt es im polizeilich bekannten Hellfeld keine Häufungen unter Migranten. Das hat aber auch damit zu tun, dass sie Gewalttaten eher untereinander begehen und die Anzeigebereitschaft da nicht so hoch ist wie bei Deutschen. Deutsche prügeln sich auf einem Volksfest auch eher untereinander.

Kritiker würden jetzt sagen: Da haben wir sie, die Parallelgesellschaft.

Bliesener: Das hat mit Parallelgesellschaften wenig zu tun, eher mit den Kontakten, die man vorwiegend hat. Die Beschränkung von Prügeleien innerhalb der eigenen Gruppe hat ja nicht zur Folge, dass keine Kontakte nach außen stattfinden.

Gibt es Unterschiede zwischen Zuwanderern der ersten, der zweiten und der dritten Generation?

Bliesener: Ja. Die erste Generation war bisher im Allgemeinen sehr gut angepasst. Sie hat sogar deutlich weniger Kriminalität begangen als die einheimische Bevölkerung. Die nachwachsenden Generationen haben sich dann den hier Geborenen angeglichen.

Inwieweit ist kriminelles Verhalten von Migranten durch ihre kulturellen Prägungen bestimmt?

Bliesener: Dass man nicht klaut und vergewaltigt, ist als Gebot letztlich in allen Kulturen verankert.

Die Vorstellung hier in Deutschland ist, dass Gewalt in islamischen Ländern zum legitimen Alltag gehört.

Bliesener: Bei Gewalt im öffentlichen Raum, wenn also ein Mann eine x-beliebige andere Frau angreift, wird das in der Regel sehr stark geahndet, allein schon durch den Clan, der hinter der Frau steht. Bei Gewalt in der Ehe ist das anders. Da haben wir sicherlich unterschiedliche Sichtweisen. Das wird in vielen Herkunftsländern nicht geahndet. Allerdings ist Vergewaltigung in der Ehe auch bei uns noch nicht so lange strafbar. Da müssen wir uns nicht zu sehr erheben.

Sie sagten, im öffentlichen Raum sei sexuelle Gewalt in den Herkunftsländern verpönt. Aber da haben wir etwa vom Tahrir-Platz in Kairo mit massenhaften sexuellen Übergriffen etwas ganz anderes gehört.

Bliesener: Das ist sicherlich ein Verhalten, das sich in den nordafrikanischen Ländern entwickelt hat, auch als Gruppenverhalten. Dem müssen wir entgegentreten. Aber ich warne davor, so zu tun, als wäre uns das völlig fremd. Wenn eine Bedienung auf dem Oktoberfest beide Arme voller Bierkrüge hat, dann wird die auch angelangt – ohne dass ich beides jetzt gleichsetzen möchte. Das Erleben der Frauen zu Silvester war sicherlich weit bedrohlicher und erniedrigender.

Ihre Grundbotschaft lautet, dass Migranten im Kern nicht krimineller sind als Deutsche. Wie begegnen Sie der Tatsache, dass das mehr denn je anders wahrgenommen wird?

Bliesener: Migranten werden eben als Fremde und damit oft argwöhnisch wahrgenommen. Da guckt man mit weniger Wohlwollen hin. Informationen, die diesen Eindruck bestärken, werden bereitwilliger aufgenommen. Hinzu tritt der Eindruck, Polizei und Justiz hätten nicht mit offenen Karten gespielt. Das wiederum führt zu noch mehr Misstrauen. Politische Instrumentalisierungen tun ein Übriges – bis hin zur Instrumentalisierung von Delikten, die schlichtweg erfunden werden.

Also sind nicht Flüchtlinge und andere Migranten das Problem, sondern die Wahrnehmung?

Bliesener: Es ist nicht so, dass allein Heilige zu uns kommen. Wir müssen Ross und Reiter nennen. Zugleich müssen wir aber sachlich und wahrhaftig bleiben, statt Gerüchten aufzusitzen.

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