PorträtReiten und rechnen nach Lehrplan

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Nina Beljan in der Sattelkammer von Gut Bärbroich: Nach ihrer erfolgreich absolvierten Ausbildung zur Pferdewirtin „Fachrichtung Zucht und Haltung“ schließt die 22-Jährige dort jetzt noch die „Fachrichtung Reiten“ an. (Bild: RN)

Nina Beljan in der Sattelkammer von Gut Bärbroich: Nach ihrer erfolgreich absolvierten Ausbildung zur Pferdewirtin „Fachrichtung Zucht und Haltung“ schließt die 22-Jährige dort jetzt noch die „Fachrichtung Reiten“ an. (Bild: RN)

Bergisch Gladbach – Es ist noch dunkel, wenn sich Nina Beljan von ihrem Heimatort Witzhelden in Richtung Bergisch Gladbach aufmacht. Um acht Uhr beginnt ihr Arbeitstag auf Gut Bärbroich und er geht bis abends um sechs. Dazu jeden halben Samstag und jedes dritte Wochenende komplett. Nina Beljan ist Pferdewirtin, und zwar die beste des Jahrgangs 2010 in Nordrhein-Westfalen. Dafür wurde sie nun von der Landwirtschaftskammer geehrt und mit der Georg-Graf-von-Lehndorff-Plakette ausgezeichnet.

Am Tag, an dem wir Nina Beljan (22) besuchen, regnet es Bindfäden, die jedoch nichts an ihrem Arbeitsablauf zu ändern vermögen. Um 11 Uhr morgens hat sie bereits die rund 60 Pferde im Stall von Elmar und Christiane Pollmann-Schweckhorst mit Kraftfutter versorgt, einige zum Auslauf auf den Platz, andere in die Führanlage gebracht. Zwei weitere hat sie geritten. Nun ist „Cenaj“ an der Reihe. Putzen, satteln, trensen und durch die Bindfäden zur Reithalle. Der knapp vierjährige Hengst ist für die Pferdewirtin etwas Besonderes. Nicht nur, weil sein Vater Dritter der Deutschen Meisterschaften war, sondern weil sie „Cenaj“ zugeritten hat. „Alles, was er kann, kann er von mir“, sagt sie. „Es ist einfach schön zu sehen, wie unglaublich schnell Pferde lernen, und zu merken, dass sie einem vertrauen.“

Elmar Pollmann-Schweckhorst schaut ihr über die Hallenbande hinweg zu. „Stellen und biegen! Bleib dran!“, ruft er. Warum er vor gut zwei Jahren Nina Beljan in die Lehre genommen hat, erklärt er so: „Sie hat so was Handfestes, Bodenständiges und Instinkt für den Umgang mit Pferden.“ Das Hauptproblem bei den überwiegend weiblichen Bewerberinnen sei Verträumtheit. „Sie wissen nicht, wie man 'n Besen anfasst, und glauben, der Beruf bestehe darin, den ganzen Tag mit Pferden zu schmusen - das Gegenteil ist der Fall“, sagt der Pferdewirtschaftsmeister.

Indessen wird der Hengst übermütig. Er macht ein paar schnelle Galoppsprünge und buckelt. Seine Reiterin sitzt fest im Sattel und lacht. „Das passiert halt“, sagt Pollmann-Schweckhorst, „und da fliegt man auch schon mal in den Dreck und muss die Zähne zusammenbeißen und wieder drauf.“ Angst sei in diesem Beruf nicht zu gebrauchen, aber auch das sprichwörtliche „immer langsam mit den jungen Pferden“ müssen die meist jungen Auszubildenden lernen. „Es geht um Verantwortung und darum, alles zu vermeiden, was das Herz kleiner werden lässt.“ Elmar Pollmann-Schweckhorst meint das Herz der Pferde und das Vertrauen, das nicht gebrochen werden soll.

Die dreijährige Ausbildung konnte Nina Beljan wegen ihres Abiturs um ein Jahr verkürzen. „Futterportionen berechnen, Inhaltsstoffe kennen, wissen, wie viel die Aufzucht eines Fohlens kostet, wie man Boxenmiete berechnet. . .“, fängt sie an aufzuzählen. Der Lehrplan für die „Fachrichtung Zucht und Haltung“ ist lang und dicht: von Weidemanagement über Betriebsorganisation bis hin zu „Embryonentransfer“ von einem Stutenbauch in den anderen. Am Ende schnitt die Leichlingerin mit einem Notendurchschnitt von 1,8 als Beste von allen ab. „Ich konnte das gar nicht glauben“, sagt sie und wirkt immer noch überrascht.

Auf Gut Bärbroich galt es, die Theorie in die Praxis umzusetzen. Und auch jene Praxis auszuüben, die in der Theorie eher nicht gelehrt wird. „Misten müssen die Azubis hier nicht“, sagt Beljan. Aber sie entfernt Spinnweben, putzt Trensen und Sättel, fegt Ecken aus und streicht Stalltüren. Ein Reitstall ist nicht nur ein Ort, um zu reiten, sondern ein Dienstleistungsunternehmen, das gut geführt und in Ordnung gehalten werden will. Die Kunden sind Käufer und Einsteller von Pferden, und je wertvoller das Pferd, desto höher sind meist die Erwartungen an den Service.

Eigentlich ist um zwölf Uhr Mittagspause, aber das Reiten hat etwas länger gedauert und Nina Beljan muss erst die Pferde aus der Führanlage holen. Es regnet immer noch, als das letzte der Tiere im Stall steht. Jetzt ins Warme. Doch da biegt das Auto des Tierarztes auf den Hof. Er will nach einer Stute sehen, die einen Knochenbruch über dem Auge hatte. Nina Beljan begleitet ihn und lässt sich erklären, wie er behandelt hat. Dann spricht sie ihn darauf an, dass einige Tiere geimpft werden müssen. „Wann?“, fragt der Tierarzt. „Jetzt?“, antwortet sie. Die Mittagspause muss nochmal warten. Trotzdem fröhlich und zufrieden über den prompten Termin, holt Nina Beljan ein halbes Dutzend Impfpässe, führt den Arzt durch das Gewirr der Stallgassen, beruhigt die Pferde bei der Spritze und kontrolliert, dass alles richtig dokumentiert wird. „Mein Traum ist es, Tiermedizin zu studieren“, erzählt die 22-Jährige. Doch in diesem Jahr legt sie bei Elmar Pollmann-Schweckhorst noch den Pferdewirt „Fachrichtung Reiten“ nach.

„Sie hat sich sehr gemacht“, sagt Pollmann-Schweckhorst und erteilt den Springunterricht persönlich. „Neulich hat er 1,38 Meter aufgelegt. So hoch bin ich noch nie gesprungen“, sagt Beljan. Das sei „Adrenalin pur und, wenn es klappt, habe ich richtige Glücksgefühle.“ Trotz allen Glücks auf dem Rücken der Pferde ist sie realistisch. „Das ist kein Job, den man ein Leben lang machen kann“, sagt sie. So sehr Kopf und Herz beim Reiten gefragt sind, so sehr sind es alle übrigen Körperteile beim Rest der Arbeit. „Ich habe mehr Arme als mancher Kerl“, sagt die Pferdefrau, lacht und lässt die Muskeln spielen. Müde und auch mal gebrochene Knochen, Frostbeulen und Blutergüsse gehören genauso zum Beruf wie familienunfreundliche Arbeitszeiten und ein eher kleiner Lohn. Nichts für Romantiker.

Es ist fast ein Uhr, als Nina Beljan in die trockene Stube stiefelt. Im Backofen steht Lasagne, auf dem Tisch ein frischer Salat. Pause. Danach geht es wieder in den Sattel.

Es ist längst wieder dunkel, als sie sich auf den Weg nach Witzhelden macht, zur Familie, zwei Hunden und ihrem Pferd „Walter“, das ihr seit 13 Jahren gehört. „Alle sagen immer, ich hätte mein Hobby zum Beruf gemacht“, erzählt Nina Beljan. Sie kommentiert das so: „Wenn ich bei meinem eigenen Pferd bin mit Zeit, Ruhe, völlig entspannt und kann machen, was ich will - das ist Hobby.“

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